1899 Hoffenheim:Nordtveit macht Kinderwünsche wahr

Schachtjor Donezk - 1899 Hoffenheim

Hoffenheims Harvard Nordtveit bejubelt sein Tor zum 1:2.

(Foto: dpa)

Von Tobias Schächter, Charkiw

Tief gerührt stand Håvard Nordtveit in den Katakomben des Metalist-Stadions in Charkiw, wo der ukrainische Meister Schachtjor Donezk wegen des Krieges im Donbass seine Heimspiele austrägt. Bei der Premiere der TSG Hoffenheim in der Champions-League-Gruppenphase tief im Osten der Ukraine fiel dem Norweger beim 2:2 eine Hauptrolle zu. Zunächst war der Verteidiger im eigenen Strafraum ausgerutscht und hatte Donezks Ismaily so den Weg für den zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich frei gemacht (27.). Aber noch vor der Pause gelang Nordtveit nach einer Ecke von Andrej Kramarić per Kopf die erneute Führung für die TSG - sein erstes Tor für die Blau-Weißen nach seinem Wechsel im Sommer 2017 von West Ham United.

Man tritt dem 28 Jahre alten Nationalspieler nicht zu nahe, wen man konstatiert, dass dieser den Erwartungen in den vergangenen 16 Monaten bei der TSG nicht immer gerecht geworden war. Mittwochnacht in Charkiw aber war Nordtveit so glücklich und zufrieden wie noch nie nach einem Spiel für Hoffenheim. Am Tag vor der Partie hatte er noch mit seinen beiden Kindern gesprochen, erzählte der Profi, und sein Sohn habe ihn da eindringlich gebeten, er solle doch endlich einmal ein Tor schießen, er sei doch ein so großer Mann.

Dass es dann geklappt hatte, setzte bei dem 1,88 Meter großen Profi große Emotionen frei. "Ich bin noch nie so hoch gesprungen, es war kalt da oben", scherzte Nordtveit. Und trotz des vermeidbaren Ausgleichs des eingewechselten Maycon zum 2:2 (81.), zog er nicht nur wegen seines Tores ein rundum gelungenes Fazit der ersten Hoffenheimer Dienstreise in Europas Spitzenklasse: "Ein Punkt ist ein sehr guter Anfang in der Champions League."

Das sahen alle Hoffenheimer so, auch die 150 Fans, die die Reise in die Ukraine mitgemacht hatten. Das kleine Häuflein feierte nach dem Abpfiff die Spieler wie nach einem Sieg. Einer Interpretation, nach der die TSG gegen lange biedere Gastgeber eher einen Sieg verspielt als einen Punkt gewonnen hatte, wollte sich niemand im Hoffenheimer Lager anschließen. Auch nicht Trainer Julian Nagelsmann. Seit Mittwoch steht der 31 Jahre junge Mann in den Geschichtsbüchern der Champions League als jüngster Trainer, der je eine Mannschaft in diesem Wettbewerb gecoacht hat. Einen "schönen Nebeneffekt" nannte Nagelsmann das. Zur Feier des "historischen Moments" war er in ähnlicher Aufmachung wie Englands Nationaltrainer Gareth Southgate bei der WM im Sommer aufgelaufen: Neben sportlichen Schuhen und blauen Anzugshosen trug er ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte unter einer schwarzen Weste.

Nach dem 1:1 der Ukrainer - der überragende Florian Grillitsch hatte die TSG in Führung gebracht (6.) - krempelte Nagelsmann die Hemdsärmel hoch und signalisierte so seiner Elf: Wach bleiben, jetzt beginnt die Maloche. Doch den möglichen Punch nach der erneuten Führung setzten seine Spieler nicht, stattdessen schien ihnen in einer chaotischen Schlussphase das lange klar dominierte Spiel vollends zu entgleiten. "Am Ende hat uns ein bisschen die Luft gefehlt", konstatierte Nagelsmann, der aber grundsätzlich das Positive herausstrich. "Wir können erhobenen Hauptes nach Hause fahren als Champions-League-Neuling. Bei einer Mannschaft mit dem Anspruch Viertelfinale lange geführt zu haben und verdient auch ein drittes oder viertes Tor hätten machen zu können, ist nicht so schlecht."

"Ja, wir gehören dazu"

Die Milde in der Bewertung ist durchaus nachvollziehbar, auch gegen Donezk fehlten viele potenzielle Stammspieler und nach der unnötigen Pleite zuletzt in der Liga in Düsseldorf startete die TSG das Champions-League-Abenteuer mit einem unsicheren Gefühl. Doch in der Ukraine spielte die Mannschaft 75 Minuten stark, Kapitän Kevin Vogt, der kurz vor dem Abpfiff mit einer Weltklasse-Abwehraktion auf der eigenen Torlinie eine Niederlage verhinderte, erklärte: "Wir gehen mit breiter Brust raus." Und TSG-Manager Alexander Rosen stellte stolz fest: "Man hat nicht gemerkt, dass wir zum ersten Mal in der Champions League dabei waren - ja, wir gehören dazu."

Das ist eine wichtige Erkenntnis für den Klub und die Spieler. Die Hoffenheimer haben sich vehement vorgenommen, diese Saison in Europa besser abzuschneiden als in der vergangenen, als sie sich sang- und klanglos nach der Vorrunde aus der Europa League verabschiedet hatten. Das scheint möglich, auch weil Manager Rosen "viel Qualität" in den kommenden Wochen vom Verletztenlager auf den Rasen zurückkehren sieht. Doch der Belastungsstress beginnt gerade, nach der Rückkehr aus der Ukraine am Donnerstagnachmittag geht es in der Bundesliga am Samstag gleich mit dem Heimspiel gegen Borussia Dortmund weiter - dem zweiten von sieben Spielen in 22 Tagen.

Und Schachtjor Donezk, das im Sommer in Fred (Manchester United), Bernard (Everton) und Ferreyra (Benfica) seine besten Spieler verlor, hat nicht mehr die Qualität früherer Jahre und wirkt schwächer im Vergleich zu den kommenden Gegnern Manchester City und Olympique Lyon. Wer weiß, vielleicht werden sich die Hoffenheimer am Ende doch noch über den verpassten Sieg zum Auftakt ihres bislang größten Abenteuers ärgern.

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