1860: Interview mit Präsident Schneider:Seele nicht verkauft? "Wir müssen es beweisen"

Präsident Dieter Schneider über seinen Plan, nach dem Einstieg des Investors alle Fans von diesem Schritt zu überzeugen, warum der TSV 1860 am 15. Juli schuldenfrei ist und wer im neuen Aufsichtsrat sitzen könnte.

Interview: Gerald Kleffmann und Markus Schäflein

SZ: Herr Schneider, nachdem die Insolvenz des Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München abgewendet wurde und der Investor, der jordanische Geschäftsmann Hasan Ismaik, Ende Mai durch den Kauf von 49 Prozent der stimmberechtigten KGaA-Anteile eingestiegen ist - wie geht es Sechzig heute?

TSV 1860 München - Hasan Ismaik

Dieter Schneider, Präsident des TSV 1860 München, zusammen mit seinem "Partner"  Hasan Ismaik.

(Foto: Frank Leonhardt/dpa)

Schneider: Sehr gut. Ich denke, wir haben noch einige Arbeit vor uns, wir müssen uns jetzt organisieren, auch mit dem Investor, wobei ich Wert darauf lege, dass wir nicht mehr Investor sagen, sondern Partner. Alles in allem läuft es in die richtige Richtung.

SZ: Wenn man zu 1860 geht, das Training besucht oder mit Mitarbeitern spricht, hat man das Gefühl, es hat sich noch nicht so viel verändert.

Schneider: Zunächst mal müssen die Veränderungen von innen heraus kommen. Es muss ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entstehen und ein Gefühl des gegenseitigen Vertrauens der einzelnen Abteilungen, der einzelnen Protagonisten. Da sehe ich sehr gute Fortschritte.

SZ: Der Investor hat 18 Millionen Euro bezahlt, das klingt nach viel. Wie viel ist davon noch übrig? Sind schon alle Schulden getilgt worden?

Schneider: Sie sind alle gezahlt worden, bis auf die 2,1 Millionen an den FC Bayern. Dieser Betrag stammt aus alten Zeiten mit einer Stundungsvereinbarung, die zum 15. Juli fällig ist - da sind wir jetzt auch mal ganz genau.

SZ: Am 15. Juli ist 1860 schuldenfrei?

Schneider: Wenn Sie so wollen, ja. Wenn Sie fragen, ob das Geld weg ist - es ist nicht weg, aber verplant. Bis zum Ende der nächsten Saison, entsprechend unserem Budget, wird das Geld gebraucht. 2012/13 wollen wir ja dann mindestens ein ausgeglichenes Ergebnis erzielen.

SZ: Wo steuert 1860 jetzt hin?

Schneider: Zunächst einmal in eine gesicherte Zukunft. Es ist unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass wir nicht gleich wieder durchdrehen und anfangen, zu schnell Dinge anzupacken, die uns wieder ins Chaos führen. Wir wollen in dieser Saison gut vorne mitspielen. Mittelfristig ist natürlich der Aufstieg in die erste Liga unser Ziel, völlig klar.

SZ: Wann kommen die nächsten Millionen des Investors nach, die dann direkt in die Mannschaft fließen? Gibt es schon Vereinbarungen?

Schneider: Wir wollen jetzt erst einmal sehen, wie weit wir mit dieser Mannschaft kommen, die ja zum Großteil aus den bisherigen Spielern besteht und sinnvoll ergänzt wurde. Dann werden wir uns in der Winterpause zusammensetzen und mit dem Partner darüber nachdenken, ob und was noch nötig ist.

SZ: Haben Sie schon mal überlegt, was passiert, wenn 1860 nach fünf Spieltagen Elfter ist? Es gibt eine gewisse Erwartungshaltung beim Publikum.

Schneider: Natürlich. Die ist auch bis zu einem gewissen Grad in Ordnung. Ich selbst bin jemand, der die Leistung der Mannschaft oder der Betroffenen nicht nach einem oder zwei Spielen beurteilt, sondern nach dem Gesamteindruck. Aber ich gebe Ihnen recht: Wenn wir irgendwo ab Platz zehn abwärts herumdümpeln würden, wäre das nicht so gut.

"Sehr fürsorglich von Uli Hoeneß"

SZ: Das sportliche Team ist geformt. Wie sieht es hinter den Kulissen aus, da wird ja auch einiges neu strukturiert?

