Dritte Liga:1860 spielt wie Zinedine Zidane

3 Liga Fussball TSV 1860 München - MSV Duisburg Saison 2019 / 2020 3. Fussball Liga TSV 1860 München - MSV Duisburg Sais; Owusu

Sechzigs Prince Owusu kreiselt erst den Gegner schwindelig und schiebt dann lässig den Ball ins Tor.

(Foto: Stefan Matzke / sampics / Pool)

Der tief gestürzte Klub greift nach 15 Jahren nach dem Aufstieg im Profifußball - auch, weil gegen Tabellenführer Duisburg eine sehenswerte Aufholjagd gelingt.

Von Philipp Schneider

Flap, flap, flap. Unten, am Fuße der Kurve, hatten diejenigen, die nun nicht dabei sein durften, ein Transparent in die klinisch sterile Welt des Grünwalder Stadions geschmuggelt. Vier Wörter, 20 Buchstaben, ein Sonderzeichen. "Fußball gehört den Fans!", stand dort geschrieben. In blauer Schrift auf weißem Grund. Diese Mahnung hing also dort, und weil sie nur an der Oberseite befestigt worden war, fuhr nun der Wind hinein und ließ sie flattern. In jenem Moment, als sich eine unwirkliche Stille breit machte an einem Ort, wo wenige Minuten nach dem Abpfiff eines denkwürdigen Fußballspiels der passende Soundtrack fehlte, wo eigentlich die Hölle losbrechen oder zumindest der Löwe tanzen müsste: hinter dem Banner, wo sich die weißen Stufen der Westkurve des Sechzgerstadions in Richtung der Anzeigetafel empor strecken und darüber hinaus bis in den blauen Himmel. Flap, flap, flap.

"Heim 3", "Gast 2" verriet die Tafel. Aber das war nicht einmal die halbe Geschichte. Die Gäste waren aus Duisburg gekommen, der Heimat des Tabellenführers der dritten Liga. Und die Gäste hatten auch noch 2:0 in Führung gelegen, ehe die Mannschaft des TSV 1860 München beschloss, dass sie imstande sein könnte, dieses Spiel noch zu drehen. Mit einer Kondition, die der Mannschaft in der Corona-Pause offenbar nicht abhanden gekommen ist. Und mit drei Toren innerhalb von 18 Minuten, von denen zwei das Ergebnis einer Ballbehandlung waren, die in der dritten Liga selten zu sehen sind. Den Ausgleich erzielte Efkan Bekiroglu mit einem gefühlvollen Distanzschuss (73.). Und Prince Owusus herrlicher Siegtreffer geriet zur Hommage an Zinédine Zidane: An der Strafraumgrenze kreiselte Owusu mit dem Ball am Fuß den langjährigen Bundesliga-Innenverteidiger Marvin Compper bei einer 180-Grad-Bewegung schwindelig, verschaffte sich Raum und schob den Ball lässig ins Tor - in der 86. Minute.

Und weil er erst in der 59. Minute für Timo Gebhart eingewechselt worden war und schon neun Minuten später die Vorlage für Dennis Dressels Anschlusstreffer gegeben hatte, war Prince Owusu definitiv derjenige, dem die Westkurve gehuldigt hätte. Mit gesalbten Gesängen. Nicht mit flap, flap, flap.

1860 könnte am Mittwoch theoretisch sogar die Tabellenführung übernehmen

Fußball gehört den Fans. Das mag sein. Aber zur Geschichte dieses Geisterspiels am Pfingstsonntag gehört die erstaunliche Fußnote, dass sich die Mannschaft von Trainer Michael Köllner in ein Spiel zurückbiss, obwohl all die Fans (bekanntlich die besten der Liga ) nur daheim vor den Fernsehgeräten saßen. Er hoffe, sagte Sascha Mölders hinterher, "dass sich die Fans zu Hause eine Halbe aufgemacht haben." Mölders, der ausnahmsweise mal kein Tor beigesteuert hatte, verspürte dessen ungeachtet "ein geiles Gefühl", wie er versicherte. "Weil wir nie den Eindruck hatten, dass wir als Verlierer vom Platz gehen." Mölders erinnerte auch daran, dass die Löwen nun seit 15 Spielen ungeschlagen waren. "Fakt ist: Wir sind jetzt Dritter, und davon wird uns niemand mehr verdrängen!"

