Die Terrasse vor dem Löwenstüberl ist gut gefüllt am ersten Arbeitstag von Marc-Nicolai Pfeifer. Säßen hier und dort nicht vor manchen Nasen Masken, man könnte meinen: Alles wieder wie vor Corona beim TSV 1860 München.
Außer den seit Jahren üblichen Journalisten ist Aufsichtsrat Sebastian Seeböck gekommen, auch Hans Sitzberger, der Vizepräsident, lehnt in der Sonne vor dem Stüberl. Zur Feier des Tages hat sich Sitzberger das gute Aufstiegs-T-Shirt von 2018 übergeworfen: "III. Liga. Wir kommen!", steht darauf - die "III" ist offenbar den Kratzspuren eines wilden, ungezähmten Löwens nachempfunden. Und dann biegt Pfeifer, 39, um die Ecke. Der ehemalige Geschäftsführer der Stuttgarter Kickers wird nun der sagenhaft elfte Geschäftsführer seit dem Einstieg des Geschäftsmanns Hasan Ismaik bei 1860 im Jahr 2011. Ja, elf Geschäftsführer in neun Jahren. Und in den kommenden Wochen wird sich Pfeifer womöglich vor allem den finanziellen Begleitumständen einer sportlichen Problematik widmen müssen: III. Liga. Wir bleiben!
Pfeifer begrüßte die Anwesenden mit "Habe die Ehre" und "Servus" und erzählte, dass er bereits vor zehn Jahren in München gelebt habe, als er für den Sportartikelhersteller Nike arbeitete. "Ich habe mich hier sofort wieder heimisch gefühlt." Auf der Geschäftsstelle seien ihm von der ersten Sekunde an "Wärme und Offenheit begegnet, die nicht selbstverständlich sind". Warme Worte hatte Pfeifer auch für seinen Vorgänger Michael Scharold: "Er hat bis gestern Abend - die letzte Nachricht kam kurz vor Mitternacht - alles dafür getan, mir sehr geordnete Verhältnisse zu hinterlassen und eine gute und professionelle Übergabe vorbereitet."
Das konnte man wohl sagen, es ist sogar so: Die Welt des an Merkwürdigkeiten nicht armen TSV 1860 ist seit dem 1. Juli 2020 um eine Paradoxie reicher: An jenem Tag trat ein neuer Geschäftsführer die Nachfolge eines Mannes an, der just am Vorabend in seiner letzten Amtshandlung seinen größten Erfolg als Finanzchef des Drittligisten feiern konnte. Aber weil Michael Scharold ja nun nicht mehr im Amt war, verkündete Pfeifer eine der seltenen Einigungen der Gesellschafter bei 1860.
"Ich darf ihnen von der Aufsichtsratssitzung gestern Abend berichten, dass die finanzielle Basis für die kommende Spielzeit gesichert ist", sagte Pfeifer. Es sei ein "nachhaltiges Finanzpaket" verabredet worden, das einstimmig genehmigt wurde: "Das beschert uns die so wichtige Planungssicherheit für die neue Spielzeit und funktioniert ligaunabhängig. Das ist das Ergebnis der Bemühungen aller."
In der vergangenen Woche waren mal wieder externe Wirtschaftsprüfer auf der Geschäftsstelle an der Grünwalder Straße. Dort spielten sie verschiedene Szenarien durch, wie sich die Pandemie, je nach Schwere ihres Verlaufs, auf die Einnahmen von 1860 in der kommenden Saison auswirken wird. Das Worst-Case-Szenario ging davon aus, dass auch in der kommenden Saison keinerlei Spiele mit Zuschauern über die Bühne gehen dürfen - was gravierende Einbußen bei Ticket- und Sponsoringerlösen zur Folge hätte. In diesem Fall, so die Schätzung, würde die KGaA kurzfristig rund sechs Millionen Euro benötigen. Für eine positive Fortführungsprognose unter diesen Umständen forderten die Wirtschaftsprüfer entsprechende Sicherheiten. Diese stellte Hauptgesellschafter Hasan Ismaik bereit, der KGaA-Aufsichtsrat stimmte am Dienstagabend zu: Nach SZ-Informationen kann die KGaA auf ein Darlehen Ismaiks in Höhe der im Worst-Case-Szenario benötigten Summe zurückgreifen - diese kann allerdings auch in Tranchen ausbezahlt werden.
Man muss sich das Darlehen vorstellen wie einen Kuchen, von dem je nach Größe des Hungers kleinere oder größere Teile herausgeknabbert werden können. Das Darlehen ist mit Rangrücktritt versehen, was bedeutet, dass es erst fällig gestellt werden kann, wenn das Unternehmen Gewinn erwirtschaftet, was beim TSV 1860 natürlich erst für den Sankt Nimmerleinstag geplant ist. Und es sieht zudem in der Folge eine Wandlung in Genussscheine vor - womit sichergestellt ist, dass die Schulden nicht die Eigenkapitalquote der KGaA verschlechtern.
Die Reisinger-Doktrin hatte die Aufnahme von Darlehen bei Ismaik stets ausgeschlossen
Die nach dem gegenwärtigen Vereinspräsidenten benannte Reisinger-Doktrin hatte die Aufnahme von Darlehen beim Hauptgesellschafter ohne sofortige Wandlung der Papiere in Genussscheine stets ausgeschlossen. Die Einigung am Dienstagabend kann also durchaus als gemeinsame Willensbekundung der Gesellschafter zur künftigen Zusammenarbeit betrachtet werden. Vor allem soll dem Vernehmen nach die seit Ewigkeiten avisierte Kapitalerhöhung in der KGaA im Jahr 2021 endlich mal durchgeführt werden. Und diese ist - wenn überhaupt - nur dann möglich, wenn die Gesellschafter mal für eine längere Zeit überhaupt miteinander reden.
Auch im Hinblick auf die Vorgaben des Gesellschaftsrechts ergibt die Einigung Sinn: Ein Geschäftsführer, der in seiner Firma ein Liquiditätsproblem am Horizont aufziehen sieht, käme gar nicht umhin, das Darlehen eines Gesellschafters anzunehmen. Es sei denn, es würde zu Zins-Konditionen bereitgestellt, die die Sittenwidrigkeit streifen. Das ist bei Ismaiks Angebot offensichtlich nicht der Fall.
Pfeifer erzählte am Mittwoch, dass er in jenem Moment neugierig auf die Stelle an der Grünwalder Straße geworden sei, als Scharold öffentlich gemacht hatte, dass er sein Amt räumen wird. Danach habe er erste vertrauensvolle Gespräche mit einem Mitarbeiter von Sechzig gehabt. "Die Idee hat mich angefangen zu begeistern", erzählte Pfeifer. Es ist ihm zu wünschen, dass diese Begeisterung noch lange währt.