Schneider: Für die Finanzen haben wir nun einen Mann, der uns auf Honorarbasis unterstützt. Axel Schiller ist ein freier Steuerberater, der über Herrn Hamada Iraki (Münchner Statthalter von Ismaik; d. Red.) zu uns gekommen ist. Er hilft mit, auf der finanziellen Seite Kontinuität hineinzubringen. Wie es dann langfristig aussieht, muss man sehen.

SZ: Ein Schwachpunkt war seit Jahren der Aufsichtsrat, der seiner Kontrollfunktion fatalerweise nicht immer gerecht wurde. Wann wird er umbesetzt?

Schneider: Zur Ehrenrettung des Aufsichtsrats möchte ich darauf verweisen, dass er auch nicht immer in die Lage versetzt wurde, solide und sauber aufgrund von Fakten zu entscheiden. Aber er wird neu besetzt, das stimmt. Das werden wir sicher zeitnah durchziehen, ich schätze, noch im Juli. Von unserer Seite sind die Vorschläge klar, die sind abgesprochen, aber da möchte ich keine Namen nennen.

SZ: Auf der Investorseite werden Ismaik und Iraki aufgestellt?

Schneider: Ich gehe davon aus.

SZ: Wenn ein Finanzgeschäftsführer installiert werden sollte: Was bedeutet das für Geschäftsführer Robert Schäfer?

Schneider: Es gibt innerhalb der Geschäftsstelle viel zu tun. Dass wir jemanden haben, der mithilft, ein neues System für die Finanzen zu entwickeln, heißt ja nicht, dass Robert Schäfer als täglicher Geschäftsführer nicht mitwirken muss.

SZ: Wenn Sie zurückblicken: Wie waren diese fünf Monate für Sie, als es darum ging, ob 1860 als Profiklub überlebt oder in die Insolvenz muss? Uli Hoeneß soll einmal gesagt haben, er sorge sich um Sie, weil Sie so dünn geworden sind.

Schneider: Das finde ich sehr fürsorglich von Uli Hoeneß. Ich habe in meiner langen Berufslaufbahn sicher einiges erlebt. Aber was die letzten Monate bei 1860 abgelaufen ist, war einzigartig in der Belastung. Ich bin jetzt für ein paar Tage mit meiner Frau auf Mallorca, es wird höchste Zeit, dass ich meinen Akku wieder auflade.

SZ: Wie oft haben Sie gedacht: Das hat keinen Sinn mehr?

Schneider: Mehr als einmal.

SZ: Was hat Sie davon abgehalten, Insolvenz anmelden zu lassen?

Schneider: Ich habe gesagt: Wenn es zwangsmäßig passiert, in Ordnung, aber freiwillig machen wir - Robert Schäfer und ich - diesen Schritt nicht. Was nicht heißt, dass ich nicht immer wieder überlegt habe, ob die Alternative Insolvenz nicht tatsächlich Sinn ergeben hätte. Ich bin immer wieder nachts am Küchentisch gesessen und habe überlegt, ob das nicht besser wäre. Nur: Eine Insolvenz hätte gravierende Folgen. Arbeitsplätze gingen verloren, von Mitarbeitern, die sich seit Jahren bei 1860 einbringen. Das Jugendleistungszentrum, eine Säule im Verein, würde verschwinden, die jahrelange Nachwuchsarbeit würde mit einem Schlag zunichte gemacht werden. Und was einige, die den Kommerz verurteilen, manchmal übersehen: Würden wir in der Bayernliga neu anfangen, wären wir auch dort stark auf eine kommerzielle Vermarktung angewiesen, um hochzukommen. Heute herrscht schon in den unteren Ligen größter Wettbewerb.

SZ: Wann haben Sie den Insolvenz- Gedanken endgültig verworfen?

Schneider: Als sich die Art der Lösung abgezeichnet hat, war für mich schon wieder die Richtung klar.

SZ: Als Ende März das Telefon klingelte und Iraki anrief, der sagte, hier ist ein Araber, der will ein paar Millionen springen lassen - da denkt man doch erst, das ist die versteckte Kamera, oder?

Schneider: Wir hatten zu dem Zeitpunkt schon mit so vielen gesprochen, dass man beim ersten Anruf nicht sofort in Jubelstürme ausbricht, sondern sagt: Schau'n mer mal, wie ernsthaft es diesmal ist. Und dann wurde es ja relativ schnell ernsthaft. Im Nachhinein haben wir das auch dem Hilferuf zu verdanken, den wir Ende März bei einer Pressekonferenz ausgesendet hatten. Wir wollten damals Leute erreichen, die noch nicht darüber nachgedacht hatten, uns zu helfen.

