1860 München:Der Erpressungsversuch des Hasan Ismaik

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Hasan Ismaik im Trainingscamp One Troia (Portugal) im Januar 2017. (Foto: MIS/Imago)
  • Eine Korrespondenz zwischen Investor Hasan Ismaik, Geschäftsführer Ian Ayre und Präsident Peter Cassalette, die der SZ vorliegt, zeigt, was vor dem Relegationsspiel des TSV 1860 München im Hintergrund geschah.
  • Demnach stellte der Investor als Gegenleistung für weitere Gelder teils unerfüllbare Forderungen an den Verein.
  • Nun droht den Löwen die Insolvenz und der Sturz in die vierte Liga.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider, München

Um zu begreifen, wie irre diese Tage auf Giesings Höhen selbst für die Verhältnisse des an wahnwitzigen Wochen, Monaten und Jahren nicht armen TSV 1860 München sind, empfahl sich am Mittwoch ein Besuch im Löwenstüberl. Der 31. Mai 2017 war der Tag, an dem auch noch Christl Estermann bekannt gab, dass sie keine Lust mehr hat auf das Chaos an der Grünwalder Straße. Nach 23 Jahren unermüdlichem Einsatz für ihre Kunden wird sie ab dem 30. Juni keine ihrer vorzüglichen Schinkennudeln mehr zubereiten. Mit dem Abstieg der Löwen in die dritte Liga, der am Abend zuvor mit einem 0:2 im zweiten Relegationsspiel gegen Jahn Regensburg besiegelt worden war, habe ihre Entscheidung zwar nichts zu tun, sagte Estermann. Aber dass die Christl nun auch noch den Löffel fallen lässt, das fügt sich ins Bild der großen Rücktritts-Welle, die den TSV 1860 München erfasst hat.

Trainer Vitor Pereira ist weg. Präsident Peter Cassalette ist weg. Geschäftsführer Ian Ayre ist weg. Und fast alle Spieler werden auch weg sein. Torwart Jan Zimmermann verließ das Vereinsgelände am Mittwoch mit einem Koffer, der so groß war, dass man davon ausgehen musste, dass er nicht zurückkommt. Kai Bülow, Relegationsheld von 2015, wurde fast gleichzeitig beim Karlsruher SC als Zugang präsentiert. Und Sascha Mölders verabschiedete sich bei Facebook von den Fans, er sei nun vertragsfrei - und gönnte sich noch eine Spitze gegen Trainer Pereira: "Die ganze Zeit haben wir zu hören bekommen: Wir spielen so guten Fußball und sonst noch was. So ein Scheiß. Was spielt man bitte in der zweiten Liga für schönen Fußball?" Christian Gytkjaer und Stefan Aigner, für horrende Ablösen von je rund 2,5 Millionen Euro gekommen, sind durch den Abstieg auch vertragslos - und weg.

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Und zu befürchten steht, dass bald auch noch der ganze Profiklub weg sein wird.

Bis zu diesem Freitag muss 1860 auf dem Konto seiner Fußballfirma den Eingang weiterer elf Millionen Euro nachweisen. Ansonsten erhält der Klub vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) nicht einmal eine Lizenz für die dritte Liga. Zahlen müsste, mangels Alternative, Investor Hasan Ismaik. Aber will er noch zahlen?

Und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Ausgelöst hat die vielen Rücktritte Ian Ayre, der ehemalige Geschäftsführer aus der Premier League. Der Mann, der einst Jürgen Klopp zum FC Liverpool lotste, war ja die große Hoffnung bei 1860 gewesen. Und er hatte angekündigt, selbst in der dritten Liga bleiben zu wollen. Dann entschied er sich anders. Er entschied sich zum Abschied, noch bevor das Spiel am Dienstagabend überhaupt angepfiffen war.

Und wer verstehen will, warum Ayre geht, bevor er überhaupt losgelegt hat, muss wissen, was in den vergangenen Tagen hinter Giesings Kulissen verhandelt wurde. Eine schriftliche Korrespondenz, die der SZ vorliegt, zeigt, was bis zum Anpfiff des Relegationsspiels im Hintergrund geschehen ist: Investor Ismaik, Geschäftsführer Ayre und Präsident Peter Cassalette korrespondierten über ihre Anwälte. 1860-Finanzdirektor Michael Scharold hatte zunächst bei Ismaik angefragt, wann mit dem Zahlungseingang der für die Zweitliga-Lizenz notwendigen 23,1 Millionen Euro (!) auf dem Konto der 1860-Kapitalgesellschaft für die Profiabteilung (KGaA) zu rechnen sei. Anstelle einer persönlichen Antwort ging tags darauf das erste Schreiben von Ismaiks Anwalt vom 24. Mai ein. Adressiert war es an Vereinspräsident Cassalette und an Geschäftsführer Ayre: "Wie ich bereits in meiner WhatsApp Nachricht an die Verwaltungsräte am 9. Februar 2017 ausgeführt habe (...), setzt jedes weitere Investment von HAM ( Ismaiks Fußballfirma, d. Red.) die Verpflichtung des e. V. voraus, die zahlreichen Probleme zu lösen, die die KGaA und den Fußballverein bisher davon abgehalten haben, sich weiter zu entwickeln, insbesondere in der Zeit meines Investments."

