TSV 1860 München in der Relegation:Mit der Kraft von 70 000

Adlung and his team mates of TSV 1860 Munich leave the pitch after their German second division Bundesliga soccer match against Karlsruhe SC in Karlsruhe

Eine Saison zum Vergessen: Die Spieler des TSV 1860 München

(Foto: REUTERS)
  • In der Geschäftsstelle tobt ein Machtkampf, die Mannschaft ist zerstritten. Für den TSV 1860 München steht gegen Kiel eine der wichtigsten Partien der Geschichte an. Das Hinspiel endete 0:0.
  • Nun werden 70 000 Zuschauer im Stadion erwartet. Die für eine Zweitliga-Relegation surreale Kulisse soll die Mannschaft zum Sieg tragen.

Von Markus Schäflein

Torsten Fröhling saß vor einer imposanten Bergkulisse, die Blümchen blühten, die Vögelchen zwitscherten, ein Sommertag in Tirol. Was der Trainer des abstiegsbedrohten Fußball-Zweitligisten 1860 München allerdings erzählte, während er im Rattansessel auf der Hotelterrasse lehnte, verursachte bei den angereisten Kamerateams eine Text-Bild-Schere. Aber ein wolkenverhangener Himmel als Hintergrund war an diesem Tag im spontanen Kurztrainingslager in Bad Häring nicht zu bekommen. "Um das Minimalziel zu erreichen", sagte Fröhling mit ernster Miene den Blümchen und Vögelchen zum Trotz, "müssen wir morgen gewinnen."

Der Coach hatte, immerhin, eine "gute Stimmung" bei den dauerkriselnden Fußballern des TSV 1860 erkannt - "anders als letzte Woche. Sie haben sich eingebracht, sind alle wach und dabei", betonte Fröhling. Einen Grund der Motivation hatte der Trainer auch schon entdeckt: Das Relegations-Rückspiel gegen den Drittliga-Dritten Holstein Kiel ist, nach dem 0:0 im Hinspiel, das definitiv und endgültig letzte Spiel dieser Saison: "Die Jungs fiebern dem entgegen", erklärte Fröhling, "dass man es endlich zu Ende bringt."

Es endlich zu Ende bringen. Das Schlimmste vermeiden. Mehr bleibt den Löwen nicht mehr.

Bad Häring war 2014 der Ort der guten Hoffnung für 1860, der Ort, an dem das Projekt begann - mit dem neuen Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner, dem neuen Trainer Ricardo Moniz und einer neu zusammengestellten Mannschaft. Poschner kündigte Ballbesitzfußball à la Barcelona an, Moniz die fitteste Mannschaft der zweiten Liga und obendrein die Meisterschaft, die Spieler stemmten Hanteln und stiegen in Eistonnen. Nun kehrten sie ins Hotel Panorama Royal zurück, zumindest jene, die noch übrig sind vom Projekt: ein Häuflein Aufrechter, denen Fröhling, der dritte Trainer dieser verkorksten Spielzeit, zumindest unbedingten Willen nicht abspricht.

Die Mannschaft fuhr also nicht wegen der Symbolkraft von Sonntag auf Montag und für zwei Übungseinheiten nach Tirol. Sie tat es, um der Aufregung rund um die Grünwalder Straße in München-Giesing zu entfliehen, wo die drei von Poschner verpflichteten und von Fröhling aus dem Kader gestrichenen Spanier Rodri, Edu Bedia und Ilie Sanchez trainieren.

"Die Fans müssen uns tragen"

In der 1860-Geschäftsstelle tobt derweil mal wieder ein Machtkampf, das Präsidium um Gerhard Mayrhofer würde den erfolglosen Poschner ob dessen merkwürdiger Personalpolitik längst gern loswerden. Aber während sich der jordanische Investor Hasan Ismaik nicht mehr meldet, steht dessen Münchner Vertreter Noor Basha in Treue fest zu Poschner, der nicht beim Termin in Bad Häring weilte. Wen wundert es also, dass Fröhling, der als erster Trainer dieser Saison auf Poschners Personalien keine Rücksicht nimmt und auf viele Altgediente und U21-Talente setzt, mit seiner Mannschaft nach Österreich floh? Offiziell floh sie vor traurigen, wütenden oder gar pöbelnden Anhängern, doch davon waren bei der Abreise gar keine zu sehen.

Das 0:0 in Kiel sei zwar aufgrund der Auswärtstorregel ein "gefährliches Ergebnis", mahnt Fröhling, aber eben doch eines, das Hoffnung ließ. Schon einmal gegen Kiel gespielt zu haben, empfindet der Trainer als großen Vorteil: "Jetzt weiß die Mannschaft, wie der Gegner ist, denn sie hat es am eigenen Leib erfahren", sagte Fröhling, "und sie weiß jetzt, dass Kiel zu schlagen ist." Wichtig sei es, "ganz klar dumme Freistöße zu vermeiden - denn Kiel ist sehr stark bei Standards".

Mit Spannung wird zu erwarten sein, wie die Kieler mit der für eine Zweitliga-Relegation ziemlich surrealen Kulisse in der Münchner WM-Arena umgehen werden. 50 000 Karten waren am Montag bereits verkauft, mit bis zu 70 000 Zuschauern rechnet der TSV 1860. "Es muss gelingen, dass die Fans uns tragen und wir dadurch immer selbstbewusster werden", hofft Fröhling, "die ersten Aktionen müssen gelingen, deswegen fordere ich immer, dass wir mit sehr einfachem Fußball anfangen."

Dabei soll auch Stürmer Rubin Okotie helfen, auch nach dessen heftigem Lamentieren bei der Auswechslung in Kiel kann ihm Fröhling kaum böse sein - weil er den Österreicher angesichts der Personallage und Okoties vielen Treffern in der Hinrunde braucht. "Es ist ihm nicht allzu viel gelungen, aber das war auch dem geschuldet, dass wir nicht so drückend waren und er viel auf sich allein gestellt war", beschwichtigte Fröhling, "er hat gegen Kiel auch defensiv gut gearbeitet."

Wie es mit dem renitenten, aber vergleichsweise erfolgreichen Trainer Fröhling weitergeht, weiß kurioserweise selbst für den Fall des Klassenverbleibs noch niemand - auch er selbst nicht: "Ich denke mal, dass Dienstagabend noch ein, zwei Gespräche stattfinden", sagte er, was man sich allerdings sowohl im Freudentaumel als auch in tiefster Niedergeschlagenheit eher schwer vorstellen kann: "Und wenn nicht, werde ich auch danach erreichbar sein." Ein Trainingslager zur kommenden Spielzeit im niederbayerischen Bodenmais bereitete Fröhling schon einmal vor, es ist "liga-unabhängig", wie der Klub mitteilte.

Und es ist offenbar auch trainerunabhängig. "Das habe ich alles noch gemacht", erklärte Fröhling, "weil ich der jetzige Trainer bin."

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