SZ: Es war relativ schnell klar: Die Bankenlösung wird nicht klappen, anderes Geld wird nicht fließen - wie sind Sie mit der Idee umgegangen, einen Investor reinzuholen? Gerade, wenn man weiß, wie traditionsbewusst die Fans denken?

Schneider: Das bereitet mir bis heute Sorgen. Zum einen bedeutet es eine sehr hohe Verantwortung an uns, sicherzustellen, dass wir unsere Eigenidentität behalten - und zum anderen, das innerhalb des Vereins zu transportieren. Es hilft uns nichts zu sagen, dass 70 Prozent der Fans hinter der Lösung stehen. Wir müssen alle Fans mitnehmen, das ist ganz, ganz wichtig.

Für Ismaik "werden sich Türen öffnen"

SZ: Viele Fans fragen sich noch: Wer ist der neue Investor? Was können Sie über ihn sagen?

Schneider: Ich kenne ihn aus den Gesprächen und habe ihn als sehr bescheidenen, zurückhaltenden Menschen kennengelernt, der nicht in irgendeiner Form bestimmend und dominant auftritt, sondern diskutiert, sich Sachen anhört und sich eine fundierte Meinung bildet. Tatsache ist - und das ist ja auch legitim -, dass Herr Ismaik über das Vehikel 1860 in den europäischen Markt reinkommen will. Da ist Deutschland sicher keine schlechte Eingangstür. Durch das Bekanntwerden seines Namens und seiner Seriosität werden sich Türen öffnen, die sich sonst vielleicht nicht so ohne Weiteres geöffnet hätten.

SZ: Viele leidenschaftliche Fans sagen, 1860 habe seine Seele verkauft. Wie wollen Sie mit dieser Strömung, die man sicherlich nicht unterschätzen darf, umgehen? Es gibt ja auch schon Abbestellungen von Jahreskarten für diese Saison.

Schneider: Absolut, das dürfen wir nicht unterschätzen, und ich unterschätze es auch nicht. Es gibt einige Kartenabbestellungen, aber ich habe auch viele Anrufe von Leuten erhalten, die sagen, ich kaufe mir jetzt eine Jahreskarte, was ich bisher nicht getan habe, oder ich kaufe mir jetzt eine dazu. Unabhängig davon will ich auch eine so genannte prozentuale Minderheit überhaupt nicht vernachlässigen, denn da sind zum Teil Leute dabei, die sehr intensiv über Sechzig nachdenken und bei denen Sechzig ein Teil ihres Lebens ist. Im Grunde ist die Situation relativ klar: Es nützt nichts, den Kritikern zu sagen, wir haben die Seele nicht verkauft - wir müssen es beweisen.

SZ: Manche fürchten, 1860 habe nicht mehr viel zu melden im eigenen Haus.

Schneider: Das kann ich ausräumen. Wir sind nach wie vor der Mehrheitsgesellschafter, der Kooperationsvertrag wurde ja von der Deutschen Fußball-Liga, die über die Einhaltung der 50+1-Regel wacht, abgesegnet. Wir haben in der Geschäftsführung GmbH, die die Geschäfte der KGaA führt, immer noch 100 Prozent der Anteile. Wir waren uns aber mit Herrn Iraki von vornherein einig, dass wir uns eben nicht auf diese formellen Dinge zurückziehen, sondern partnerschaftlich zusammenarbeiten und gemeinsam den neuen Weg erarbeiten wollen. Das heißt aber nicht, dass der Investor jetzt ganz allein bestimmen kann, was läuft und was nicht. Wir haben zum Beispiel bei Themen, die wir diskutiert haben, als Verein aus unserer Erfahrung heraus unsere Meinung - die wir in Gesprächen mit dem Investor auf eine Lösung bringen, mit der wir leben können.

SZ: Der Lizenzierungsausschuss der DFL war zunächst skeptisch. Als 1860 die Pläne vorlegte, war man aber - heißt es - überrascht, wie stringent Ismaik die Sanierung angehen wolle.

Schneider: Das ist sehr wohl in meinem und in unserem Sinne. Das Schlimmste wäre, wenn wir jetzt glauben würden, dass da jetzt einer ist, der die Millionen reinschüttet. Wir müssen ja auch darauf achten, dass das, was er eventuell investiert, uns nicht wieder in eine finanzielle Abhängigkeit bringt. Das muss sehr sauber und überlegt gemacht werden. Was Herr Ismaik bis jetzt gezahlt hat, ist ja der Kaufpreis. Der ist nicht in irgendeiner Form wieder rückholbar. Aber bei künftigen Investitionen muss man sich sehr genaue Gedanken machen, wie die formell abzuwickeln sind.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: