Süddeutsche Zeitung

Dritte Liga:Der neue, immerzu siegreiche TSV 1860

Fünf Spiele, fünf Siege: Der TSV 1860 München ist souveräner Drittliga-Tabellenführer. Früh in der Saison deutet sich an, dass der Kader besser geworden sein dürfte. Das liegt auch an einem Talent und einigen Zugängen.

Von Gerhard Fischer

Stehen ein Postbote, ein IT-Experte und ein Altphilologe zusammen ... Nein, das ist nicht der Anfang eines Witzes. Dieses Treffen gab es am Freitagabend wirklich, etwa eine Stunde nach dem 3:1-Sieg des TSV 1860 gegen den Halleschen FC. Zu diesem Zeitpunkt waren die Straßen vor dem Stadion gesäumt mit glücklichen Menschen, die Bierflaschen in den Händen hielten und brüllten ("Einmal Löwe, immer Löwe"), sangen ("Die Kameradschaft, ja die Kameradschaft, die macht bei Sechzig alles aus") oder freudig diskutierten. Meistens ging es um Joseph Boyamba, so auch beim eingangs erwähnten Trio. Boyamba, meinte der IT-Experte, habe das Spiel in der zweiten Halbzeit entschieden, mit seinem tollen Pass auf den 2:0-Torschützen Yannick Deichmann, und mit seinem Elfer zum 3:1. Wenn man einen wie Boyamba einwechseln könne, sagte er, müsse man einen überragenden Kader haben.

Ist das wirklich das Erfolgsgeheimnis des neuen, immerzu siegreichen TSV 1860? Der überragende Kader? Trainer Michael Köllner hatte das Privileg, den Kraftprotz Fynn Lakenmacher, den gerade genesenen, langjährigen Stammspieler Marius Willsch und den blitzschnellen Boyamba einwechseln zu können, der sein Elfmetertor übrigens so kommentierte: "Vom Punkt bin ich ein kalter Hund." In der vergangenen Saison standen solche Joker nicht zur Verfügung.

"Ich will das gar nicht mit der letzten Saison vergleichen", sagte Deichmann nach dem Spiel; er mochte wohl kein schlechtes Wort über die früheren Kollegen verlieren. Wichtig sei, dass man "Spieler in der Hinterhand hat, die ein Spiel entscheiden können". Und dann sagte er jene Worte, die derzeit im Löwen-Kosmos so oft ausgesprochen werden wie "Einmal Löwe, immer Löwe". Der Kader habe eine "große Breite".

Natürlich hat auch Köllner schon darüber geredet. Sehr häufig sogar. Am Freitagabend bei der Pressekonferenz wurde er darauf angesprochen, und er antwortete über einen Umweg: "Tim Rieder hat die rote Karte bekommen, das ist schade, aber die Mannschaft wird das auffangen - wie sie andere Dinge auch aufgefangen hat." Köllner meinte die Ausfälle der verletzten Stammkräfte Marcel Bär, Semi Belkahia und Phillipp Steinhart. Das kann man bloß mit einem breiten Kader auffangen. Anders gesagt: mit genügend Qualität.

"Das können nicht viele in der dritten Liga", sagt Trainer Köllner über das Tor von Zugang Kobylanski

Womit das Ganze zur Frage führt: Die Breiter-Kader-Löwen sind Tabellenführer, aber sind sie auch eine Spitzenmannschaft? Hatte nicht Berti Vogts, der Altbundestrainer, mal etwas Lustiges dazu gesagt? Ach ja: "Die Breite an der Spitze ist dichter geworden." Er hat etwas anderes gemeint, aber auf Sechzig übertragen heißt das: Ja, die Löwen haben in der Saison 2022/23 mehr Breite in der Spitze. Sie haben mehr Spitzenspieler als in den Jahren zuvor. Und sie haben auch eine Spitzenmannschaft.

Es beginnt bei der Innenverteidigung. Leandro Morgalla ist zwar erst 17 Jahre alt, aber er ist schon ein Spitzenspieler in der dritten Liga, und das hat mit seiner herausragenden Spielintelligenz und Übersicht zu tun. Am Freitag verlagerte er das Spiel häufig mit langen Diagonalpässen auf den linken Flügel, wo Erik Tallig gestartet war. An Morgallas Seite verteidigt der zweite Spitzenspieler, Zugang Jesper Verlaat, ein giftiger, willens- und führungsstarker Abwehrmann mit sehr gutem Stellungsspiel. Selbst wenn Belkahia zurückkehren wird, darf man das Duo Morgalla & Verlaat nicht mehr trennen, sie sind bereits wie Joko & Klaas, Black & Decker - oder besser, weil beide blond sind: wie Butch Cassidy & Sundance Kid.

In Martin Kobylanski haben die Löwen einen weiteren Spitzenspieler geholt. "Er ist einer, der für außergewöhnliche Dinge steht", sagte Köllner. Man sah das in der 34. Minute: Stefan Lex (ebenfalls ein Spitzen-, aber vor allem ein Mannschaftsspieler) legte den Ball mit dem Außenrist vor, und Kobylanski haute ihn volley unter die Latte. "Das können nicht viele in der dritten Liga", sagte Köllner. Bei Kobylanski, 28, weiß man freilich von früheren Stationen: Er spielt mal glänzend, mal gänzlich unauffällig. Das 2:0 erzielte Deichmann, und sein Name steht für eine Qualität, die ein Spitzenteam ebenfalls haben muss: Biss. Rieder ist auch so. Und deshalb ist es richtig, wenn Köllner sagt: "Wir haben uns den Sieg hart erarbeitet." Dass es elf gelbe, eine gelb-rote und eine rote Karte gab, dafür war aber vor allem der erratische Schiedsrichter Steven Greif verantwortlich. Auch ihn besangen die Löwenfans. Von Kameradschaft war da freilich nicht die Rede.

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