Es ist nicht so, dass man stundenlang suchen müsste, um darauf zu stoßen, was Jan Siewert Miroslav Klose voraus hat. Schon ein kurzer Blick in die Geschichtsbücher der Oberliga Südwest belegt, dass Siewert beispielsweise im April 2004 zwei Minuten genügten, um für den TuS Mayen ein Tor gegen den SC Hauenstein zu schießen. Gegen jenen Gegner also, gegen den Klose für den 1. FC Kaiserslautern II im Oktober 2000 vierzig Minuten länger gebraucht hatte.
Wenn man es jetzt ganz genau nimmt, könnte man zwar auch darauf verweisen, dass der eine, Klose, Weltmeister und der beste Torschütze der WM-Geschichte ist, während der andere, Siewert, ungefähr 137 Länderspiele weniger bestritten und nach seinem Treffer gegen Hauenstein exakt null Oberliga-Tore nachgelegt hat. Doch auf solche Spitzfindigkeiten kommt es ja nicht an. Schon eher auf diese erstaunliche Statistik, die durchaus etwas über den 1. FC Nürnberg und die SpVgg Greuther Fürth erzählt, jene Klubs, bei denen Klose und Siewert mittlerweile als Trainer an der Seitenlinie stehen: Siewert, 42, hat einen besseren Punkteschnitt als Klose, 46.
Der Unterschied zwischen dem Wert des Fürther Trainers (1,54) und dem des Nürnbergers (1,52) ist zwar marginal. Während Klose aber landauf, landab beklatscht wird, müssten Fans außerhalb Frankens wohl erst einmal in sich gehen, wenn man sie fragen würde, bei welchem Verein dieser Siewert gerade eigentlich auf der Bank sitzt. Am Sonntag stehen sich die beiden nun zum ersten Mal in einem Frankenderby gegenüber: Kloses Club empfängt Siewerts Fürther, ein Duell, das Anlass bietet, sich noch einmal an die Ereignisse der Hinrunde zu erinnern.
In den vorangegangenen Jahren war es ja meist für die Spielvereinigung eine gute Nachricht, wenn mal wieder das Derby anstand – doch im Oktober genügten Nürnberg schon 90 Minuten, um die Bilanz der jüngeren Vergangenheit in den Hintergrund zu rücken. Das Nullvier im Ronhof hatte eine derartige Wucht, dass die Fürther den Posten überhaupt erst ausschrieben, den der Zwei-Minuten-Torschütze gegen Hauenstein mittlerweile bekleidet. Geschäftsführer Rachid Azzouzi musste seinen Schreibtisch ebenso räumen wie Trainer Alexander Zorniger, und als sich auch unter dessen Nachfolger Leo Haas keine Besserung einstellte, übernahm schließlich Siewert.
Mit ihrem Lauf hat sich die Spielvereinigung aus dem Abstiegskampf befreit
Während das Derby in Fürth also ziemlich tiefgreifende Turbulenzen auslöste, kam es beim Club nicht nur der Geburtsstunde von Stefanos Tzimas gleich, der im Ronhof zwei Tore erzielte – es diente auch der gesamten Nürnberger Mannschaft als Erweckungserlebnis. Der Club spielte plötzlich wie ausgewechselt und schwang sich in den darauffolgenden Wochen sogar zum aufregendsten aller Zweitligisten auf.
Das Oktober-Derby dokumentierte also auf ziemlich anschauliche Weise, welch immense Kraft das Duell zwischen dem FCN und Fürth hat. Und so stellt sich nun die Frage: Wie hoch könnte es die Nürnberger dieses Mal fliegen lassen, wenn sie auch die 274. Auflage für sich entscheiden sollten? Könnte es nicht gerade die Kraft eines solchen Derbys sein, die den Club durch die nächsten Wochen trägt?
Dem Duell mit Fürth schließt sich ein Auswärtsspiel beim Tabellenletzten Jahn Regensburg an, dann geht es im April gegen den Hamburger SV, den 1. FC Kaiserslautern, den SC Paderborn und Fortuna Düsseldorf – allesamt Mannschaften, die noch im Rennen um die Bundesliga mitmischen. Ob die Nürnberger aber tatsächlich schon reif und konstant genug sind, um sich im letzten Saisonviertel in den unmittelbaren Wettlauf um die besten Plätze einzuschalten, darf man bezweifeln. Gerade der Auftritt in der vergangenen Woche weckte Skepsis, obwohl der Club 1:0 bei Preußen Münster gewann.
Nach dem Spiel knöpfte sich Klose Tzimas vor, forderte mehr Engagement und verriet, dass er ihn „schon nach zehn Minuten auswechseln“ wollte. Kurz vor Schluss war es aber Tzimas, der doch noch das entscheidende Tor vorbereitete und dem Club damit zum vierten Sieg in den vergangenen sechs Spielen verhalf. Eine Ausbeute, in der die Nürnberger gleichauf sind mit Siewerts Fürthern.
Mit ihrem Lauf hat sich die Spielvereinigung aus dem Abstiegskampf befreit, und sie könnte nun den leisen Nürnberger Träumen ein Ende setzen. Es wäre ein Triumph, der sich fast so hoch einhängen ließe wie Siewerts Zwei-Minuten-Tor im April 2004 gegen den SC Hauenstein.