Süddeutsche Zeitung

1. FC Nürnberg:Präsent nur im Museum

Seit seinem entscheidenden Tor in der Nachspielzeit der Vorjahres-Relegation wird Nürnbergs Stürmer Fabian Schleusener von den Club-Anhängern verehrt. Dass ihm bei den folgenden 19 Einsätzen in der zweiten Liga nur ein einziger Treffer gelang, ist kaum noch zu erklären.

Von Christoph Ruf

Am 11. Juli vergangenen Jahres ereigneten sich, anders kann man es nicht nennen, gleichzeitig an vielen fränkischen Orten lauter Eruptionen. Überall, wo Clubfans waren, stiegen um 20.22 Uhr die Dezibelzahlen, Gläser und Flaschen zerplatzten, Menschen rissen sich zu Boden. Gerade eben hatte Fabian Schleusener ein Tor für Nürnberg erzielt. Quälend lang war der Ball dabei auf die Torlinie zugetrudelt, ein Ingolstädter Verteidiger grätschte ihm noch hinterher. Endlich war der Ball über der Linie. Und in den Fankneipen, wo deprimierte Anhänger schon an die nahenden Drittliga-Spiele gedacht hatten, passierte das Gleiche wie in dem Raum, wo mancher Club-Angestellte schon davon ausgegangen war, dass er bald keinen Job mehr haben würde.

Dann aber doch: der Klassenverbleib. Gesichert in der sechsten Minute der Nachspielzeit der Relegation. So wie der deutsche Weltmeistertitel von 1954 für immer mit Helmut Rahn verbunden bleiben wird, so ehren sie seither beim Club Fabian Schleusener.

Ein Erklärungsansatz für Schleuseners Torflaute könnte in der Vergangenheit liegen

Seit seiner Heldentat hätte der Nürnberger Stürmer allerdings noch viele Male schießen oder köpfen müssen. Hat er ja sogar auch. Aber mit all seinen Bemühungen erzielte er nur ein Törchen, Anfang Februar gegen Darmstadt, das war's: ein Treffer bei 19 Einsätzen in dieser Zweitliga-Saison. Für einen Stürmer ist das eine fast schon ehrenrührige Bilanz. Dabei galt Schleusener als einer der treffsichersten Spieler der Liga, als er im vorvergangenen Sommer von Sandhausen nach Franken wechselte. Trotz längerer Verletzung hatte er zehn Treffer erzielt, in der Saison zuvor waren es sogar 17 für den KSC, den kommenden Gegner der Franken.

Gerne hätte man ihn gefragt, wie es ihm mit all dem geht. Mit dem in der Vergangenheit in Ingolstadt geschaffenen Ruhm. Und dem tristen Dasein der Gegenwart, als erfolgloser Angreifer in einem Verein, der gegen den Abstieg spielt, anstatt, wie erhofft, um den Aufstieg. Doch nach der jüngsten Niederlage gegen St. Pauli haben die Spieler beschlossen, erst einmal keine Fragen zu beantworten. Man wolle dem Wunsch vieler Kommentar-Schreiber in den Online-Medien Rechnung tragen und sich aufs Fußballspielen konzentrieren.

Ein Erklärungsansatz für Schleuseners Torflaute könnte in der Vergangenheit liegen, in der Saison, in der er 17 Mal für Karlsruhe traf. Die Spielidee seines damaligen Trainers Alois Schwartz kam ihm entgegen. Von Schwartz trainierte Mannschaften stehen tief, sehr tief, da bleibt vorne viel Platz. Schleusener, der am Ball gewandt, aber nicht eben zweikampfstark ist, lag das. In Nürnberg, wo der eigene Ballbesitz gefragt ist, das Spiel zuletzt meist aber zähflüssig in Richtung des gegnerischen Strafraums getrieben wurde, bleibt er meist im Schatten seiner Gegenspieler. So wie gegen St. Pauli, als mancher Beobachter erst in der 65. Minute merkte, dass er auf dem Platz war - bei seiner Auswechslung.

Längst hängt "Schleuses" Trikot vom Ingolstadt-Spiel im Club-Museum

Über fehlende Einsatzchancen kann er sich dabei nicht beklagen. In der vergangenen Saison, als der Club ihn trotz eines noch nicht verheilten Schienbeinbruchs verpflichtet hatte, kam er ab November noch auf 19 Einsätze, diesmal sind es wieder 19, darunter allerdings viele Kurzeinsätze. Obwohl zeitweise bis zu sechs Offensivkräfte ausfielen, saß Schleusener, der sich selbst mal als "fußballerischen Spätentwickler, der erst mit 16, 17 Jahren richtig schnell wurde" charakterisierte, in den vergangenen Wochen meist auf der Bank.

Man ahnt, dass Trainer Robert Klauß die gleichen Merkmale auf dem Platz stören, die ihm außerhalb des Platzes gefallen. Schleusener sei "ein sehr lieber, ein sehr angenehmer Mensch, der extrem viel Anerkennung in der Mannschaft hat", sagte er nach dessen Tor in Darmstadt. Das war ein etwas vergiftetes Lob. Vom Sturmkollegen Manuel Schäffler würde niemand behaupten, dass er "lieb" ist. Schon gar nicht seine Gegenspieler. Oder St. Pauli-Manager Andreas Bornemann, mit dem sich der ehemalige Wiesbadener am Sonntag nach dem Spiel noch ein heftiges Wortgefecht geliefert hat. "Als Offensivspieler musst du auch mal egoistischer und verfressen sein", hat Klauß mal gesagt.

Das alles mag auch ein Grund dafür sein, dass Schleusener mit seinen 29 Jahren noch nie in der Bundesliga gespielt hat. Doch im Gegensatz zu dem mehr als halben Dutzend Stürmern, die der FCN in seiner letzten Bundesligasaison 2018/2019 im Kader hatte, werden sich die Club-Fans an seinen Namen wohl noch in 20 Jahren erinnern.

Längst hängt "Schleuses" Trikot vom Relegationsspiel im Club-Museum. Enrico Valentini, eingefleischter Fan des Vereins, für den er als Verteidiger aufläuft, hatte es sich nach dem Schlusspfiff in Ingolstadt gesichert und es sich erst nach langem Zureden wieder von den Club-Archivaren abluchsen lassen. "Heiligenstatus", habe sein Stürmer bei den Fans, weiß Klauß. Es stimmt eben nicht immer, dass Lorbeer welkt.

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