Süddeutsche Zeitung

Münchner Stadtduell:Zwei Cuts, ein Derbysieg

Erstmals seit 1992 gewinnt der TSV 1860 München wieder gegen den FC Bayern II. Aufreger des Spiels ist ein unglückliches Foul von Joshua Zirkzee an Löwen-Torhüter Marco Hiller.

Von Christoph Leischwitz

Wenn bei einem Derbysieg die feiernden Fans auf der Tribüne fehlen, dann stellt man sie sich eben einfach vor. Und so holte Sascha Mölders seine Mitspieler des TSV 1860 München vor die leere Westkurve, wo er sich zu normalen Zeiten gerne auf den Zaun stellt und sich beim Capo das Megafon borgt. Ein Megafon braucht der 35-Jährige aber gar nicht: Er war diesmal wahrscheinlich noch unten am Candidplatz zu hören, als er der vor ihm knienden Mannschaft Sätze wie diesen zurief: "Gebt mir ein: ... Derbysieg!"

Der 2:0-Erfolg über den FC Bayern München II war der erste Löwen-Erfolg gegen die rote Zweitvertretung seit 1992. Und ganz nebenbei rutschte die Mannschaft zumindest für einen Tag auch noch auf den zweiten Platz. Einen Logikfehler hatte die Feierei: Auf dem Papier war es ein Auswärtsspiel gewesen für die Sechziger, ihre Fans hätten an diesem Nachmittag deshalb nicht in der West-, sondern in der Ostkurve gestanden.

Auf dieser Seite des Feldes hatte sich eine gute Stunde zuvor der Aufreger des Spiels zugetragen. Es stand noch 0:0, als Bayerns Angreifer Joshua Zirkzee im Strafraum-Getümmel versuchte, den Ball zu erreichen - und mit offener Sohle ins Gesicht des 1860-Torwarts Marco Hiller trat (25.). Hiller wand sich am Boden. "Auf einmal wurde mein Gesicht ganz warm, als das Blut floss. Da war ich gerade überall, nur nicht im Grünwalder Stadion", erzählte er nach dem Spiel. Mindestens zwei Cuts hatte er sich in der linken Gesichtshälfte zugezogen, die schon bald dick anschwollen.

Der benommene Keeper wurde über fünf Minuten lang behandelt. In der Zwischenzeit sah Zirkzee die rote Karte, entschuldigte sich noch einmal bei Hiller und schlich, das Trikot kurz über den Kopf gezogen, in die Kabine. Nach dem ersten Schock, so Hiller, habe er gemerkt, dass er weiterspielen könne. Und das, obwohl er aussah, "als ob er gerade gegen Klitschko geboxt hätte", wie 1860-Geschäftsführer Günther Gorenzel es formulierte. Hiller spielte durch, und besonders beachtlich war daran, wie er spielte: In der 66. Minute schnappte er Bayerns Jann-Fiete Arp mit einem waghalsigen Sprung den Ball weg, Arps Fuß verpasste das Gesicht nur knapp.

Niemand unterstellte Zirkzee anschließend ein absichtliches Foul, doch sein Einsteigen war zumindest maximal rücksichtslos, wenn nicht brutal gewesen. Vor und nach der kurzen Weihnachtspause hatte Bayerns Cheftrainer Hansi Flick sehr deutlich mehr Engagement von dem 19-jährigen Talent gefordert, das sich vergangene Saison im Bundesliga-Team zweimal als eingewechselter Matchwinner feiern lassen durfte. In den vergangenen Monaten war der Niederländer kaum zum Einsatz gekommen, diese Woche dann wurde er zum U23-Training abgestellt. Es liegt also nahe, dass eine gewisse Übermotivation eine Rolle gespielt haben könnte beim zuletzt so erfolglosen Jungstürmer. Bayerns Sportdirektor Hasan Salihamidzic war beim Derby auch zugegen, er nahm Zirkzees Platzverweis regungslos hin.

Trainer Köllner trauert um einen nahen Verwandten

Auf das Spiel wirkte sich die Unterzahl der Bayern überraschenderweise kaum aus. Zwar hatten die Löwen in der ersten Halbzeit die besseren Torchancen, und es fiel auch noch vor der Pause die Führung, allerdings durch ein Eigentor von Bayerns aktuellem Top-Torjäger Timo Kern, nach einer Freistoßflanke von Richard Neudecker (44.). Spielerisch begegnete man sich aber die meiste Zeit auf Augenhöhe.

"Das haben die Jungs auch so wahrgenommen, dass sie dann besser drin waren als der Gegner", fand Trainer Holger Seitz, "wir haben zielstrebig gespielt, wir konnten den Gegner immer wieder stressen und hatten gute Möglichkeiten." Ihm habe gefallen, wie seine Mannschaft auf die Widrigkeiten - Unterzahl, unglückliches Eigentor - reagiert habe.

Eine der guten Möglichkeiten vergab der junge Abwehrspieler Jamie Lawrence, der einen besonders guten Tag erwischt hatte: Mit einem Treffer in der 81. Minute wäre er wohl schlagartig zum Derbyheld geworden, zumal er zuvor zwei Großchancen der Sechziger auf der Torlinie geklärt hatte (32., 61.). Dieser Titel blieb aber dem schwer lädierten Torwart Hiller vorbehalten. In der Nachspielzeit konnte dann noch Sechzigs Zugang Merveille Biankadi jubeln, ihm gelang im ersten Spiel für seinen neuen Klub der Treffer zum 2:0-Endstand, nachdem er sich in einem beherzten Laufduell gegen Josip Stanisic durchgesetzt hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt war von dem Heidenheimer Leihspieler allerdings wenig zu sehen gewesen.

Das geschwollene Gesicht Hillers wird womöglich das Gesicht dieses Derbys bleiben - es rankte sich aber eine noch traurigere Geschichte um diese Partie. Als seine Spieler sich Richtung Westkurve aufmachten, um zu feiern, ging Sechzigs Trainer Michael Köllner mit Tränen in den Augen in Richtung Kabine. Geschäftsführer Gorenzel gab anschließend bekannt, dass Köllner bereits in der Nacht von Donnerstag auf Freitag einen nahen Verwandten verloren hatte. Der 50-Jährige hatte sich trotzdem entschieden, das Derby zu coachen. "Größter Respekt, wie er das gemeistert hat", sagte Gorenzel dazu.

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