1899 Hoffenheim:"Wir haben unseren Fußball brutal durchgezogen"

1899 Hoffenheim - Bayern München

In Jubellaune: Hoffenheim-Trainer Julian Nagelsmann.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)
  • 1899 Hoffenheim zeigt beim 1:0-Sieg, wo der FC Bayern verwundbar ist.
  • Trainer Nagelsmann berichtet anschließend, wie er in nur zehn Minuten die richtige Taktik ermitteln konnte.
  • Dass seine Spieler nun abheben, glaubt Nagelsmann nicht.

Von Matthias Schmid, Sinsheim

Julian Nagelsmann konnte seine Enttäuschung nicht ganz verbergen. Der ehrgeizige Cheftrainer der TSG 1899 Hoffenheim hätte Carlo Ancelotti so gerne noch seine Trainerkabine gezeigt und mit dem Bayern-Trainer über taktische Finessen geplaudert. "Wir haben uns aber vor dem Spiel nur unter Kollegen begrüßt und kurz gegenseitig Glück gewünscht", erzählte Nagelsmann nach dem Spiel. Ein bisschen Traurigkeit schwang da mit.

Vor der Partie gegen den FC Bayern hatte der 29-Jährige verraten, dass er früher ein großer Bewunderer des Italieners war und im Fernsehen gebannt miterlebte, "wie dieser drei Henkelpokale hochrecken durfte", wie es Nagelsmann ausdrückte. Dreimal hat Ancelotti schon die Champions League gewinnen können, Nagelsmann kennt Spiele im höchsten europäischen Klubwettbewerb bisher nur als interessierter Beobachter - im Stadion oder vor dem Fernseher zuhause auf der Couch.

Doch mit dem 1:0-Sieg am Dienstagabend, dem ersten überhaupt für Hoffenheim in der Klubhistorie gegen München, hat der jüngste Fußballlehrer der Bundesliga abermals angedeutet, dass er in nicht mehr allzu ferner Zukunft als Protagonist der Champions-League-Hymne wird lauschen dürfen. Womöglich schon in der nächsten Saison mit 1899 Hoffenheim.

Die Bayern schlugen den Ball weit nach vorne - aus Not

Es ist längst kein verwegener Gedanke mehr, dass sich die Badener sogar als Zweiter oder Dritter direkt für die Gruppenphase der Champions League qualifizieren könnten. Besonders in der ersten Hälfte gegen die Bayern zeigten die Hoffenheimer ein mitreißendes Spiel, Nagelsmann, der jüngste Bundesliga-Trainer, hatte den ältesten und erfolgreichsten Bundesliga-Trainer mit seiner eigenen taktischen Raffinesse überrumpelt.

"Wir wollen mutig sein." Es hatte nichts Aufregendes oder gar Innovatives, was Nagelsmann vor der Partie gesagt hatte, es waren die üblichen Floskeln vor den Bayern-Spielen; das haben auch schon andere Kollegen so oder ganz ähnlich kundgetan. Anders war aber, dass Nagelsmann seine Ankündigung auch tatsächlich umgesetzt hat, in der radikalsten Form sogar. Die Hoffenheimer spielten nicht nur mutig mit viel eigenem Ballbesitz, ihnen gelang es sogar, die Bayern so zu bedrängen, sie anzulaufen, dass sie Fehlpässe fabrizierten oder sich manchmal nicht anders zu helfen wussten, als den Ball lang und weit nach vorne zu schlagen.

"Wir haben unseren Fußball brutal durchgezogen", schwärmte Hoffenheims Manager Alexander Rosen, "wir haben uns den Sieg nicht ergaunert oder ermauert, sondern ihn mit fußballerischer Klasse erspielt." In der Tat war es erstaunlich, dass die Hoffenheimer gegen in der ersten Hälfte seltsam gehemmt wirkende Münchner das Spiel kontrollierten.

Die Taktik-Ausarbeitung dauerte zehn Minuten

Nagelsmanns Matchplan ging geradezu idealtypisch auf. Dabei hatte er für die Ausarbeitung nicht einmal zehn Minuten benötigt, wie er versicherte: "Das ging eigentlich ganz schnell." Sein Videoanalyst habe ihm fünf Bayern-Spiele zusammengeschnitten. Er habe neben einer Verteidigungsstrategie für die vielen Münchner Positionswechsel vor allem nach eigenen offensiven Räumen gefahndet, "um unsere großen Stärken mit Ball ausspielen zu können."

Das klappte in den ersten 45 Minuten so gut, dass Hoffenheim nicht nur durch Andrej Kramaric (21.) früh führte, sondern sogar noch beste Gelegenheiten durch Nadiem Amiri (9.) und Kerem Demirbay (40.) ausließen, als die beiden jeweils allein auf den Bayern-Keeper Sven Ulreich zurannten und vergaben.

In der zweiten Hälfte verteidigten die Hoffenheimer gegen sehr viel couragierter auftretende Münchner dann mit Glück und Geschick die Führung. Dass seine Spieler nun übermütig oder nachlässiger werden könnten, glaubt Nagelsmann allerdings nicht: "Es ist doch das Schönste im Leben, wenn man niemandem ausgeliefert ist und den Weg selber zeichnen kann." Siege wirkten doch eher wie kleine Drogen, "oder wie große", merkte er lächelnd an. Wohl selbst erschrocken über seine doch zu forsche Aussage, schob er schnell nach: "So stelle ich mir das zumindest vor, ich habe noch keine Drogen genommen."

Es ist auch für den 29-Jährigen eine Entwicklung wie im Zeitraffer. In der vergangenen Saison noch verhinderte Nagelsmann mit Hoffenheim am letzten Spieltag den Abstieg aus der Bundesliga, nur ein Jahr später begegnet er seinem Trainervorbild schon auf Augenhöhe.

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