Es kehre ja nun wieder "drei Prozent Normalität" in München ein, hatte 1860-Trainer Michael Köllner festgestellt, am Sonntag waren es rund ums Drittliga-Derby der Löwen gegen den FC Bayern II dann aber schon eher 60 Prozent. Die Giesinger Außengastronomie hatte geöffnet, tausende Fans empfingen den Mannschaftsbus am Wettersteinplatz, und auch während der Partie drangen die Anfeuerungsrufe von außen ins Grünwalder Stadion.
Ein derartiger Ausnahmezustand hatte ja auch ein bisschen Normalität verdient: Der TSV 1860 München konnte mit einem Sieg nicht nur seine Ausgangsposition im Aufstiegskampf für den letzten Spieltag der Saison verbessern, sondern auch die U23 des Lokalrivalen in die Regionalliga befördern. "Was das für Auswirkungen auf den anderen Verein hat, ist mir völlig egal, wir müssen uns auf uns konzentrieren", hatte Köllner gesagt. "Da gibt's weder freudige Gefühle, Schuldgefühle oder Rachegefühle - irgendwelche Art von Gefühlen sind da völlig fehl am Platz."
Nach dem Schlusspfiff, als die Akteure beider Mannschaften enttäuscht auf dem Rasen lagen, gab es dann aber schon allerlei Gefühle: Mitleid oder Häme für die Bayern erübrigten sich vorerst, sie haben nach dem 2:2 (1:1) zumindest noch eine Minimalchance auf den Klassenverbleib. Dafür herrschte bei Sechzig Enttäuschung: Der direkte Aufstieg ist passé, und für den Relegationsplatz braucht es nun einen Auswärtssieg am letzten Spieltag beim Dritten FC Ingolstadt.
Köllner betonte das Positive: "Wir haben am Samstag ein Finale, das haben vor einigen Wochen wenige Leute geglaubt." Aber auch er wurde ein bisschen emotional - bei Magenta Sport nannte er das Spiel der jungen Bayern "destruktiv und sehr defensiv" und in der Pressekonferenz ergänzte er, er sei "überrascht" gewesen, wie der Gegner aufgetreten war: "Dass sie so tief stehen - ich hatte das Gefühl, sie wollten nur kontern. Das muss aber der Gegner selber wissen, ob ihm das Unentschieden reicht."
Bayern geht in Führung, Sechzig tut sich enorm schwer
Köllner hatte auf dieselbe Besetzung wie beim 1:1 in Wiesbaden gesetzt. Auf der Bank saßen Dennis Erdmann und Leon Klassen, die Sport-Geschäftsführer Günther Gorenzel vor der Partie verabschiedet hatte - sie werden Sechzig verlassen. Während die Löwenfans von außen brüllten und ihre Mannschaft die ersten zehn Minuten dominierte, bildeten die Ersatzspieler des FC Bayern einen kleinen Fanblock auf der Tribüne.
"Weiter, Armindo", brüllte ständig jemand. Stürmer Armindo Sieb hatte in vorderster Position viel Laufarbeit zu verrichten - und traf in der 13. Minute zum unerwarteten 1:0 für die Bayern. Sechzig wirkte geschockt, nur zwei Minuten später verpasste Sarpreet Singh den zweiten Treffer für die Bayern, und nach einer knappen halben Stunde verfehlte der Neuseeländer das Tor mit einem Distanzschuss knapp. Sechzig tat sich enorm schwer - ein weiß-blaues Feuerwerk brannten nur die Fans am Wettersteinplatz ab.
Die Bayern verteidigten, kämpften und kombinierten unterdessen so gefällig, dass man sich wunderte, wie sie überhaupt in derartige Abstiegsgefahr geraten konnten. Einen Grund dafür offenbarten sie allerdings auch: eine mangelnde Chancenverwertung. Nemanja Motika scheiterte nach einer abseitsverdächtigen Szene an Löwen-Torwart Marco Hiller (37. Minute). Anders präsentierten sich die Löwen: Nach einer starken Aktion von Merveille Biankadi stoppte Alexander Lungwitz den Ball am Boden mit der Hand. Sascha Mölders verwandelte den Elfmeter und die erste richtige Chance des TSV in diesem Spiel zu seinem 22. Saisontor und zum 1:1-Halbzeitstand.
Seit elf Spielen sind die Löwen nun ungeschlagen
Nach dem Seitenwechsel gingen die Bayern schnell wieder in Führung, beim dritten Versuch traf der überragende Singh dann doch - nach einem Sololauf durch die 1860-Abwehr (49.). Kurz darauf verhindert Hiller das 1:3 gegen Singh, und das Spiel lief weiter wie gehabt, mit mutigen Bayern-Talenten und ratlosen Löwen - und mit einem weiteren Elfmeter zum Ausgleich. Nicolas Feldhahn traf Stefan Lex im Strafraum, diesmal verwandelte Phillipp Steinhart (68.).
Nun drückten die Löwen - ein Remis brachte ihnen ja im Vergleich zu einer Niederlage gar nichts, was die Ausgangslage für den abschließenden Spieltag betrifft. Die erste Großchance durch Mölders hatten sie in der 78. Minute, sein Volleyschuss flog knapp vorbei, dann scheiterte Stefan Lex zwei Mal hintereinander an Bayern-Torwart Ron-Thorben Hoffmann. "Wir haben in den letzten Minuten die Entscheidung zwei Mal auf dem Fuß gehabt", sagte Köllner. "Dann ist man enttäuscht, klar. Ich mache mir aber keine großen Sorgen, dass jetzt irgendwas mit der Mannschaft passiert ist - im Gegenteil: Das kann noch mal eine Trotzreaktion hervorrufen."
Seit elf Spielen sind die Löwen nun ungeschlagen, dabei haben sie 25 Punkte geholt. Doch das 2:2 vom Sonntag war gefühlt eine Niederlage und ja auch nicht mehr wert als eine solche. In den wieder geöffneten Cafés hat Köllner festgestellt, dass "die Leute eine hohe Glaubenssubstanz in unsere Saison" besitzen. Die ist jetzt nötiger denn je.