Michael Köllner bei 1860 München:Er hat schon einmal einen Löwen großgezogen

Michael Köllner

Michael Köllner entdeckte in Nürnberg einst den 20-jährigen Eduard Löwen - jetzt coacht der 1860 München.

(Foto: Christian Charisius / dpa)
  • 1860 München holt den einstigen FCN-Trainer Michael Köllner, der nun mit weniger Geld auskommen muss.
  • Köllner gilt als Coach, der auch ein Auge auf die Jugend und die Ausbildung hat.

Von Philipp Schneider

Gut, das ging jetzt doch zackig. Vier Tage nach einer für alle Verantwortlichen angeblich so überraschenden Flucht eines Trainers sogleich einen neuen Übungsleiter vorzustellen, das wäre selbst in einem normalen Fußballklub eine sogenannte schnelle Lösung gewesen, wie es im Branchendeutsch so schön heißt. Für den Drittligisten TSV 1860 München, den Verein mit den kompliziertesten Abstimmungswegen der Welt, der in der Vergangenheit auch schon mal Monate darüber nachgedacht hat, ob er einen Spieler leiht oder nicht, sind vier Tage Trainersuche fast schon eine Sensation.

Aber bei der Blitz-Verkuppelung von Sechzig und Michael Köllner kamen in dieser Woche halt einige verhandlungsverkürzende Elemente zusammen. Der Verein brauchte dringend eine positive Meldung, um die vielen traurigen Überschriften nach dem Abschied von Daniel Bierofka möglichst schnell und möglichst dick zu überpinseln. Und der erst im Februar beim 1. FC Nürnberg entlassene Michael Köllner? Er war halt bereit. Sogar sowas von bereit! Köllner saß quasi mit gepackter Trainingstasche und Stollenschuhen an den Füßen an seinem Schreibtisch in Fuchsmühl und wartete darauf, dass das Telefon klingelt.

So ähnlich hat es der 49-Jährige zumindest erst vor wenigen Tagen in einem Interview auf heimatsport.de erzählt, in dem es unter anderem darum ging, dass Köllner gerade ein Team aus Co-, Torwart- und Athletiktrainer um sich herum aufgebaut habe, das im Paket jederzeit von einem neuen Arbeitgeber abrufbar sei. "Ich muss ja, wenn es so weit ist, auf alle Eventualitäten vorbereitet sein", hat Köllner über seine originelle Paketlösung erzählt. "Am Ende sprechen wir hier von einer Topvorbereitung auf die nächste Herausforderung." In jedem Fall, das sagte er auch, springe er "nicht auf den erstbesten Zug auf".

Nur um im Bilde zu bleiben, das Köllner als Sohn eines Lokführers mit gewisser Expertise gewählt hat: Der erstbeste Zug ist 1860 ja tatsächlich nicht. Eher schon der speziellste. Sechzig ist eine Bummelbahn mit zwei Eigentümern, von denen der eine nach Norden, der andere nach Süden fahren will. Und die ansonsten noch durch eine ungewöhnlich hohe Fluktuation an Zugbegleitern und eine große Zahl von für die Fahrgäste überraschenden Gleiswechseln hervorsticht. Kann man auf so eine Bahn überhaupt topvorbereitet sein?

Köllner sei "ein echter Spieler-Entwickler, der aber auch über Jahre Trainer ausgebildet hat", sagte Sechzigs Sport-Geschäftsführer Günther Gorenzel in der Pressemitteilung zur Verpflichtung Köllners, die die Münchner am Samstag nach dem 1:0-Auswärtssieg beim Halleschen FC verschickten. Aus seinem Trainerpaket bringt Köllner demnach zumindest den Regensburger Günter Brandl, 57, mit, der ihm als Assistent zur Seite stehen wird. Auch dank Köllners Arbeit, lobt Gorenzel, habe der 1. FC Nürnberg "eine wirtschaftlich schwierige Phase überstehen und gleichzeitig sportliche Erfolge feiern" können. "Das ist genau das, was wir für den TSV 1860 wollen und brauchen."

Spitze gegen Bierofka?

Wer mochte, konnte in dieser Formulierung eine Spitze gegen Bierofka erkennen. Bekanntlich macht auch 1860 derzeit eine wirtschaftlich schwierige Phase durch, nachdem innerhalb des Klubs die Entscheidung getroffen wurde, einen rigorosen und offenbar alternativlosen Konsolidierungskurs ohne weitere Darlehen von Investor Hasan Ismaik einzuschlagen. Bierofka, dem die Verantwortlichen in der Vergangenheit mehrfach nahegelegt hatten, er solle bitteschön "kreativ" arbeiten und mehr Talente in die erste Mannschaft integrieren, hatte seinerseits darauf verwiesen, er benötige neue Spieler, ansonsten drohe der sportliche Absturz.

Entsprechend liest sich die Pressemitteilung so, als wären die Konsolidierungslöwen zuversichtlich, in Köllner den für ihren Kurs nötigen Konsolidierungstrainer gefunden zu haben: Einen Oberlöwen, der nicht nach mehr Geld ruft, sondern Babylöwen aus der eigenen Höhle ans Licht führt.

Den Ruf, dies zu vermögen, hat sich Köllner beim Club erarbeitet: Als er vor zweieinhalb Jahren vom Leiter des Nachwuchsleistungszentrums zum Cheftrainer des 1. FC Nürnberg befördert wurde, verblüffte er das Publikum bei seinem Debüt mit einem Spieler, den er aus dem Nachwuchs zu den Profis beförderte: Eduard Löwen. Der Club stand damals nicht weit entfernt von der Abstiegszone der zweiten Liga, Köllner gewann auch dank des 20-jährigen Löwen - und ein Jahr später galt dieser als eine der Stützen der Nürnberger Bundesliga-Aufsteiger. Lange her alles, klar. Aber Gorenzel wird auch an die Episode mit Löwen gedacht haben, als er sich für Bierofkas Nachfolger entschied.

Im Februar wurde Köllner bei den Nürnbergern als Tabellenletzter entlassen, am Ende der Saison stiegen die Franken wieder ab. Seiner Verabschiedung aus Nürnberg konnte Köllner im Nachhinein allerdings auch viel Positives abgewinnen. "Ich hatte Zeit, mich persönlich weiterzuentwickeln", hat er erzählt. "Wo kann man denn mit 49 Jahren einmal aussteigen und analysieren: Wo stehe ich im Leben? Was will ich verändern?"

Diesen Pioniergeist, der ihn nun also zum TSV 1860 München trieb, hat Köllner schon im Alter von zehn Jahren verspürt. Damals entschied er sich, von Fuchsmühl nach Weiden umzuziehen, um dort das Klosterinternat zu besuchen. 30 Kilometer entfernt von seiner Heimat tat sich für ihn eine fremde Welt auf. Er musste mit 20 Buben in einem Zimmer schlafen. Jede Nacht habe "gefühlt einer geweint, weil er Heimweh hatte", erzählte er einmal. "Die Bundeswehr danach war ein Ferienlager." Dort machte er eine Ausbildung zum Zahnarzthelfer, weil ein Bundeswehr-Zahnarzt gefragt hatte, ob er bei ihm arbeiten wolle. Die Abschlussprüfung schrieb er mit 300 Mädchen, und auf dem Zeugnis musste das "in" von Zahnarzthelferin mit dem Filzstift durchgestrichen werden.

Darauf war Michael Köllner sicher auch nicht topvorbereitet. Aber er hat schon mal bewiesen, dass er blitzschnell improvisieren kann.

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