Sie hatten geführt und einen viel zu schnellen Ausgleich kassiert, sie befinden sich offiziell im Abstiegskampf und empfingen einen Aufstiegskandidaten, aber in der Schlussphase der Partie tat der TSV 1860 München etwas, das er schon lange nicht mehr getan hatte: Er spielte auf Sieg, im eigenen Stadion. „Wir haben einfach unseren Schuh über 90 Minuten runtergespielt“, sagte der neue Trainer Patrick Glöckner. Also kein gedanklicher Stollenwechsel mehr, „wir haben jetzt eine andere Ausrichtung“, erklärte auch Linksverteidiger Leroy Kwadwo, er selbst dürfe „nach vorne ein bisschen freier“ agieren.
Mit dem Sieg hatte es zwar nicht geklappt im oberbayerischen Drittliga-Duell mit dem FC Ingolstadt, doch das 1:1 (0:0) am frühen Samstagabend war dann doch ein völlig anderes als das 1:1 zwei Wochen zuvor, als Glöckner gerade erst eine verunsicherte Mannschaft übernommen hatte. Es war schon allein deswegen anders, weil die Unterstützung von den Rängen ungleich lauter war, und weil eine Schlussphase mit offenem Schlagabtausch eben mehr mitreißt. Ingolstadts Trainerin Sabrina Wittmann meinte später, sie habe sich gegen Ende gefühlt „wie in einem A-Jugendspiel“. Der Löwe darf auch wieder wild sein. Also, ein bisschen.
Wittmann hatte es kommen sehen: Sechzig habe sich „extrem verbessert“ und „extrem aggressiv“ präsentiert. Dem Tabellenvierten Ingolstadt, der wegen der überraschenden Niederlage von Dynamo Dresden mit einem Sieg noch näher an die Aufstiegsränge gerückt wäre, schien ein Remis im Grünwalder Stadion zu genügen.
Der Plan von Patrick Glöckner wäre beinahe komplett aufgegangen, und dieser Plan trat in seinem dritten Spiel als Löwen-Coach erstmals deutlich zutage: mit mehr Tempo zum Erfolg. Deshalb setzte er auf der rechten Angriffsseite von Beginn an auf Dickson Abiama, der zwar vom 1. FC Kaiserslautern ausgeliehen ist, einem Zweitligisten also, der aber seit September kein Pflichtspiel mehr gemacht hat, also wohl auch nicht gerade vor Selbstvertrauen strotzte. „Wenn man so einen Spieler holt, ist es wichtig, dass man ihn von Anfang an mit Selbstvertrauen ausstattet“, sagte Glöckner auf die Frage, warum er trotzdem von Beginn an ran durfte.
Morris Schröter, der in der Halbzeitpause bei Magentasport seine Verletzung spezifizierte (eine seltene Sehnenverletzung im Knie), fiel aus, deshalb spielte der flexible Angreifer Abiama diesmal auf der rechten Seite, und der Hauptgrund ist schlicht seine Geschwindigkeit. „Finde ich geil“, sagte der Routinier Thore Jacobsen, „ein ganz anderer Spielertyp, wir haben sonst immer so quirlige. Jetzt mal einen geradlinigen, schnellen Spieler, das tut uns gut.“
Trainer Glöckner sagte, was sich wohl viele Fans dachten: „Können wir öfter so spielen.“
Es scheint so, als hätten die Sechziger in der nun beendeten Transferphase erfolgreich für Belebung gesorgt, der ebenfalls gerade erst verpflichtete Anderson Lucoqui kam noch für ein paar Minuten aufs Feld. Andererseits werden sie auch deshalb dringend benötigt, weil in Maximilian Wolfram (85.) und Sean Dulic (90.) gleich zwei Spieler verletzt ausgewechselt werden mussten. Glöckner hatte vor dem Spiel eine Überraschung angekündigt. Die Überraschung war, dass Kapitän Jesper Verlaat noch nicht im Kader stand, nach langwieriger Verletzung aus Sicherheitsgründen.
Wolfram hatte Sechzig 20 Minuten vor seiner Verletzung mit einem beherzten, aber auch haltbaren Schuss in Führung gebracht (64.), zu diesem Zeitpunkt hochverdient, vor allem dank des stets aktiven Abiama, der Ingolstadts Keeper Pelle Boevink in der 59. Minute beinahe überwunden hätte. Viele Chancen gab es aber auf beiden Seiten nicht, das war aber für die Löwen insgesamt eine gute Nachricht, Ingolstadt ist nämlich die Mannschaft mit den meisten erzielten Toren in der dritten Liga (48). Tatsächlich ärgerten sich die meisten Sechziger über das Unentschieden, vor allem Kwadwo, der am 1:1 durch den eingewechselten Sebastian Groenning nicht ganz unschuldig war – der Angreifer war ihm vor dem Kopfball „entwischt“, wie er sagte (69.). Abiama übrigens hätte den Flankengeber Felix Keidel auch ein wenig energischer angehen können. „Der Ausgleich ist zu schnell gefallen, wir hätten eigentlich gewinnen können“, sagte der 26-jährige Nigerianer.
„Fußballerisch hat das mal wieder ein bisschen anders ausgesehen als davor“, sagte Thore Jacobsen. Es überwiegen die positiven Eindrücke. „Wenn ich sehe, wie meine Mannschaft vor zwei Wochen gegen Stuttgart II (ebenfalls 1:1) und heute gespielt hat – da haben sich die Jungs schon was aufgebaut“, freute sich Trainer Glöckner. Und sagte das, was sich wohl auch viele Anhänger denken: „Können wir öfter so spielen.“ Zugleich wird die Mannschaft erst einmal weiter der Außenseiter bleiben, zum Beispiel auch am kommenden Sonntagabend beim Aufstiegsaspiranten Dynamo Dresden.