Hat es das schon mal gegeben? Ein Spieler, der zum Torschützen erklärt wird, obwohl er gar nicht auf dem Feld steht? Es hätte ein historischer Moment werden können, als Kwadwo Duah am Samstag in der ersten Minute der Nachspielzeit den Rasen des Nürnberger Max-Morlock-Stadions verließ, um sich auf der Ersatzbank einzurichten. Sekunden zuvor hatte Duah den Ball mit dem Kopf ins Tor des SV Sandhausen gelenkt, war dann aber ausgewechselt worden, bevor der Videoschiedsrichter über den Treffer befunden hatte.
Das Tor zählte dann zwar nicht, trotzdem war Duah, 26, der entscheidende Akteur an diesem Nachmittag. Kurz vor Schluss war er im Strafraum gefoult worden und hatte per Elfmeter das finale 1:0 erzielt. Damit war knapp drei Jahre nach seinem Aus beim Hamburger SV Dieter Heckings Trainer-Comeback geglückt. Wie ausbaufähig die Leistung allerdings war, ließ sich schon alleine an jenem Kommentar ablesen, mit dem der Stadionsprecher die beiden Mannschaften nach den ersten 45 Minuten in die Kabinen schickte: "Das war hoffentlich die schlechtere der beiden Halbzeiten."
"Unser Spiel ist viel zu hektisch. Oder es wird viel zu langsam gespielt", sagt Hecking
Ja, es war ein äußerst zähes Spiel im Schneetreiben von Nürnberg, dabei hatte Hecking doch so einiges umgekrempelt und die Flucht nach vorne angetreten. Bei seinem Vorgänger Markus Weinzierl war es auch die defensive Ausrichtung, die ihm nicht gefallen hatte - nun schickte er die Mannschaft in einem 4-3-3-System aufs Feld und ordnete Offensivfußball an. Hinterher musste er allerdings einräumen: "Wir haben noch genügend zu tun. Ich bin nicht mit allem zufrieden. Das darf ich auch nicht sein. Wir müssen weiter schleunigst an unserer Idee arbeiten."
Beim Club ist es mittlerweile ja so weit, dass es beinahe schon als historischer Moment durchgeht, wenn sich überhaupt jemand findet, der den Ball mit dem Kopf oder mit dem Fuß ins Tor lenkt. Auch Hecking beschäftigt das, was schon unter seinem Vorgänger offensichtlich war: Den Spielern fehlt es an Mut - und deshalb bringen sie sich immer wieder selbst in die Bredouille oder versäumen es wenigstens, den Gegner in die Bredouille zu bringen. "Unser Spiel ist viel zu hektisch. Oder es wird viel zu langsam gespielt", sagte Hecking nach der Partie gegen Sandhausen, "ich glaube, dass wir in Ansätzen haben aufblitzen lassen, was möglich wäre, aber dann wollten es die Jungs besonders gut machen und sind übermotiviert."
Es bedarf also, das wurde in den 90 Minuten am Samstag deutlich, Heckings Führung - und das in besonderem Maße. Dass er selbst jenen Mut mitbringt, der seiner Mannschaft nach wie vor abgeht, zeigt alleine der Schritt, sich nach der zweiten Trainer-Entlassung der Saison selbst auf die Bank zu setzen. Dieser Entschluss hat ja alleine deshalb großen Respekt verdient, weil Hecking damit auch seinen Posten in der Nürnberger Vereinsführung aufs Spiel setzt. Gelingt die Wende nicht, ist Hecking auch als Sportvorstand nicht mehr tragbar. Gelingt sie aber, darf er sich bestätigt fühlen, dass der Kader weitaus mehr hergibt, als Weinzierl befand.
Im nächsten Spiel gegen den HSV ist der Club Außenseiter, darin könnte eine Chance liegen
Hecking, 58, weiß das. Er hat aber keine Zweifel, die Krise zu meistern und als Trainer jene Knöpfe zu drücken, die er als Sportvorstand nicht drücken konnte. Wie sehr er sich seiner neuen Aufgabe verschrieben hat, wurde am Samstag auch anhand eines Details deutlich, das er bei einer kleinen Reporterrunde im Anschluss an die Pressekonferenz verriet. Trotz aller Erfahrung hatte Hecking in der Nacht vor seiner Rückkehr an die Seitenlinie offenbar etwas unruhig geschlafen - dann kam ihm noch etwas in den Sinn. "Ich war um vier Uhr wach und habe noch was niedergeschrieben, was ich noch brauchte", sagte Hecking und gab dann einen Einblick, wie ihm der Spagat zwischen dem Dasein als Trainer und Sportvorstand gelingt. Am Vormittag nach einem Spiel sei er noch Coach, dann Privatmann. Am trainingsfreien Montag widme er sich seinen Aufgaben als Sportvorstand - und ab Dienstag stehe er am Valznerweiher wieder auf dem Feld, um seine Mannschaft aufs nächste Spiel einzustimmen.
Dieses führt den Club am kommenden Samstag zum Hamburger SV - eine Aufgabe, die nicht nur deshalb einen Reiz hat, weil der Gegner Heckings ehemaliger Verein ist, sondern auch, weil der FCN als klarer Außenseiter ins Spiel geht. "Die Rolle kann uns ganz gut liegen, wenn wir mutig sind und Entschlossenheit zeigen", sagt Hecking. Dieser Aspekt war bei seinem Einstand höchstens in Spurenelementen zu erkennen - trotz der Notiz, die Dieter Hecking mitten in der Nacht niedergeschrieben hatte.