Lang ist es her, dass der TSV 1860 München zuletzt seriös in den Aufstiegskampf im Profifußball eingegriffen hatte. Vor 15 Jahren, in der ersten Saison nach dem Abstieg aus der Bundesliga, standen die Löwen am Ende auf Platz vier. Reiner Maurer, der im Dezember 2004 Trainer Rudi Bommer beerbt hatte, gelang in der Rückrunde die furiose, wenngleich letztlich fruchtlose Serie von 16 Spielen ohne Niederlage. Ein Unentschieden fehlt Michael Köllner nur noch zu dieser Marke.

Am Mittwoch spielen die Löwen auf dem Betzenberg gegen Kaiserslautern. Bei nur noch zwei Punkten Rückstand auf Duisburg könnte Sechzig dann theoretisch sogar die Tabellenführung übernehmen. Diese Rechnung ist allerdings sehr theoretisch, weil Duisburg am Mittwoch den Tabellenletzten Jena empfängt, der sich bekanntlich schon längst im Urlaubsmodus wähnt und lange Zeit für einen Abbruch des Ligabetriebs stark gemacht hatte. "Für uns hat sich nichts geändert", erzählte Köllner in ein Mikrofon, das ihm ein Tontechniker mit dem angeratenen Sicherheitsabstand von zwei Metern vor den Mund hielt: "Es ist ja heute nicht Schluss. Wieso soll ich mich also über das Tabellenbild freuen?"

Mölders zog die Duisburger Verteidiger an wie ein Brauereipferd die Fliegen

Dieses 3:2 gegen Duisburg darf nun als Nachweis dafür herhalten, wie gut Köllner seine Mannschaft in der 84-tägigen Pause der Löwen auf die Fortsetzung des Betriebs vorbereitet hat. Waren die Duisburger gegen Ende der Partie satt und kraftlos, rannten Köllners Spieler bis zum Ende der Nachspielzeit wie elf Forrest Gumps. Zur Aufholjagd befand Köllner trocken: "Das ist eine Frage des Charakters und der Fitness."

Auch am Positionsspiel haben die Löwen gearbeitet, das bewies ausgerechnet die glück- und aus Sechzigs Sicht torlose erste Halbzeit. Die Löwen ließen den Ball kreisen, sie probierten sich durch das dichte Zentrum zu passen, über die ballfertigen Gebhardt und Bekiroglu - der schnelle Stefan Lex war oft anspielbereit. Auch dank Mölders, dem Brecher, der die Duisburger Verteidiger anzog wie ein Brauereipferd die Fliegen. In diesen ersten 25 Minuten erlebte nicht nur Köllner ein "Riesenspiel" seiner Mannschaft.

Das Riesenspiel endete mit einer kleinen Torheit, als Bekiroglu eine Pirouette mit dem Ball unter der Sohle drehte. Am eigenen Strafraum. Moritz Stoppelkamp hätte da schon treffen müssen, seinen Lupfer leitete Torwart Hiller über die Latte. Aber in diesem Moment war der Spielfluss der Sechziger unterbrochen, die bis dahin extrem konzentriert gespielt hatten. Stoppelkamp trat den Eckball, Compper köpfte, und der Tabellenführer ging in Führung (34.) - die Vincent Vermeij nach Wiederanpfiff noch ausbaute (49.).

Es gab in der Vergangenheit zahlreiche Löwenmannschaften, die nach zwei Gegentoren vom Tabellenführer das Laufen und Spielen eingestellt hätten. Nicht aber Köllners Männer: "Danach sind wir richtig heiß gelaufen", sagte der Trainer. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für eine Aufstiegsmannschaft.

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