Spielerstreik in Mainz:Meuterei am Bruchweg

Trainingsgelände des FSV Mainz 05

Ein Trainingstag in Mainz: Am Mittwochnachmittag streikten die Spieler des Fußball-Bundesligisten.

(Foto: Imago/Jan Huebner)

Erst wird Stürmer Szalai degradiert, dann tritt das komplette Team in Trainingsstreik: Nach der peinlichen Posse bemüht sich Mainz 05 um Schadensbegrenzung. In den Fokus rückt die Moderation von Trainer Beierlorzer.

Von Frank Hellmann, Mainz

Vermutlich wären die müden Augen von Rouven Schröder noch klarer zu erkennen gewesen, wäre der FSV Mainz 05 nicht derzeit dazu gezwungen, seine Pressekonferenzen virtuell abzuhalten. Dass eine kurze Nacht mit "wenig Schlaf" hinter ihm lag, gab der Sportvorstand am Donnerstagmittag in einer digitalen Fragerunde zu. Schließlich hat die Lage im Klub eine "Eskalationsstufe" erreicht, "auf der es nichts zu beschönigen gibt" (Schröder). Am Tag zuvor hatten die Profis der Nullfünfer sich aus Solidarität mit dem suspendierten Stürmer Adam Szalai geweigert, zur angesetzten Nachmittagseinheit den Trainingsplatz am Bruchwegstadion zu betreten. Streit und Streik! Das passt natürlich nicht zu einem stets auf sein familiäres Ambiente bedachten Bundesligisten.

Was war geschehen? Zu Wochenbeginn hatten die Mainzer erklärt, dass es für Szalai, den Kapitän der ungarischen Nationalelf (61 Länderspiele, 21 Tore), künftig schwer werde, auf Einsatzzeiten zu kommen. Um "zu erwartende Konflikte" zu entschärfen, so Trainer Achim Beierlorzer, solle Szalai lieber individuelle Trainingspläne abarbeiten, statt am Mannschaftstraining teilzunehmen. Trotzdem erschien der 32-Jährige am Mittwoch auf dem Klubgelände. Die Lage eskalierte: Spieler und Trainer gerieten aneinander, alle Schlichtungsversuche Schröders scheiterten. Beierlorzer, 52, äußerte später zwar Verständnis dafür, dass eine Mannschaft zusammenhalte, aber "mir als Spieler und Trainer wäre es nie in den Sinn gekommen, dass man diesbezüglich tatsächlich nicht zum Training geht". Am Donnerstagmorgen dann verständigten sich Schröder und Teammanager Darius Salbert mit dem Mannschaftsrat darauf, dass die weiteren Einheiten bis zum Heimspiel gegen den VfB Stuttgart am Samstag wie angesetzt ablaufen.

"Er will und wird in Mainz bleiben"

Die Verbannung Szalais werde indes nicht zurückgenommen - am Donnerstag trainierte er mit dem U23-Team. Sein Berater Oliver Fischer kündigte aber bereits an: "Adam wird sich keinen neuen Verein suchen. Er will und wird in Mainz bleiben."

Ein kollektiver Protest in dieser Form, "dass eine Mannschaft nicht zum Training rausgeht", sagte Schröder, 44, sei "eine sehr unangenehme Situation". Und: "Klar ist, dass diese Geschehnisse nicht von jetzt auf gleich behoben sind. Es wird ein längerer Prozess werden." Schröder erklärte allerdings, dass der Streik nichts mit Uneinigkeiten über die Rückzahlung gestundeter Gehälter zu tun habe. Die Gespräche mit der Mannschaft über eine Einigung liefen weiter, zumal sich die Einnahmeausfälle durch Corona längst auf einen zweistelligen Millionenbetrag summiert haben.

Ein Schlingerkurs, der den Fokus auf den Trainer lenkt

Eigentlich ist Schröders sportliche Bewertung, einem bald 33-Jährigen einen Vereinswechsel zu empfehlen, um vor der Europameisterschaft 2021 ausreichend Spielzeit zu erhalten, nachvollziehbar. Szalai, der im Sommer 2019 zurück nach Mainz gekommen war, glückte im Bundesligabetrieb 2019/2020 in 27 Einsätzen nur ein Tor. In der internen Hierarchie der Angreifer stehen der quirlige Schwede Robin Quaison, der begabte Franzose Jean-Philippe Mateta und der Österreicher Karim Onisiwo weit vor ihm. Dazu drängt der aus dem eigenen Talentschuppen kommende Jonathan Burkhardt auf mehr Spielzeit. Alle sind deutlich jünger, dynamischer und torgefährlicher. Umso unverständlicher, dass Beierlorzer Anfang September im DFB-Pokalspiel gegen TSV Havelse (5:1) den bereits vor der Ausmusterung stehenden Szalai noch einmal einsetzte, der dann als Einwechselspieler prompt traf. Beim 1:3 am Sonntag beim Bundesligastart bei RB Leipzig stand er nicht im Kader.

Ein Schlingerkurs, der den Fokus auf den Trainer lenkt. Das Verhältnis zwischen dem gelernten Gymnasiallehrer Beierlorzer und seinem Ensemble galt bereits zum Ende der Vorsaison als belastet. Gestartet war der kernige Franke noch mit einem furiosen 5:1 am 24. November 2019 bei der TSG Hoffenheim, nachdem er in einer Art Blitzwechsel von der Bank des 1. FC Köln rheinaufwärts auf die Mainzer Bank umgezogen war. Doch alsbald verfielen die Mainzer in den alten Trott - erstaunliche Punktgewinne wechselten mit herben Niederlagen. Die Mannschaft präsentierte sich als Elf der Wankelmütigen. Führungsspieler wie Daniel Brosinski forderten in der Endphase der Saison ihren Trainer auf, ihnen einen klareren Matchplan mitzugeben. Erst auf der Zielgeraden rissen sich die Rheinhessen zusammen und sicherten sich mit dem 3:1 gegen Bremen am vorletzten Spieltag ein weiteres Erstligajahr. Erst dann lagen sich alle in den Armen.

Schon jetzt aber, vor dem zweiten Bundesliga-Spieltag, brechen die alten Gräben wieder auf. Fast flehentlich bat Beierlorzer alle Beteiligten am Donnerstag darum, "volle Kanne Richtung Stuttgart" zu gehen. Auf der Tribüne sind laut behördlicher Anordnung bislang 3400 Zuschauer erlaubt. Wie die auf die peinliche Posse reagieren, wird eine spannende Frage sein. Denn auch diese 58. Bundesligasaison bietet wieder mal was Neues: Mit einem Streik hat noch kein Erstligist versucht, so schnell wie möglich auf Betriebstemperatur zu kommen.

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