Süddeutsche Zeitung

Stuttgart holt Punkt gegen Dortmund:Wankelmut war gestern

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Stuttgart erkämpft sich gegen starke Dortmunder ein 1:1 und es zeigt sich, dass der VfB deutlich konstanter agiert als in der vergangenen Saison. Die Borussia sorgt erst für einen verspäteten Anpfiff, verschläft dann große Teile der ersten Halbzeit - und hätte am Ende trotzdem gewinnen können. Wenn nicht gar müssen.

Jonas Beckenkamp

Es war schon eine bemerkenswerte Art von Durchhänger, der vor einigen Wochen den Fußballverein Borussia Dortmund heimsuchte. Ein paar Spiele lang stockte bei Jürgen Klopps Team das sonst so meisterliche Offensivspiel, was bei unkenden Unheilsverkündern zur Annahme führte, der BVB schlittere in eine veritable Krise. Und dann? Gewann die Borussia vier Spiele in Serie, erzielte 13:1 Tore und stand plötzlich wieder auf Platz zwei. Solche "Durchhänger" möchte man haben.

Mindestens genauso erstaunlich ist jedoch das Aufleben des VfB Stuttgart, jenes vielleicht launischste Team der Republik, das an diesem elften Spieltag als Tabellenfünfter die Dortmunder zum Spitzenspiel begrüßte. Gerechnet hatte mit dem bisher sehr soliden Auftreten der Schwaben keiner so richtig, zumal die Leistungsschwankungen dieser begabten Elf in der vergangenen Spielzeit groteske Züge angenommen hatten.

Doch der VfB ist längst nicht mehr so wankelmütig wie damals, was sich auch an diesem Samstag zeigte: Gegen die Borussia stand es am Ende einer abwechslungsreichen Partie 1:1 (1:1). Dabei hatten die Stuttgarter sogar geführt, nachdem Serdar Tasci (22.) den ersten Treffer erzielt hatte, ehe der BVB durch Lukasz Piszczek den Ausgleich schaffte (45.).

"Wir sind immer wieder gut ins Spiel gekommen", sagte der Stuttgarter Torschütze Tasci, "aber Dortmund hat eben eine sehr starke Mannschaft, das haben sie gezeigt." Ähnliche Komplimente an den Gegner verteilte Torhüter Sven Ulreich: "Man hat heute gesehen, dass wir mit dem BVB ein Stück weit mithalten können. Natürlich fehlt bei uns noch einiges. Aber ich glaube, als Mannschaft haben wir heute überzeugt."

Dass es die Dortmunder überhaupt nach Stuttgart schafften, war angesichts des Verkehrsaufkommens um die Schwaben-Metropole keine Selbstverständlichkeit: Weil der Mannschaftsbus des BVB im Stau steckte, begann die Begegnung mit 15-minütiger Verspätung. Die 60.000 Zuschauer warteten - und erfreuten sich des Stuttgarter Altweibersommers.

Der VfB begann engagiert. Stürmer Cacau spielte trotz einer Gesäßmuskelzerrung und schlitterte sogleich auf seinem Hinterteil in die Beine des Dortmunders Mats Hummels (2. Minute). Schiedsrichter Manuel Gräfe hatte die gelbe Karte noch gar nicht wieder eingesteckt, da landete ein Pass bei BVB-Angreifer Robert Lewandowski, der sich im Strafraum geschickt drehte und den Pfosten traf. Während die Stuttgarter die Herbstsonne genossen, rauschte gleich der nächste Angriff auf sie zu, doch Mario Götzes Schuss strich knapp vorbei (4.).

Hatte die VfB-Defensive um den Mexikaner Maza aufgrund des verzögerten Anpfiffs in den Siesta-Modus geschaltet? Es sah so aus. Immerhin war die Offensive bereits wach, wie ein Volleyschuss von William Kvist (8.) demonstrierte. Es ging flott zur Sache, was vor allem daran lag, dass beide Teams die Abwehrarbeit eher lasch interpretierten. So kam dann in der 22. Minute der erste Treffer zustande: Stuttgarts Tamas Hajnal, ein früherer Dortmunder, streichelte einen Freistoß in den Sechzehner, wo Martin Harnik das Leder freistehend an den Pfosten schoss - den Abpraller drosch Serdar Tasci zur Stuttgarter Führung ins Tor.

Nach starkem Beginn war der Meister auf unerklärliche Weise in eine Art Wachkoma verfallen, das sich nicht nur beim Gegentor offenbarte. Verdutzt liefen die BVB-Profis über den Rasen und begleiteten staunend das Offensivtreiben der Schwaben. Diese Lethargie endete erst, als Götze nach feinem Dribbling in den Strafraum eindrang und von Stuttgarts Linksverteidiger Christian Molinaro per Grätsche aufs Kreuz gelegt wurde (36.) - ein klarer Elfmeter eigentlich, der Pfiff blieb jedoch aus.

Die zwischenzeitliche Dortmunder Schläfrigkeit hatte jedoch abgefärbt. Auf einmal waren es wieder die Stuttgarter, die herumirrten, als hätten sie sich beim Herbstspaziergang im Wald verlaufen. Die Borussia konnte gar nicht anders, als weiter anzugreifen. Wieder kurvte Götze ungehindert durch die Hälfte des VfB, ehe er geistesgegenwärtig auf Shinji Kagawa durchsteckte. Der Japaner ließ einen missglückten Schuss los, der im Fünfmeterraum an allen vorbei trudelte - außer an Lukasz Piszczek. Dortmunds polnischer Abwehrmann musste nur dastehen und den Fuß hinhalten, es stand 1:1 (45.).

Wer würde wohl aufgeweckter aus der Kabine kommen? Die Antwort: Shinji Kagawa. Dortmunds dauerwuselnder Japaner schnappte sich gleich nach Wiederanpfiff den Ball und schoss aus 22 Metern mit links in Richtung Sven Ulreich, doch der Keeper der Schwaben streckte sich und lenkte das Leder um den Pfosten.

Nachdem auf der Gegenseite Zdravko Kuzmanovic eine gute Chance hatte, war es wieder Kagawa, der durch den Stuttgarter Strafraum wirbelte. Diesmal hätte Ulreich keine Abwehrmöglichkeit gehabt, wenn der Dortmunder nicht knapp drüber gezielt hätte (57.).

Der Meister agierte jetzt wuchtiger, entschlossener und dominierte den Gegner dank seines beweglichen Mittelfelds um Götze, Kagawa und den eingewechselten Moritz Leitner. Auch wenn große Möglichkeiten fehlten, deutete sich an: Jürgen Klopps Team wollte den letzten Schwenk in diesem wechselhaften Auf und Ab für sich haben.

Dass es nicht für große Chancen reichte, lag auch am Willen der Stuttgarter, sich immer wieder in diese Partie zurückzukämpfen. Nachdem Mittelfeldmann Ibrahima Traore Dortmunds Torwart Weidenfeller mit einem Linksschuss geprüft hatte (81.), gelang Marcel Schmelzer auf der Gegenseite ein fast identischer Versuch (85.).

Ein Unentschieden war zu diesem Zeitpunkt ein plausibles Ergebnis - doch der BVB wollte mehr: Erst entschärfte Ulreich einen Götze-Schuss aus elf Metern, dann donnerte beim folgenden Eckball Neven Subotic einen Kopfball direkt auf den stark reagierenden VfB-Keeper (88.).

Die Dortmunder hätten die Partie eigentlich gewinnen müssen, doch es blieb beim 1:1. Ein Ergebnis, das den Schwaben mehr gefallen dürfte als dem deutschen Meister.

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