1860 München:Von Kleingärtnern und Knödelwaschern

Hubert Pöllmann bildet in seinem neuen Film das Wesen seines Lieblingsklubs ab.

Von Markus Schäflein

"Ja, jetzt sterben sie so langsam weg, du", sagt der Laurenz zum Sigi, während sie auf ein altes Mannschaftsfoto des TSV 1860 München aus dem Jahre 1965 blicken, aufgenommen beim Finale um den Europapokal im Wembley-Stadion gegen West Ham United. "Wer is'n als Letzter gstorbn?", fragt der Laurenz, "der Perusic ist gstorbn, oder?" - "Der Peru war der Letzte, der gstorbn is, genau", sagt der Sigi. "Kohlars lebt no, der soll aber krank sein." - "Der soll stark krank sein, ja", antwortet der Laurenz. "Und der Stefan Bena?" - "Der Bena müsste noch leben, ja", sagt der Sigi.

Pöllmann Hubert

Bier als roter Faden: Laurenz (Hubert Pöllmann, rechts) und Jogi philosophieren.

(Foto: oh)

Stefan Bena verstarb am 5. Mai 2012 in Belgrad, aber Siegfried Nagelstutz, der in seiner Wohnung unzählige Bilder, Pokale und Wimpel aus der Historie des TSV 1860 gesammelt hat, kann ja auch nicht alles wissen. Er ist ein Protagonist des neuen halbdokumentarischen Films "Ein Leben ohne 60 ist möglich - aber wozu?" des Filmemachers und Löwenfans, oder besser gesagt: des Löwenfans und Filmemachers Hubert Pöllmann. Der Film beginnt nach dem Absturz aus der zweiten Fußball-Bundesliga in die Regionalliga und endet mit dem Aufstieg in die dritte Liga.

Laurenz, gespielt von Pöllmann, sitzt am Anfang mit seinem Kumpel Jogi (Jürgen Gsantner) in seinem Kleingarten am Englischen Garten, sie haben das erste Bier in der Hand. Die beiden werden noch sehr viel Bier trinken im Laufe des Films, wie sollte man es sonst auch aushalten mit Sechzig. "Ja, des war des letzte Jahr, Laurenz", sagt der Jogi und trinkt, "des is a Knödelwascherfraktion gwesen, wo bei uns gsessen ist. Schau her, a portugiesischer Trainer, 15 Co-Trainer. I woas a ned."

Der Regisseur

Hubert Pöllmann, 65, arbeitete als Finanzbeamter und Blindenschullehrer, ehe er 1981 den Gedanken fasste: "Ich muss unbedingt Filme machen." Sein Debüt "Der Lokalpatriot" von 1984 erhielt das Prädikat "wertvoll" von der Filmbewertungsstelle und den Kulturpreis der Stadt Nürnberg. 2011 veröffentlichte er "Männer am Wochenende", in dem ebenfalls der TSV 1860 eine Rolle spielt.

Termine im Gabriel Filmtheater in der Dachauer Straße 16 in München:

Freitag, 16. November, 20.30 Uhr

Sonntag, 18. November, 18 Uhr

Der Erlös geht an das Nachwuchsleistungszentrum des TSV 1860.

Der Journalist Achim Bogdahn, der sich den Künstlernamen "Sechzig" im Personalausweis eintragen ließ, hat seinem Lieblingsklub kürzlich in der taz "eine Mischung aus Defätismus und Dadaismus" diagnostiziert, und genau so ist dieser Film: defätistisch, dadaistisch, Sechzig.

Das liegt auch daran, dass Laurenz in den reportagehaften Passagen seine Gesprächspartner bis an den Rand des Erträglichen ausreden lässt, so weit sie auch abschweifen mögen. Allesfahrer Franz Hell überlegt und diskutiert so lange, bis er zu dem Schluss kommt: "Alles, was wir Fans uns überlegen und diskutieren, ist eigentlich für den Abfallkübel." Vom Ismaninger Großbauern Jakob Kraus, 82, ebenfalls ein legendärer Fan, verabschieden sich der Laurenz und der Jogi mehrere Male, bis sie wirklich gehen. Der Jaki redet einfach immer weiter. Sie nehmen die Erkenntnis mit: "Die Vergangenheit zu begraben, ist schlecht. An die soll man sich erinnern, weil jetzt kommt ja nichts besseres." Und der Verwaltungsrat Markus Drees redet so lange, bis er sagt: "Damals hatten wir halt schwache Geschäftsführer, wie einen Schäfer, wie einen Hinterberger et cetera." Drees und Hinterberger haben beide ihr Kommen zur Premiere an diesem Freitag angekündigt, aber Hinterberger wird über Drees' Einschätzung hinwegsehen können. Es bekommen in dem Werk schließlich sehr viele ihr Fett weg - vor allem der ehemalige Präsident Gerhard Mayrhofer, dem Pöllmann einmal einen Sponsor aus China vermitteln wollte. Dieser bizarr anmutende Teil der Rahmenhandlung beruht tatsächlich auf wahren Ereignissen, wie der Laurenz dem Jogi im Kleingarten anhand von Originaldokumenten belegt.

Auch Szenen aus dem Fanblock im Stadion an der Grünwalder Straße hat Pöllmann eingebaut. Nach 15 Sekunden erklingt erstmals der Ruf "Scheiß FC Bayern", 30 Sekunden lang. Nach sechseinhalb Minuten fragt der Jogi den Laurenz: "Hast Lust auf'n Imbiss?" und macht das zweite Bier auf.

Am Ende weiß man nicht mehr, ob in dem Film öfter "Scheiß FC Bayern" gebrüllt oder öfter Bier getrunken wird. Was man weiß, ist, dass Sechzig einen in den Wahnsinn treibt. Und dass ein Leben ohne Wahnsinn möglich ist - aber wozu?

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