Ganz sicher hätte Torwart Marco Hiller in seinem dreihundertundvierten Spiel für 1860 München noch einmal zu null gespielt, aber diese Hoffnung war nach 90 Sekunden zunichtegemacht. Unter anderem von einem, der in der kommenden Saison zu eben jenem Verein zurückkehrt, den Hiller nach 17 Jahren verlässt. „Ich wollte zeigen, was ich kann, hier vor den Fans“, sagte Kilian Jakob, der nur ein Jahr jünger ist als Hiller, aber im Jahr 2017, in jenem Katastrophen-Frühling der Löwen, schon höhere Ambitionen und deshalb die Heimat verlassen hatte. Jakob gab am Samstag die Vorlage zur 1:0-Führung für Erzgebirge Aue am letzten Spieltag dieser Drittliga-Saison, es war zugleich das finale Tor, das Hiller im Löwen-Trikot hinnehmen musste. Außer freilich, der 28-Jährige kehrt ebenso eines Tages noch einmal zurück, wie es viele erfahrene Spieler gerade tun. Auch Jakob: Der Verteidiger ist gereift, bringt Selbstbewusstsein mit und will dafür sorgen, dass in der kommenden Saison „nicht nur die Namen Volland und Niederlechner da stehen, sondern auch Jakob“.
Und so wurde dieser Samstagnachmittag zu einer Schnittstelle zwischen Nostalgie und Zukunftshoffnung bei Sechzig. Nostalgie auch deshalb, weil die Fans aus Anlass des 165. Vereins-Geburtstags eine weitgehend in Grün gehaltene Choreografie aufzogen. Dass gegenüber dem Stadion von einem Dach roter Rauch aufstieg und der Schriftzug „München ist rot“ zu lesen war, erinnerte dann auch nur an die glorreichen Zeiten, in denen man mit den sogenannten Seitenstraßlern in derselben Liga spielte. Hiller selbst übrigens sprach nur mit den Fans, auf dem Zaun stehend via Megafon, mit den Medien sprach er nicht. Durchaus ein Indiz dafür, dass man kritische Töne zu seinem Abschied verhindern wollte. Dass zugleich auch Torwarttrainer Harry Huber geht, lässt darauf schließen, dass die langwierigen Querelen um die Torhüterposition bei allen Beteiligten Spuren hinterlassen haben. Hillers Abschied, sagte Kapitän Jesper Verlaat, „geht nicht spurlos an einem vorbei. Es ist sehr schade, mir persönlich geht da auch ein großes Stück verloren, weil wir zusammen sehr viel erlebt haben“.
Die Partie übrigens war bedeutungslos für beide Mannschaften, sie endete 1:1 (0:1), weil Jakob dann auch noch einen Elfmeter zugunsten 1860 verschuldete (Thore Jacobsen traf, 52.). Große Emotionen gab es vor dem Anpfiff nur für Hiller, der schon bei den offiziellen Verabschiedungen vor Anpfiff mit Sprechchören gefeiert wurde. Und ein bisschen für den Ex-Spieler und Co-Trainer Stefan Lex, der eine familiäre Auszeit nimmt, und vielleicht ja auch zurückkehrt. Ebenso wie Angreifer Dickson Abiama, dessen Leihe endet, der aber womöglich wiederkommt, falls sich sein Heimatklub 1. FC Kaiserslautern für eine erneute Leihe entscheidet. Ansonsten wurden in Erion Avdija, Moritz Bangerter, Marlon Frey, Tim Kloss, Leroy Kwadwo und Raphael Ott Spieler verabschiedet, die keine Hauptrollen gespielt hatten.
Das realistische Saisonfazit von Jesper Verlaat war dann auch gleich auf die kommende Spielzeit gerichtet: „Wir haben es nicht geschafft, wirklich Konstanz hineinzubringen. Das müssen wir hinbekommen, dass die Extreme nicht so groß sind.“ Die Löwen schließen die Saison auf Platz elf ab. Doch Sechzig kann gar nicht anders, als um den Aufstieg mitspielen zu müssen, nach acht Jahren in Liga drei erwartet das jeder Fan. Der noch einmal auf einem Banner festgehaltene Wunsch „Baut das Sechzger aus“ macht ja vor allem mit Blick auf die zweite Bundesliga Sinn.
Die Erwartungshaltung bei Sechzig ist immer groß und womöglich für die fehlende Konstanz verantwortlich
Tunay Deniz, ebenfalls ein Führungsspieler jenseits der 30, sprach zunächst darüber, dass es jetzt auch von Hiller ein an die Wand gemaltes Bild in der Kabine gibt. Danach erwähnte er Druck und Erwartung, die bei Sechzig herrschen – und womöglich für die Leistungsschwankungen bei den Löwen verantwortlich sind. „Das erste Jahr bei Sechzig ist immer besonders, man muss erst mit der Situation umgehen“, sagt er. Vielleicht bauen sie auch deshalb auf erfahrene Leute wie Kevin Volland und Florian Niederlechner, Typen, die sicherlich keine Ladehemmung bekommen, wenn sie in Liga drei auf Platz eins stehen.
Patrick Glöckner konnte am Schluss gar nicht richtig mitfeiern, er saß wegen einer Rotsperre diesmal in einer Kabine über der Haupttribüne. Was den Vorteil hatte, dass er sich auf der Treppe stehend volksnah geben konnte, mit Selfies und Trikot-Unterschriften. Zwei Tage vor dem Spiel war seine Vertragsverlängerung bekannt geworden, dem Vernehmen nach soll sich diese auch deshalb so lange verzögert haben, weil Glöckner einen konkurrenzfähigen Kader fordert. Auch er weiß: Bei 1860 München kann es schon auf Rang zehn unruhig werden. Auf den Kader angesprochen, sprach Glöckner aber vor allem erst einmal von „zwei prägenden Spielern“, deren Kommen schon bekannt ist, und „auf die wir unser Spielsystem ein bisschen abstimmen müssen.“
Geht es künftig wirklich nur noch um Niedervolland? Verlaat plädiert dafür, die Verantwortung auf viele Schultern zu verteilen. Ein großer Teil der Mannschaft bleibt zusammen, für die kommenden Tage und Wochen sind zudem ein paar Verpflichtungen zu erwarten.