1860 München:Lärm und Zorn in Giesing

10 11 2018 Fussball 3 Bundesliga 2018 2019 15 Spieltag TSV 1860 München Hallescher FC im St

Ball unterm Trikot: Phillipp Steinhart wird bald Vater, aber die guten Nachrichten gingen an diesem Samstagnachmittag im Chaos unter.

(Foto: Bernd Feil/imago)

Beim 1:1 des TSV gegen Halle zieht sich der Schiedsrichter den Unmut beider Klubs zu, die Gästefans pöbeln und randalieren im Stadion und im Stadtviertel.

Von Christoph Leischwitz

Sascha Mölders schüttelte ungläubig den Kopf, der Stürmer des TSV 1860 München sah stocksauer aus. "Das Drumherum darf mich nicht beeinflussen. Das war die entscheidende Szene", sagte er nach dem Spiel. Vieles, womöglich nicht nur auf dem Feld, sondern auch auf den Rängen, wäre wohl anders gelaufen, wenn er in der 24. Minute den ersten Strafstoß dieser Partie verwandelt hätte. So aber entwickelte sich gegen den Halleschen FC eine Gemengelage, in der sich Spiel und Fan-Ausschreitungen ineinander spiegelten und gleichzeitig wohl auch bedingten; in der sich niemand mehr etwas schenkte. Danach ging es nur noch um Beleidigungen, Schiedsrichter-Entscheidungen, Verletzungen.

"Ein absoluter Witz-Elfmeter", sagt FC-Trainer Torsten Ziegner

Eine gute Nachricht war insofern der Endstand: 1:1. Hätte sich das blaue oder das rote Lager auch noch in dieser Sache benachteiligt gefühlt, die Lage wäre wohl noch weiter eskaliert. Es gab sieben Festnahmen, davon eine wegen des Zeigens des Hitlergrußes (). Im Stadion selbst flogen mehrmals Bierbecher auf den Rasen, nach einer guten halben Stunde wurden pöbelnde Gästefans von USK-Beamten aus dem Haupttribünenblock A gezogen. Nach Angaben des TSV 1860 war Halle in der aktuellen Saison der erste Verein, der das volle Gästekartenkontingent von 1500 Tickets ausgeschöpft hatte. Davon fanden, wie vorgegeben, einige auf der Haupttribüne Platz - direkt neben 1860-Fans.

Die Ereignisse vor Anpfiff und nach Schlusspfiff waren die ersten ernsthaften Zwischenfälle, seitdem 1860 München in der dritten Liga im Stadion an der Grünwalder Straße spielt. Und es bleibt abzuwarten, wie die Anwohner diese aufnehmen. Zumal nach dem Spiel die Grünwalder Straße bis südlich des Wettersteinplatzes wegen auf der Straße pöbelnder Hallenser Fans noch lange gesperrt war, der Verkehr wurde umgeleitet.

Nach der Partie ärgerten sich beide Trainer über den Schiedsrichter - und sie hatten beide nicht Unrecht. Nachvollziehbar war noch der Elfmeterpfiff von Justus Zorn in der 21. Minute, als Halles Toni Lindenhahn Adriano Grimaldi zu Fall brachte, er hatte unter anderem am Arm gezupft. Sechzigs Trainer Daniel Bierofka fand deshalb auch die anschließende Rote Karte vertretbar, "weil er ihn hält". Die so genannte Doppelbestrafung wurde im Sommer nämlich nur für den Fall abgeschafft, dass die Notbremse dem Ball gilt. Die Gästefans sahen das alles anders, und als Sascha Mölders nach einer Behandlungspause für Grimaldi zwei Minuten später zum Elfmeter bereitstand, flog noch eine Klopapierrolle in den Strafraum. Nach der x-ten Verzögerung setzte Mölders einen sehr schwachen Schuss ab, Kai Eisele konnte mühelos halten, für den Nachschuss rutschte Mölders nur noch verspätet in einen grätschenden Gegner (24.).