Der Jordanier stellte in dem Brief sechs Forderungen. Zum Beispiel die partielle Abschaffung des Weisungsrechts des e. V. an den KGaA-Geschäftsführer - was strikt gegen geltende Regularien der Bundesliga (DFL) verstoßen würde; oder auch die Übertragung des gesamten Jugendbereichs an die KGaA. Nahezu fassungslos - und das darf als exemplarisch gelten für die sechs Jahre lange Liaison mit Ismaik - macht der Dilettantismus von Ismaiks Anwalt: In dem Schreiben fordert er die Eingliederung der A-Jugend in die KGaA, dabei ist diese dort schon seit Jahren verankert. Zudem forderte Ismaik die Verlegung von Kompetenzen aus dem paritätisch besetzten Beirat der KGaA in den Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender er ist und in dem er die Mehrheit besitzt.

Der e.V. schrieb am 26. Mai zurück - und erklärte, dass er grundsätzlich zur Erfüllung dieser Bedingungen bereit, hierbei aber auf die Zustimmung der DFL und die Mitarbeit der KGaA angewiesen sei. Ismaik antwortete noch am selben Tag: "Ich weiß es zu schätzen, dass Sie meine Bedingungen als angemessen und akzeptabel einschätzen, auch wenn ich feststellen muss, dass Sie zwar bei allen Themen sagen, dass Sie bereit seien, diese zu akzeptieren - aber tatsächlich nicht ausdrücklich Ihr Einverständnis geben."

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Am Ende sah sich Ayre noch vor dem letzten Relegationsspiel gezwungen, von seinem Amt zurückzutreten. Weil er vermutete, dass der Klub selbst dann wohl nicht mehr zu retten gewesen wäre, wenn er sportlich noch die Kurve bekäme. Denn Ismaik verabschiedete sich prägnant: "Bitte sehen Sie davon ab, weiter mit mir zu korrespondieren, sofern Sie nicht die vollständige und bedingungslose Bestätigung haben, dass sämtliche Bedingungen aus meinem Brief fristgemäß erfüllt werden."

Nun muss man sich in die paradoxe Situation all der Verantwortlichen bei 1860 versetzen, die schon vor dem letzten Relegationsspiel von diesem unerfüllten Erpressungsversuch Ismaiks wussten. Wie hätten Ayre und Cassalette reagieren sollen, hätte Sechzig gegen Regenburg gewonnen? Hätten sie jubeln und klatschen sollen, obwohl ihnen klar gewesen wäre, dass der Jordanier auch so nicht das für die Zweitliga-Lizenz notwendige Geld überweisen würde? Dem Vernehmen nach soll Ayre den Gedanken als unmoralisch empfunden haben, einerseits für das Spiel Werbung zu machen, um die Arena zu füllen. Andererseits aber die Zuschauer im Unklaren darüber zu lassen, dass ihr Jubel wohl vergeblich sein würde. Zumal die Frage ist, wer die vielleicht letzten Einnahmen erhält; nach SZ-Informationen bekamen einige Spieler zuletzt keine Gehälter mehr.

Rainer Koch, der Präsident des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV), richtet sich bereits auf eine Insolvenz der Löwen ein. Die Drittliga-Lizenz sei "nicht zu erlangen, ohne dass es zu weiteren Zahlungen von Herrn Ismaik kommt", bestätigte Koch. Er könne versprechen, "dass wir gegebenenfalls auch Platz für eine 19. Mannschaft in der Regionalliga Bayern hätten".

Ismaik kündigte auf Facebook allerdings an, nicht aufzugeben: "Ich appelliere an alle Löwen-Fans, die ernsthaft und verantwortungsvoll am Wiederaufbau des TSV 1860 interessiert sind, sich mir bei der Umsetzung der nötigen Änderungen anzuschließen", teilte er mit; gemeint sind sein Forderungskatalog und die Trennung von allen Funktionären, die ihn nicht umgesetzt haben. Der Klub sei "momentan geprägt von skrupellosen Machtkämpfen und internen Querelen".

1860 ist jedenfalls erstmals seit 24 Jahren nur noch dritt-, vielleicht sogar viertklassig. 1994, als es bisher letztmals hoch in die Bundesliga ging, hieß der Trainer Werner Lorant. Er trank seinen Espresso bei der neuen Wirtin Christl Estermann.

© SZ vom 01.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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