1860 München:Protest aus St. Pauli

2. Fussball Bundesliga TSV 1860 München St Pauli

Der TSV 1860 München bat Gremiumsmitglieder des FC St. Pauli (untere Reihe) sich umzusetzen - weil sie gejubelt haben.

(Foto: Stefan Matzke/sampics)
  • Der TSV 1860 München verweigert einer Reporterin der Bild-Zeitung den Zugang zum Stadion wegen kritischer Berichterstattung.
  • Außerdem sollten Gremiumsmitglieder des FC St. Pauli wohl den Platz wechseln, weil sie über Tore ihres Teams gejubelt haben.
  • St.-Pauli-Geschäftsführer Andreas Rettig kritisiert den TSV für dieses Verhalten scharf.

Von Markus Schäflein

In der Nacht zum Sonntag meldete sich, wie es zur Tradition geworden ist beim Traditionsklub TSV 1860 München, mal wieder Investor Hasan Ismaik via Facebook mit seiner Spieltagsanalyse. Nachdem ihm zuletzt bei der 0:2-Niederlage bei Union Berlin der Rasen missfallen hatte, war es diesmal beim 1:2 gegen den FC St. Pauli die Schiedsrichterleistung. "Bis zum unberechtigten Handelfmeter, den ich bis jetzt nicht nachvollziehen kann, hatten wir Ball und Gegner im Griff", ließ der Jordanier mitteilen. "Ich hätte mir nach dem Spiel von Bibiana Steinhaus eine Entschuldigung gewünscht."

In der Tat war der Arm von Abdoulaye Ba vor Lasse Sobiechs Elfmeter zum 1:1 am Körper angelegt gewesen (32.). Allerdings beklagte im Gegenzug auch St. Pauli ein ungeahndetes Foulspiel von Ba, das dem Münchner Führungstreffer durch Lumor (27.) vorausgegangen war. Dass Sechzig umgehend ein zweites Tor verschenkte, als Lumor eine Flanke von Cenk Sahin nicht unterband und dann sowohl Ba als auch Sebastian Boenisch gegen Aziz Bouhaddouz schlecht aussahen (36.), kann man Steinhaus nicht ankreiden. Ebenso wenig, dass 1860 in der letzten halben Stunde der Partie gegen nun defensive Hamburger gar nichts mehr einfiel.

Es gab also mal wieder nicht nur die eine Wahrheit über dieses Spiel. Nicht umsonst heißt ein alter Fußballerspruch: 30 300 Zuschauer (so viele waren es am Samstag in der Arena), 30 300 Meinungen. Es hätten 30 301 Meinungen sein können, aber eine Reporterin, die normalerweise für die Bild-Zeitung über die Spiele der Löwen berichtet, war nicht anwesend - der TSV 1860 verweigerte ihr die Akkreditierung wegen ihrer Schilderung des Umgangs des Klubs mit Mittelfeldspieler Matmour. In einem Schreiben an die Redaktion hieß es, die Journalistin sei "aufgrund der jüngsten Berichterstattung um Karim Matmour beim TSV 1860 derzeit nicht willkommen".

Matmour war im Sommer als Wunschspieler des damaligen Trainers Kosta Runjaic gekommen, unter Pereira spielt er keine Rolle mehr. Er weigerte sich im Winter, seinen Vertrag aufzulösen. Matmour wurde zur U21-Mannschaft versetzt, wird nun allerdings arbeitsrechtliche Schritte dagegen unternehmen - denn jeder Lizenzspieler hat das Recht, am Training der Profis teilzunehmen.

Die Bild-Zeitung hatte hartnäckig über diese Personalie berichtet. Als der Journalistin am Freitag in der Pressekonferenz eine Antwort auf ihre Frage nach der Form von Stefan Aigner verweigert wurde, verließ sie mit einem Kollegen demonstrativ den Raum. In Livestreams im Internet war die Szene zu verfolgen - nur in jenem auf der offiziellen Facebook-Seite des TSV nicht. Dort wurde die Übertragung unterbrochen.

Es war die Weiterung eines Dauerzwists zwischen Klub und Medien. Im November hatte der von Ismaik eingesetzte neue Geschäftsführer Anthony Power zuerst einen Medienboykott, dann gar ein Hausverbot für alle Journalisten verhängt. Damals war die Berichterstattung über das Wirken des Investors im Allgemeinen der Grund.

Zuletzt entzog 1860 der Bild, der tz und dem Merkur die Dauerakkreditierungen und lässt deren Reporter, nach einem von der Deutschen Fußball Liga (DFL) moderierten Schlichtungsgesprächen, vorerst nur auf Probe zu. Auch diesmal meldete sich der Bayerische Journalisten-Verband. "Der Verein missbraucht das Hausrecht (...). Bei berechtigten Einwänden gegen eine Berichterstattung gibt es rechtliche Möglichkeiten, dagegen vorzugehen", teilte der Verband mit. "Missliebige Meinungsäußerungen sind aus gutem Grunde hinzunehmen."

Eine Stellungnahme des TSV gab es am Wochenende nicht. Auch Klubpräsident Peter Cassalette wollte sich auf SZ-Anfrage nicht öffentlich zu den Vorgängen äußern.

Dafür zeigte sich Andreas Rettig, Geschäftsführer des FC St. Pauli, verärgert über die Vereinspolitik des TSV 1860. "Wir haben ja zuletzt bereits mit Kopfschütteln den Umgang mit Medienvertretern zur Kenntnis genommen. Nun haben wir selbst unliebsame Erfahrungen gemacht", erklärte der frühere DFL-Geschäftsführer. Interviewanfragen für die klubeigenen Kanäle seien nicht beantwortet, die Kartenverteilung sei nicht kollegial geregelt worden; und vor allem: Hamburger Gremiumsmitglieder, die nach den Toren im Ehrengastbereich in Ismaiks Nähe gejubelt hätten, seien erst zur Mäßigung aufgefordert und dann gebeten worden, sich umzusetzen.

Zwar habe der TSV sich später entschuldigt, aber Rettig teilte auf der Online-Seite des FC St. Pauli mit: "Das Verhalten der Löwen-Verantwortlichen der letzten Wochen sollte auch dem letzten Fußballfan in Deutschland die Augen geöffnet haben und all denen, die nach Investoren schreien, Mahnung und Warnung zugleich sein. Wenn auf dem Altar des vielen Geldes Meinungsfreiheit und respektvoller Umgang mit Mitarbeitern, Medien und anderen Klubs auf der Strecke bleiben, dann gute Nacht Fußballdeutschland." Rettig fordert "ein Eingreifen" der Verbände: "Jedes Spruchband wird sanktioniert, und hier ist man auf beiden Augen blind."

Dass der Handelfmeter zum 1:1 unberechtigt war, hätte wohl auch die Bild-Reporterin geschrieben. Allerdings hätte sie vermutlich ergänzt, was auf Facebook nicht zu lesen war: Mit nur vier Punkten Vorsprung auf Rang 16 steckt 1860 wieder mitten im Abstiegskampf.

Und am Samstag geht es zum Dritten, nach Hannover.

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