1860 München:Selbst für Giesinger Verhältnisse irrwitzig

TSV 1860 München

Der TSV 1860 und sein Führungspersonal: Präsident Peter Cassalette (l.) und Hasan Ismaik, Aufsichtsratsvorsitzender und Hauptanteilseigner des Zweitligisten.

(Foto: Andreas Gebert/dpa)

Der TSV 1860 München sperrt Reporter aus, die Deutsche Fußballliga ermittelt wegen möglicher Verstöße gegen die 50+1-Regel - und die teuren Personalwechsel vergrößern die Abhängigkeit von Investor Ismaik.

Von Markus Schäflein

Am Ende einer Woche, die selbst für Giesinger Verhältnisse außergewöhnlich irrwitzig war, meldete sich Hasan Ismaik mal wieder bei Facebook. Der jordanische Investor des Fußball-Zweitligisten 1860 München fand die Woche nämlich gar nicht irrwitzig, sondern nur die Berichterstattung darüber. "Die Presse will Euch ganz bewusst in die Irre führen. Ich respektiere die Pressefreiheit in Deutschland, aber das geht eindeutig zu weit", schrieb Ismaik, nachdem die bizarre Pressekonferenz zur Entlassung von Trainer Kosta Runjaic, zur Degradierung der interimsmäßigen Geschäftsführer Thomas Eichin und Raed Gerges und zur Präsentation ihres - erneut interimsmäßigen - Nachfolgers Anthony Power wenig überraschend für großes Aufsehen gesorgt hatte.

Denn Ismaik sagte bei jener denkwürdigen Veranstaltung, die Personalentscheidungen seien im Aufsichtsrat getroffen worden - einem Gremium, in dem die Investorenseite die Stimmenmehrheit hat und in dem er Vorsitzender ist; im Übrigen habe jener Aufsichtsrat beispielsweise auch das Recht, über Spielerverpflichtungen zu entscheiden; und Präsident Peter Cassalette sagte zu einer Personalfrage: "Das soll am besten Hasan beantworten. Ich bin Präsident des e.V.". Am Ende blieben Bilder und Worte, die die 50+1-Regel der Deutschen Fußball-Liga (DFL) ad absurdum führten, die sicherstellen soll, dass Vereine mit Investoren die Entscheidungshoheit behalten.

Wenig überraschend beschäftigt sich die DFL bereits mit dem Fall, sie hat den TSV 1860 aufgefordert, die detaillierten Abläufe der Entscheidungen darzulegen. Über die Abberufung und Installation der Geschäftsführung darf, so ist es dem komplizierten Konstrukt bei 1860 zu entnehmen, nämlich nur der paritätisch besetzte Beirat der Geschäftsführungs-GmbH entscheiden und keineswegs der KGaA-Aufsichtsrat. Tags darauf gab der Klub eine Pressemitteilung heraus, um zu erklären, dass er sich "in Übereinstimmung aller Gremien entschieden" habe, "den Trainer zu beurlauben". Diese Entlassung wiederum obliegt formal dem Geschäftsführer - aber von der daher entscheidenden Personalie, des Wechsels der Geschäftsführung zu Ismaiks Vertrautem, dem gelernten Maschinenbauingenieur Power, war in der Mitteilung nicht die Rede.

"Die Journalisten schreiben, dass ich die 50+1-Regel nicht akzeptieren würde", ereiferte sich Ismaik, der vor einem Jahr in London noch gesagt hatte: "Die DFL sollte die 50+1-Regel aufheben." Das sei eine "Lügenkampagne" und ein "dreckiges Spiel". Am Samstagvormittag teilte der Klub dann einen Medienboykott mit: "Sämtliche Repräsentanten der Löwen sowie die 1860-Lizenzmannschaft stehen bis auf Weiteres nicht für Interviews und Gesprächsanfragen aller Medien zur Verfügung. Im Rahmen dieser Maßnahme ist allen Medienvertretern der Zugang zum Trainingsgelände nicht gestattet." Umgehend meldete sich der Bayerische Journalistenverband, dessen Vorsitzender Michael Busch forderte Ismaik auf: "Nehmen Sie die Maßnahmen eines Redeverbots für Repräsentanten und Lizenzspielermannschaft sowie das Hausverbot - auch im eigenen Interesse - sofort zurück."

Armin Veh hat keine Lust auf Sechzig

Im Rahmen der Spieltage muss Sechzig die von der DFL vorgeschriebenen Medientermine jedoch erfüllen. Daher beantwortete Interimstrainer Daniel Bierofka nach der 1:2 (0:1)-Niederlage am Sonntagmittag beim Tabellenführer Eintracht Braunschweig auch die Fragen zu seiner ersten Niederlage als Chefcoach - in der vergangenen Spielzeit hatte er die Mannschaft mit drei Siegen in den letzten drei Partien zum Klassenverbleib geführt.

Nur 15 Werktage darf Bierofka wegen fehlender Lizenz im Amt bleiben, in der Winterpause muss ein neuer Übungsleiter übernehmen. Die nächste Frage, die der Klub beantworten muss, ist also die Trainerfrage. Armin Veh, der 2007 mit dem VfB Stuttgart die Meisterschaft gewann, galt als favorisierter Kandidat. Doch Veh ist nicht interessiert. "Ich möchte diese Saison Pause machen, und dabei bleibt es", sagte er der SZ. Ob Eichin, der nun offiziell als Sportdirektor fungiert, an der Suche beteiligt ist, ließ Ismaik bei der Pressekonferenz offen. In Braunschweig saß der degradierte Eichin jedenfalls abseits - auf der Pressetribüne, bei den Ausgesperrten.

Mittlerweile steht der Klub bei Ismaik exorbitant in der Kreide

Der Aufsichtsrat, sagte Ismaik, habe eine Liste mit Trainerkandidaten. Zur Erinnerung: Der Aufsichtsrat darf eine Liste haben, entscheiden darf er nicht. Die Trainerverpflichtung nimmt der Geschäftsführer vor, jenem gegenüber ist allein der e.V. weisungsbefugt. Derzeit erfüllen die e.V.-Vertreter um Cassalette allerdings Ismaik alle Wünsche. Und so lange die Form gewahrt wird, ist diese Vorgehensweise selbstredend 50+1-konform. Dass der Klub durch seine ständigen teuren Personalwechsel und den kostspieligen Kader mittlerweile bei Ismaik exorbitant in der Kreide steht, ist die Konsequenz, die die e.V.-Vertreter offenbar einkalkuliert haben.

Auf der Liste sollen auch zwei frühere Chelsea-Trainer stehen: Avram Grant, noch bis Jahresende Nationaltrainer von Ghana, und Roberto di Matteo, zuletzt bei Schalke und Aston Villa tätig. Beide gehören zu einem Netzwerk aus Beratern um den umstrittenen Fußball-Geschäftsmann Kia Joorabchian, das sich Ismaik in London suchte, in den Zirkeln, in denen die von Investoren geprägte große Premier-League-Welt zu Hause ist. Über Joorabchian kamen zu Saisonbeginn Ribamar und Victor Andrade nach Giesing, obwohl Runjaic und Eichin Zweifel hegten. Die Brasilianer sind allerdings langzeitverletzt; dass sie mitzuspielen haben, kann daher derzeit von keinem Gremium beschlossen werden.

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