1. FC Union:Gourmets an der Alten Försterei

Christopher Trimmel Tor Torschuß zum 2:1, Salih Özcan / / Fußball Fussball / DFL Bundesliga Herren / Saison 2020/2021 /

Sein allererstes Erstligator: Unions Christopher Trimmel (rechts), genannt "der Hütehund", erzielt das Tor zum 2:1 gegen den 1. FC Köln.

(Foto: O.Behrendt/imago)

Nach dem einem 2:1-Sieg gegen den 1. FC Köln dürfen die Köpenicker den Klassenerhalt als gesichert ansehen - und von Europa träumen. Wenn auch vorerst nur bei Lieferpizza.

Von Javier Cáceres, Berlin

Dem Standardwerk über die allererste Bundesligasaison des 1. FC Union, "Wir werden ewig leben" von Christoph Biermann, ist zu entnehmen, dass im Kabinentrakt der Berliner seinerzeit ein Plakat hing. "Unsere Saisonziele 2019/20", lautete die Rubrik, und die nicht sonderlich umfangreiche Liste dieser Ziele wurde von einer Zahl und einem mathematischen Zeichen präsidiert: "40+". Kabinentrakte sind für Normalsterbliche schon unter normalen Umständen unzugänglich. In der Pandemie gilt das noch mehr. Zeugen zufolge aber hängt dort jetzt ein neues Plakat - mit dem altbewährten, kaum abgewandelten Ziel: "40 Punkte Minimum", darunter in kleineren Lettern: "...und wenn's geht ein bisschen mehr".

Neun Spieltage verbleiben noch, nach dem 2:1-Sieg gegen den 1. FC Köln vom Samstag hat Union 38 Zähler beisammen. Und auch wenn Trainer Urs Fischer am Samstag Glückwünsche als voreilig abtat, ist es nach menschlichem Ermessen kaum noch denkbar, dass Union absteigt. Es fand sich in Köpenick niemand, der das hätte eingestehen wollen, gefeiert aber wurde doch, in recht frugaler Form: mit Lieferpizza, die Max Kruse im Karton durchs Stadion trug und hernach per Video verdammte ("Was für 'ne Scheiße!!?? Gib' mal ordentliche Pizza hier!"), sowie mit Bier: "So, darauf erstmal ein kühles Blondes", schrieb Kapitän Christopher Trimmel in einem sozialen Netzwerk.

Trimmel, 34, freute sich aus persönlichen und übergeordneten Gründen. Aus persönlichen, weil er erstmals einen Bundesligatreffer und dann auch noch das Siegtor geschossen hatte, mithin aus seinem Dienstleister-Wesen ausgebrochen war. In seiner Bundesliga-Karriere hatte Trimmel zuvor 18 Vorlagen geliefert, sieben davon in der laufenden Spielzeit, nie aber selbst ins Tor getroffen. Der übergeordnete Grund dürfte die anstehende Neujustierung des Saisonziels sein. Union liegt nicht nur 17 (!) Punkte vor dem Big-City-Club Hertha aus dem benachbarten Westend, sondern auf Tabellenplatz sieben, sodass das neue Ziel notgedrungen nur lauten kann: Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb!

"Europa League hätte ich Bock drauf, Europa Conference League habe ich irgendwie keinen Bock drauf ..."

Wobei sich nun Max Kruse nicht nur in Sachen Pizza, sondern auch sonst als Gourmet erwies. "Europa League hätte ich Bock drauf, Europa Conference League habe ich irgendwie keinen Bock drauf", sagte der frühere Nationalspieler mit Blick auf die jüngste Wettbewerbserfindung der europäischen Fußballunion Uefa. Das hieße dann aber: Einen Tabellenplatz muss Union mindestens noch nach oben klettern ...

Kruse war übrigens derjenige, der mit seiner Nervensicherheit dazu beitrug, dass Union am Samstag etwas fast Unerhörtes gelang: Die Mannschaft drehte erstmals in der Bundesliga einen Rückstand.

Dass Union 0:1 hinten lag, war Innenverteidiger Robin Knoche geschuldet. Ausgerechnet er, der seit seinem Wechsel im Sommer vom VfL Wolfsburg zu einer soliden Größe geworden ist, leistete sich ein Foul im Strafraum, das der zurzeit verletzungsbedingt verhinderte Kollege Niko Gießelmann zur Halbzeit bei Sky erfrischend offen "dumm" nannte. Den Strafstoß verwandelte Kölns Ondrej Duda (45.+2). Kurz nach der Pause dekretierte Referee Deniz Aytekin einen weiteren Elfmeter, diesmal für Union wegen eines Handspiels von Marius Wolf (48.) - Kruse erzielte den Ausgleich. Dann schon kam der Treffer von Trimmel, der nach einem Fehler von Wolf und einer Flanke des Norwegers Julian Ryerson komplett frei im Strafraum zum Schuss kam, und mit der Präzision eines Tätowierers vollendete (67.).

DEU, GER, DFL, 1. FBL, 1.FC Union vs. 1.FC Koeln, / 13.03.2021, Stadion Alte Foersterei, Berlin, DEU, GER, DFL, 1. FBL,

Rückstand egalisiert: Max Kruse erzielt per Strafstoß das zwischenzeitliche 1:1 für Union Berlin.

(Foto: Engler/Nordphoto/Imago)

Nachgerade rührend zu sehen war, wie Trimmel gefeiert wurde - der Österreicher wird in Biermanns Buch nicht umsonst Unions "Hütehund" genannt, weil er sich so beeindruckend um den internen Zusammenhalt verdient macht. Die Freude aber galt natürlich auch dem Umstand, dass Union seit der Auftaktniederlage gegen den FC Augsburg daheim keine Niederlage mehr hinnehmen musste. Eine solche Selbstsicherheit hilft, wenn ein Gegner in der Schlussphase zwar ohne näher strukturierten Plan, aber eben doch drängt. "Auch solche Spiele musst du mal gewinnen", sagte Kruse. Wobei den Köpenickern durchaus in die Karten spielte, dass "deutlich zu harmlos" war, was die Kölner ablieferten, wie Jonas Hector nach der Partie sagte: "Nach vorne hätten wir deutlich zwingender sein können, da haben wir zu wenig Ideen entwickelt." Was bemerkenswert war, weil doch Trainer Markus Gisdol gleich drei "Zehner" aufbot.

Nur: Der "Effzeh" ist halt nicht das Brasilien von 1970, auch wenn die Spieler gelbe Trikots tragen. Anderntags beklagte Kölns Manager Horst Heldt, dass man das Polster "mehr oder weniger aufgebraucht" habe - und neidete den Berliner den einfachen Zuschnitt ihres Spiels: "Sie agieren klarer, hinten wie vorne", sagte er, und leitete daraus ab, dass sich eine "einfache Qualitätssteigerung" auch bei den Kölnern dadurch bewerkstelligen lasse, dass man "einfachere, simplere Sachen" mache.

Die einfachste aller Lösungen, einen Trainertausch, schloss Heldt vorerst aus, Markus Gisdol werde auch kommende Woche auf der Bank sitzen, sagte Heldt am Sonntag. Immerhin, auch er wirkte um Schlichtheit bemüht. "Skurrile Ideen" helfen nicht weiter, sagte er.

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