TSV 1860 München:"Sechzig München soll und will nicht gegen Türkgücü verlieren"

TSV 1860 München: Lang ist's her: Im Hinspiel zwischen dem TSV 1860 München und Türkgücü München stand noch Sascha Mölders (links) auf dem Platz.

Lang ist's her: Im Hinspiel zwischen dem TSV 1860 München und Türkgücü München stand noch Sascha Mölders (links) auf dem Platz.

(Foto: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

In Unterzahl erkämpfen sich die Löwen einen Punkt im Stadtderby, der kaum zu begründen ist. Dass sich Trainer Köllner beim Torjubel einen Muskelfaserriss zuzieht, ist den Geschehnissen angemessen.

Von Markus Schäflein

Eine Viertelstunde vor dem Anpfiff fuhr ein Bus des Lokalrivalen am Stadion an der Grünwalder Straße vorbei, vom Wienerwald herüber riefen Löwenfans: "Scheiß FC Bayern!" Die Roten kutschierten gemächlich vorbei, als wollten sie die Blauen erinnern, dass das, was an diesem Samstagnachmittag bevorstand, gar kein richtiges Derby sei - der Gegner spielte zwar auch in Rot, er hieß aber Türkgücü München. Viele Löwenfans bestehen ja selbst darauf, dass es sich beim Treffen in der dritten Fußball-Liga mit dem neureichen Emporkömmling nicht um ein Derby handele, und auch TSV-1860-Trainer Michael Köllner hatte vor dem Spiel auf die Frage, ob es ein Derby sei, geantwortet: "Es ist eines von 38 schweren Spielen."

Dass es doch ein Derby war, sah man spätestens, als Köllner nach dem Schlusspfiff auf den Platz humpelte. Er hatte sich beim Torjubel-Sprung nach dem 1:1 zum Endstand durch Sascha Mölders (80.) einen Muskelfaserriss zugezogen. Und auch vorher war Derby: viel Tempo, viele Fehler, viele Karten, viele Beschimpfungen von den Rängen. Die rund 300 Türkgücü-Fans ("Scheiß Sascha Mölders!") unter den 4225 Zuschauern im ausverkauften Stadion konnten sich gut bemerkbar machen, weil die aktive Fanszene des TSV 1860 München aufgrund der Corona-Auflagen nicht wie gewohnt in Erscheinung tritt.

"Dieses Spiel ist schwer zu beschreiben. Gefühlt waren es zehn Lattentreffer", sagt Sercan Sararer

Angreifer Sercan Sararer, neben Albion Vrenezi auffälligster Akteur bei Türkgücü, fand nach dem Schlusspfiff: "Dieses Spiel ist schwer zu beschreiben." Er hatte zweifelsohne Recht. Denn: "Gefühlt waren es zehn Lattentreffer." Nicht gefühlt, sondern nur gezählt, waren es vier Mal Aluminium und eine Klärungsaktion auf der Linie - immer für Türkgücü, dazu weitere ungenutzte Chancen.

In der Anfangsphase überrumpelte die Mannschaft von Trainer Petr Ruman die Löwen regelrecht, erst schoss der frühere Sechziger Tim Rieder auf Vorlage von Sararer aus zwei Metern an den Pfosten (4.), dann traf Eric Hottmann nach Vrenezi-Freistoß ebenfalls den Pfosten (9.). Zwischendurch hatte 1860-Torwart Marco Hiller großes Glück, als er außerhalb des Strafraums umherirrte, mit der Hand an den Ball ging und der Schiedsrichter ihm wohlwollend keine Absicht unterstellte - nur Gelb (7.). Auch Rechtsverteidiger Yannick Deichmann sah nach Handspiel Gelb (8.). Mit Glück überstanden die Löwen diese irrwitzige Anfangsphase tatsächlich ohne Gegentor - und kamen selbst zu Chancen durch Marcel Bär (13.) und Mölders (30.), den Bär nicht präzise genug einsetzte. Doch dann gerieten sie in Unterzahl: der vorbelastete Deichmann musste nach einem Foulspiel vom Platz (38.).

Nach der Pause beruhigte sich die Partie etwas, Türkgücü tat sich zunächst schwer mit der Aufgabe, in Überzahl Torchancen herauszuspielen. Als es mal gelang, verlor Hottmann in aussichtsreicher Position das Gleichgewicht (50.). Aber dann doch noch, nach einer Stunde: Flanke Vrenezi, Tor durch Sarerer. Kurz darauf lief Stefan Lex für den TSV 1860 ungedeckt aufs Tor zu, scheiterte aber an Türkgücü-Keeper Rene Vollath. Und dann ging wieder der Aluminium-Slapstick los: erst ein Pfostentreffer durch Sarerer, beim Nachschuss von Andy Irving rettete Stephan Salger auf der Linie (73.). Und in der 78. Minute wackelte bei einem Schuss von Vrenezi zur Abwechslung mal die Querlatte.

Chef-Trainer Petr Ruman (Tuerkguecue Muenchen), TSV 1860 Muenchen vs. Tuerkguecue Ataspor Muenchen, 14.08.2021 DFB regul

"Nach meiner Erkenntnis ist ein 1:1 keine Niederlage." Petr Ruman, Trainer des hochveranlagten Ensembles von Türkgücu.

(Foto: Ulrich Gamel/Kolbert/Imago)

Die Löwen konnten es sich wohl selbst nicht erklären, warum sie noch im Spiel waren - auch wenn sie hernach ihre "Mentalität" (Bär) in der großen Hitze als Grund anführten. Köllner meinte: "Wir sind an unsere Grenzen gegangen und darüber hinaus, das Problem war nur, dass wir haarsträubende Fehler eingebaut haben. Das zeichnet eine Mannschaft aus: dass sie nicht zerbricht, nicht zerfällt, dass du unverwüstlich bist." Es kam ja wirklich noch die Szene, bei der sich Köllner verständlicherweise den Muskelfaserriss zuzog - es werden sich auch einige Löwenfans mittelschwer verletzt haben, als Mölders einen Schuss von Dennis Dressel zum gleichermaßen völlig unangemessenen wie auch verdientermaßen erkämpften 1:1 ins Tor ablenkte.

"Sechzig München soll und will nicht gegen Türkgücü verlieren" - immerhin diesen Willen hatte man gesehen

Bei aller Freude wunderten sich viele Fans über den starken Auftritt des, nun ja, Stadtrivalen. "Ach, Qualität von Türkgücü", sagte Bär, sichtlich und nach eigenen Angaben "geschlaucht", "wir haben es uns doch selbst schwer gemacht." Für Mölders ging es nicht einmal darum, einen Aufstiegskonkurrenten in der Tabelle hinter sich gelassen zu haben, sondern ums Prinzip: "Sechzig München soll und will nicht gegen Türkgücü verlieren." Immerhin diesen Willen hatte man gesehen. "Die Mannschaft hat viel leiden müssen", meinte Köllner.

Türkgücü-Trainer Ruman, mit seiner hochveranlagten Truppe nach drei Spielen aufgrund mangelnder Chancenverwertung noch sieglos, sagte dann noch: "Nach meiner Kenntnis ist ein 1:1 keine Niederlage." Da sah man mal wieder: Man muss nicht nur die Wahrheit sagen. Sie muss auch stimmen.

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