Beim zweiten von insgesamt drei Elfmetern musste der Schütze fast genauso lange auf die Ausführung warten. Der sehr aktive Hallenser Mittelfeldspieler Braydon Marvon Manu hatte sich mit einem Solo an den Strafraum der Sechziger gespielt, dann flog er in diesen hinein. "Eric Weeger zieht den Fuß weg, er berührt den Gegner nicht", da war sich Bierofka nach dem Ansehen der Fernsehbilder sicher. Als dann Bentley Baxter Bahn den Strafstoß verwandelte (41.), hätte dieser auch wiederholt werden können: Pascal Sohm war beim Schuss bereits meterweit in den Sechzehner gelaufen.

Auch wenn Sascha Mölders nicht gerade seinen besten Tag erwischt hatte, einen Geistesblitz zeigte er dann doch noch: einen Steilpass, blind gespielt, perfekt in den Lauf von Phillipp Steinhart. Der schoss den Ball in der langen Nachspielzeit der ersten Hälfte zwar ins Kreuzeck, wurde aber wegen einer Abseitsstellung zurückgepfiffen. Auch hier war auf den Fernsehbildern recht leicht zu erkennen, dass die Schiedsrichter falsch lagen.

"Willst du mich verarschen?", hallt es von der Bank des HFC

Die nächste Fehlentscheidung brachte dann die Gäste auf die Palme. In der 64. Minute fing Halles Keeper Eisele einen langen Ball ab, konnte diesen aber nicht festhalten, weil der eingewechselte Stefan Lex ihn rammte. Allerdings rammte Lex mit seinem Kopf Eiseles Knie und sackte sofort bewusstlos zusammen. Die Physiotherapeuten rannten aufs Feld, Zorn gab Eisele Gelb und zeigte auf den Punkt. "Ich dachte, er gibt Freistoß für die anderen", sagte Sechzigs Efkan Bekiroglu später, niemand sonst hatte in der unglücklichen Aktion ein Foul des Keepers gesehen. Von der Halleschen Bank war der Ruf "Willst du mich verarschen?" zu hören. Womöglich ein Grund, warum Schiri Zorn den FC-Trainer Torsten Ziegner später auf die Tribüne schickte. Dieser sagte später: "Ein absoluter Witz-Elfmeter. Ich glaube, ohne diesen Elfmeter hätte Sechzig heute kein Tor mehr geschossen." Es sei für ihn "immer wieder schwer zu begreifen", warum Schiedsrichter Spiele "nicht leiten, sondern entscheiden". Dem wieder ausgewechselten Lex ging es laut Bierofka recht schnell besser, auch wenn er sich hernach nicht an den Spielverlauf erinnern konnte. Übrigens traf Steinhart sicher zum 1:1 (66.).

Bierofka sprach noch von "vielen strittigen Situationen", unter anderem ging es um den einen oder anderen nicht gegebenen Elfmeter. Doch zu noch mehr Entscheidungen wollte er nichts sagen. Dem Trainer war anzumerken, dass er auch mit der Leistung seiner Mannschaft alles andere als zufrieden war: Auch mehr als 70 Minuten in Überzahl hatten wenig Linie erkennen lassen, man sei oft "zu ungeduldig" gewesen. Außerdem haderte Bierofka mit den Standardsituationen. "Da waren wir zu Beginn der Saison gefährlich, der Gegner hat sich darauf eingestellt", erklärte er. "Da müssen wir wieder hinkommen." Man sei momentan nicht in der Lage, "solche Spiele auf unsere Seite zu ziehen". Damit meint er zweikampfbetonte, hitzige Spiele, die in der dritten Liga bekanntlich häufiger vorkommen.

Steinhart ließ mit branchenüblichen Gesten (Ball unterm Trikot, Daumen im Mund) keinen Zweifel daran, dass er bald Vater wird. Auf der Haupttribüne, unweit der Halle-Fans, saß Ex-Löwentrainer Karsten Wettberg, und dieser nahm zahlreiche Glückwünsche zu seinem 77. Geburtstag entgegen. Es hätte sie schon gegeben, die guten Nachrichten an diesem Samstagnachmittag. Doch sie waren in Lärm und Zorn rund um dieses Spiel völlig untergegangen.

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