Die erste bahnbrechende Erkenntnis gab es, noch bevor Schiedsrichter Richard Hempel zum ersten Mal an diesem Nachmittag in seine Pfeife gepustet hatte. Stefanos Tzimas stand am Anstoßpunkt und hatte einen Ball am Fuß, links standen die Spieler des SSV Ulm, rechts die des 1. FC Nürnberg – und als Hempel das Spiel schließlich freigab, spielte Tzimas den ersten Pass des Nachmittags.
Alles war, wie es bei einem Fußballspiel nun mal ist. Und das war dann auch schon die erste Nachricht dieses Sonntags im Max-Morlock-Stadion: Beim Club geht es also doch noch um Fußball.
In der vergangenen Woche, bis zu diesem Nürnberger 2:0 gegen Ulm, konnte man da ja ein wenig durcheinanderkommen. Die Wellen rund um den Valznerweiher schlugen derart hoch, dass man beinahe annehmen musste, der FCN sei möglicherweise gar kein Fußballverein mehr, sondern eher eine Reederei. Obwohl der Zweitligist tabellarisch längst in ruhigem Fahrwasser unterwegs ist und sich nicht darum sorgen muss, ob er denn am Ende der Saison das rettende Ufer erreicht, wirkte der Club zuletzt gar nicht mal so sehr wie der Fels in wilder Brandung, als der er von seinen Fans oft besungen wird. Die Gerüchte schwappten vor sich hin, und der FCN kommunizierte rund um die Freistellung des Sportdirektors Olaf Rebbe, als habe er – auf hoher See, weit draußen – kein besonders gutes Funksignal.
Rebbe und die Reibereien um Wertschätzung und Geltungsbedürfnisse: Dieses Thema trieb Nürnberg tagelang um und ließ es zu einer Randnotiz verkommen, dass auch Mahir Emreli unmittelbar vor dem Abschied steht. Den Stürmer zieht es wohl nach Südkorea, wo das Wechselfenster noch bis Ende März geöffnet ist.
Am Sonntag saß Emreli auf der Tribüne und sah von dort eine Mannschaft, bei der man sich zunächst nicht so ganz sicher sein konnte, wie sie den Trubel der vergangenen Tage verarbeitet hatte. Das war ja die zentrale Frage, die über diesen 90 Minuten hing: Würden die Nürnberger die Turbulenzen noch im Hinterkopf haben? Oder würden sie sie kaltlassen, sobald Tzimas am Anstoßpunkt steht und den ersten Pass des Nachmittags spielt?
„Wir lassen das gar nicht an uns ran“, sagte Julian Justvan nach dem Spiel, „wir wurden darüber informiert, und danach haben wir das Thema abgehakt. Wir wollen uns auch nicht mehr damit befassen.“ Schließlich fordert es der Fußball ein, Spiel für Spiel bei der Sache zu sein. Und das war der Club auch am Sonntag.
„Wir haben ein gutes Gefühl auf dem Platz und wissen, dass wir zu jeder Zeit ein Spiel entscheiden können“, erklärt Justvan
Ulm zwang den Nürnbergern zwar von Anfang an ein körperliches Spiel auf und machte es ihnen damit schwer zu kombinieren – wie die Mannschaft damit aber umging, bebilderte die Fortschritte seit der Winterpause. „Wir haben ein gutes Gefühl auf dem Platz und wissen, dass wir zu jeder Zeit ein Spiel entscheiden können“, erklärte Justvan, „das machen wir jetzt besser als in der Hinrunde, als wir die Geduld nicht hatten.“ Jetzt, mit dem Urvertrauen in sich selbst, legte Nürnberg gegen Ulm ein Zeugnis seiner Reife ab. Und so ließ sich Trainer Miroslav Klose nach dem Spiel sogar zu dem Satz hinreißen: „Wir werden immer mehr eine Spitzenmannschaft.“
Bis zu diesem Sonntag hatte das Team vier der vorangegangenen fünf Spiele gewonnen. Ein Lauf, von dem der Club zunächst zwar recht wenig zu erkennen gab, doch in der 59. Minute war es schließlich ein Ulmer, der das Spiel in die Nürnberger Richtung kippen ließ wie ein kleines Fischerboot bei Wellengang: Maurice Krattenmacher, mit Gelb vorbelastet, ging im Nürnberger Strafraum zu Boden und wurde des Feldes verwiesen, weil Schiedsrichter Hempel seinen Sturz als Schwalbe wertete. Der Club spielte nun mehr als eine halbe Stunde lang in Überzahl – und von da an war es eine andere Partie. Plötzlich stürmte und drängte Kloses Mannschaft, die bei ihren Offensivbemühungen bis dahin recht träge und uninspiriert aufgetreten war.
Und so kam es, wie es schon in den vergangenen Wochen immer wieder gekommen war. Beim 2:1 zum Jahresauftakt gegen den Karlsruher SC hatte Nürnberg ebenso spät getroffen wie beim 1:0 gegen den SV Darmstadt 98 und beim 4:3 in der vergangenen Woche in Magdeburg. Jetzt, gegen Ulm, erzielte Caspar Jander das späte 1:0 (86.), bevor ein Neuer das noch spätere 2:0 (90.+3) schoss: Janis Antiste, im Januar erst aus Sassuolo gekommen. Er hatte schon bei seinem Debüt in Magdeburg mit einem Assist auf sich aufmerksam gemacht – nun setzte er mit einem überlegten Flachschuss den Schlusspunkt und deutete erneut an, welch großen Mehrwert er für Nürnberg haben könnte.
Nun ist der Club bereits am Freitag bei Hertha BSC zu Gast. Und wenn es trotz der jüngsten Turbulenzen wieder ein ganz normales Fußballspiel wird, ist das Drehbuch schon jetzt geschrieben: Tzimas stößt an – und in den letzten Minuten ist es Antiste, der die Füße im Spiel hat, wenn der 1. FC Nürnberg das entscheidende Tor schießt und die nächsten drei Punkte einfährt.