Süddeutsche Zeitung

1860 München:Die nächste Breitseite

Der Fußball-Drittligist aus Giesing fordert mal wieder mehr TV-Gelder für die dritte Liga und gefällt sich in der Rolle des armen Außenseiters, der auf den eigenen Nachwuchs setzt - etwa auf Niklas Lang.

Von Christoph Leischwitz

Semi Belkahia sei ja einer seiner "Lieblingsspieler", sagte Michael Köllner am Donnerstag, und erklärte dann auch ganz ausführlich, warum: er sei ein "abgezockter Spieler", mit Zweikampfhärte, aber auch einer gewissen Lässigkeit im Spiel. Das Problem ist nun, dass der Innenverteidiger nach 44 Einsatzminuten in der neuen Drittliga-Saison erst einmal ausfällt, nachdem er sich den Knöchel verknackst hat. Da ist es natürlich von Vorteil, dass der Trainer noch mehr Lieblingsspieler hat, und wenn alles gut läuft, gehört in wenigen Wochen vielleicht ja auch noch ein 19-Jähriger dazu, der Belkahia ersetzen soll. Man habe "vollstes Vertrauen in Niki Lang", sagt Köllner - wohl auch an diesem Samstagnachmittag (14 Uhr) beim schweren Auswärtsspiel gegen den SV Wehen Wiesbaden. Es könnte zwar sein, dass Quirin Moll aus dem defensiven Mittelfeld nach hinten gezogen wird; Niklas Lang allerdings wird in den kommenden Wochen auf jeden Fall öfter zum Einsatz kommen. Denn sonst müssten sie ja bei 1860 München nicht betonen, wie sehr sie ihm vertrauen.

Fast wirkt es, als sähen sich die Sechziger als Gralshüter. Eigentlich war die eingleisige dritte Liga im Jahr 2008 auch deshalb eingeführt worden, um Nachwuchsspielern, insbesondere den deutschen, eine Bühne zu bieten und sie besser entwickeln zu können. Mittlerweile besteht aber auch diese Liga zu einem Großteil aus Vereinen, die mit dem Zukauf erfahrener Spieler so schnell wie möglich aufsteigen wollen - bereits bestehende finanzielle Probleme sind dabei oft kein Hinderungsgrund. Der TSV 1860 München allerdings fühlt sich zurzeit ganz wohl in der Rolle, hochoffiziell ein finanzieller Außenseiter zu sein und trotzdem zu den Spitzenteams zu gehören, ein Verein, der selbstverständlich gerne auf seine Eigengewächse setzt. Erst am Donnerstag schoss Geschäftsführer Günther Gorenzel die nächste Breitseite in Richtung des Deutschen Fußball-Bunds (DFB): Wenn sich die Spielklasse den beiden oberen, von der Deutschen Fußball-Liga (DFL) privatwirtschaftlich geführten Ligen angleichen soll, warum bekommt 1860 München dann nicht mehr Geld aus dem TV-Topf, wo die Löwen doch so oft im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt werden?

"Morgen 14 Uhr, alle nach Gilching kommen!" Cheftrainer Köllner ist gut informiert über den Sechzig-Nachwuchs

In dieser politischen Konstellation wäre es widersinnig, nicht auf die eigene Jugend zu setzen. Und für Belkahia, der im Übrigen nicht so lange ausfallen wird wie befürchtet, einen zusätzlichen Spieler zu holen. Gut möglich, dass auch die Sechziger auf Shoppingtour gehen würden, wenn sie könnten, doch Köllner ist eben auch ein Trainer, der gerne aus der Not eine Tugend macht und die Linie des Vereins vorlebt. "Morgen 14 Uhr, alle nach Gilching kommen!", das hatte der 51-Jährige durch den Raum gerufen, als die erste Präsenz-Pressekonferenz nach dem 1:0-Sieg gegen Würzburg beendet war. Die zweite Mannschaft in der Bayernliga anzuschauen, ist Pflicht, wollte er damit sagen (die U21 bestreitet wegen eines Wasserschadens am Gebäude des Nachwuchs-Leistungszentrums ihre Heimspiele derzeit außerhalb). Selbstredend sieht sich Köllner alle Spiele des Nachwuchses an, wenn die Zeit es zulässt, er stehe in sehr engem Austausch mit deren Trainer Frank Schmöller und kann ziemlich genau aufzählen, welches Talent schon wie viele Einsatzminuten hatte.

Und auch, wenn es in der vergangenen Saison meist gut geklappt hat, wenn die Sechziger improvisieren mussten, so ist es doch alles andere als angenehm, dass Köllner nun gleich auf zwei Baustellen in der Abwehrkette teeren muss. Yannick Deichmann war zum Auftakt rechts hinten eingesprungen für den noch länger fehlenden Marius Willsch. Der Zugang vom VfB Lübeck ist eigentlich Mittelfeldspieler, aber eben auch geholt worden, weil er so flexibel einsetzbar ist.

Was Lang angeht, so habe man überhaupt keine Sorgen, einen 19-Jährigen in der Innenverteidigung einzusetzen. Lang ist kopfballstark. Und nervenstark wohl auch, das hat er bereits in mehreren Einsätzen bewiesen, in der vergangenen Saison musste er einspringen, als sich Sechzig über den Toto-Pokal für den DFB-Pokal qualifizieren wollte, und machte im Derby gegen die SpVgg Unterhachings seine Sache gut. Dem Münchner Merkur erzählte er damals, ja, vielleicht habe es ja geholfen, sein Profi-Debüt ohne Zuschauer bestreiten zu können. Jetzt wird es das erste Mal vor einer größeren Kulisse sein, aber auch das ist ja ein Debüt: dass bei einem Auswärtsspiel auch wieder Sechzig-Fans dabei sein werden, um anzufeuern.

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