Süddeutsche Zeitung

1860 München:Spektakel mit Abschiedsschmerz

Die Münchner Löwen schlagen Duisburg im Grünwalder Stadion mit 3:2 - in einer Partie, die auch 10:7 hätte enden können. Die Zuschauer fühlen sich bestens unterhalten, Sechzig-Trainer Köllner hätte lieber eine bessere Statik statt ein solches Offensivfeuerwerk.

Von Christoph Leischwitz

Egal wie, meinte ein Zuschauer zum anderen, als sie gerade an einem der Stewards hielten, die in diesen Tagen vor dem Stadion den Corona-Status der Fußballfans checken. Ein Sieg des TSV 1860 München musste her gegen den MSV Duisburg, dringend. Nach dem Spiel wiederum waren dann viele zu hören, die es gerne ein bisserl weniger aufregend gehabt hätten. Das Duell der Löwen gegen die Zebras war zu einer der wildesten, unorthodoxesten Partien im Grünwalder Stadion seit langer Zeit geraten, so wechselhaft, dass Sechzigs Trainer Michael Köllner hernach meinte, es sei ja ein Wunder, dass es nur 3:2 (1:1) ausgegangen sei, ein 10:7 sei auch möglich gewesen. Selbst einen verschossenen Elfmeter von Phillipp Steinhart (65.) sah er fast nur noch als Randnotiz.

Mit dem Erfolg gegen Duisburg, und das war eben nun einmal das Wichtigste, sieht es in der Drittliga-Tabelle schlagartig besser aus, Sechzig steht nun auf Rang zwölf (kann am Montagabend aber noch von Viktoria Köln überholt werden), der Weg zur Tabellenspitze, er ist gar nicht mehr soooo weit.

Ein aufregendes Spiel hinterlässt natürlich auch eine Menge individueller Geschichten. Stefan Lex bestätigte seine aufsteigende Form, er holte zwei Elfmeter heraus (den ersten konnte Steinhart in Minute 16 noch verwandeln) und gab die Vorlage zum entscheidenden 3:2 (73.); Sascha Mölders strahlte Gefährlichkeit aus, scheiterte mit einem verdeckten Heber an der Latte (8.) und erzielte das zwischenzeitliche 2:1, indem er mit einem Dribbling die förmlich spürbare Duisburger Elfmeterangst ausnutzte (54.). Marcel Bär erzielte mit dem 3:2 sein bislang wohl wichtigstes Tor für Sechzig. Bis zu seinem Flachschuss ins kurze Eck wäre er im Falle eines Unentschiedens jedoch sicher zum Hauptverantwortlichen erkoren worden für den Punktverlust, weil er davor beste Möglichkeiten fahrlässig vergeben hatte. Wobei Mölders gegen Ende in dieser Statistik aufholte und etwa in der Nachspielzeit das 4:2 liegen ließ.

Vor allem die Abwehr erzählte eine interessante Geschichte. Der 19-jährige Niklas Lang fehlt zurzeit wegen einer Knieverletzung, Semi Belkahia rutschte erstmals nach zwei Monaten wieder in die Startelf und erlebte zum ersten Mal einen Sieg, bei dem er über 90 Minuten auf dem Feld stand. Doch die Verteidigung bekam die Duisburger Offensive nie in den Griff. Besonders unglücklich sah dabei Stephan Salger aus, der das 1:0 per Kopf durch Aziz Bouhaddouz nicht verhindern konnte (11.) und das spektakuläre Volleytor zum 2:2 durch Orhan Ademi (68.) per Kopf auflegte. Auffällig war im Anschluss, dass Köllner diese vielen Torchancen mehr oder weniger als gegeben hinnahm: Mei, Fußball sei halt nun einmal ein nervenaufreibender Sport, Duisburg habe eine starke Offensive.

Die Maskenpflicht hält grob geschätzt nur die Hälfte der Besucher ein - die Politik dürfte sich bestätigt fühlen mit ihren strengeren Regeln

Dabei zeigte der knappe 3:2-Erfolg vor allem, dass Köllner viel mehr offenen Schlagabtausch wagt, also viel mehr Risiko eingeht, als er das eigentlich gerne tut. In der Halbzeit, erzählte der Trainer später, habe man darüber gesprochen, dass das eigene Spiel eine "bessere Statik" benötige. Danach wogte die Partie aber genauso hin und her wie zuvor - eine Großchance von Mölders hier (56.), ein Lattenschuss von Duisburgs Kapitän Moritz Stoppelkamp dort (59.). Am Samstag treten die Löwen beim Tabellenletzten Havelse an - womöglich wird das Spiel dort schon wieder risikobefreiter angegangen.

Die aufreibende Partie riss freilich auch viele Zuschauer mit. Doch der offene Schlagabtausch stand zugleich in krassem Kontrast zu einer seltsam lethargischen, mithin gar aggressiven Grundstimmung. Die aktive Fanszene hatte schon vorab angekündigt, wegen der Corona-Maßnahmen wieder eine Unterstützungspause einzulegen. Ausverkauft war das Spiel auch nur auf dem Papier, gut ein Drittel der 15 000 möglichen Besucher waren aus Frust oder aus Sorge gar nicht erst erschienen. Es herrschte Maskenpflicht, die grob geschätzt etwa die Hälfte der Besucher einhielt. Als über die Lautsprecher zum wiederholten Male auf die Pflicht hingewiesen wurde, begannen viele zu pfeifen, empörte Rufe waren zu hören.

Politiker, die sich für eine 25-Prozent-Auslastung oder noch weniger in Stadien einsetzen, dürften sich angesichts der Ereignisse bestätigt fühlen. Man habe die "Fans nochmal glücklich machen wollen", bevor die meisten wohl bald wieder zu Hause bleiben müssten, sagte Köllner. Das war gelungen. Doch der Abschiedsschmerz war selbst bei diesem potenziellen 10:7-Spiel zu sehen und zu hören gewesen.

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