Miroslav Klose sitzt vor einer roten Werbetafel und hat ein rotes Emblem auf der Brust. Es ist zwar ein anderes Rot als das, das er zu seiner Zeit als Spieler beim 1. FC Kaiserslautern und beim FC Bayern getragen hat. Aber eines hat sich nicht geändert, jetzt, da der Weltmeister von 2014 als Trainer in der zweiten Liga angekommen ist: Klose, 46, trägt Trainingsshirts.
Vor ihm stehen eine Bierflasche und eine Bio-Limonade, doch dafür hat der neue Coach des 1. FC Nürnberg ebenso wenig Augen wie für die Brezeln, die vor ihm an einem Ständer hängen. Klose geht es um Fußball. Er rückt auf seinem Stuhl herum, damit er bequem sitzt, dann können die Fragen kommen. Es ist Donnerstagmittag, Kloses Premieren-Pressekonferenz als Trainer vor einem Pflichtspiel im deutschen Profifußball. An diesem Samstag wird er zum ersten Mal auf der Bank sitzen, wenn es um Punkte geht. Ist er also nervös?
„Ich war schon immer ein entspannter Typ“, sagt Klose, „daran ändert sich nichts.“ Was zählt, ist ohnehin der Auftritt am ersten Spieltag beim Karlsruher SC: „Der Schiedsrichter pfeift an, dann geht’s erst los – egal, wie ich jetzt hier wirke. Wenn es umgekehrt wäre, könnte man auch irgendwas interpretieren, aber so ist es nicht.“ Klose dreht seine Wasserflasche auf und trinkt. Das hier ist Tagesgeschäft. Klose, der frühere Weltklasse-Stürmer, ruht in sich, während um ihn herum Euphorie ausgebrochen ist.
Seit Klose Mitte Juni in Nürnberg unterschrieben hat, kennt die Begeisterung kaum noch Grenzen, doch eines hat sich Klose bewahrt im stets aufgeheizten modernen Fußballbetrieb: Er hat etwas Unaufgeregtes an sich, etwas Konstantes. Er redet mit der Gleichförmigkeit einer Rolltreppe und strahlt damit etwas aus, das der Club gerade gut gebrauchen kann. Klose reißt nie aus, wird weder überschwänglich noch laut. Als er in der Vorbereitung über ein 1:1 im Testspiel gegen den Drittligisten 1860 München sprach, hörte er sich genauso an wie nach dem beachtlichen 3:0 bei der Generalprobe gegen Juventus Turin.
Im Gegensatz zu Aufstiegsfavoriten wie Hertha, Schalke, HSV und Köln wollen sie sich in Nürnberg Zeit geben
Als Klose vor sechs Wochen zum ersten Mal vor den Nürnberger Journalisten saß, sagte er: „Ich mag Abenteuer.“ Er meinte keine Alpenüberquerung und keine Rucksackreise durch Südamerika, sondern sein neues Engagement. Er weiß ja nur zu gut, dass es auch bei einem Traditionsverein wie dem FCN schon mal so hoch hergehen kann wie in den Sechstausendern der Anden. Auch Klose will mit seinem neuen Verein hoch hinaus. Aber im Gegensatz zu anderen Zweitligisten wollen sie sich in Nürnberg Zeit geben.
Andernorts ist der Druck, liefern zu müssen, deutlich größer. Als Verein mit großer Geschichte und grauer Gegenwart ist der FCN in der neuen Saison wieder in bester Gesellschaft. Hertha BSC, Schalke, der 1. FC Köln, der trotz Transfersperre zu den Favoriten zählt, dazu der HSV, der bereits den siebten Anlauf zum Aufstieg nimmt – in puncto Prominenz ist das Unterhaus alles andere als unterbesetzt, im Gegenteil. Die Liga ist namhaft wie noch nie. Mehr als die Hälfte der 16 Bundesliga-Gründungsmitglieder ist inzwischen zweitklassig, aber das soll nur eine Momentaufnahme sein.
Während Köln seinen Kader trotz des Abstiegs erstaunlich gut zusammengehalten hat, geht Schalke mit einer grundlegend veränderten Mannschaft und ebenso großen Ambitionen in die Saison wie Hertha BSC. Die Berliner setzen auf Trainer Cristian Fiel, Kloses Vorgänger in Nürnberg, und wollen mit ihm ähnliche Aufbruchstimmung erzeugen wie der HSV mit dem neuen Sportvorstand Stefan Kuntz. Alle genannten Klubs verbindet das Ziel der Rückkehr in Liga eins – und dann wären da ja auch noch Darmstadt 98, Fortuna Düsseldorf und Hannover 96. Es ist, wenn man so will, die breiteste Spitze, die die zweite Liga je hatte.
Was aber bleibt da für einen Verein wie den 1. FC Nürnberg?
Uli Hoeneß hat den Club kürzlich als „graue Maus“ bezeichnet, und gemessen an seiner Geschichte ist der FCN in den vergangenen Jahren tatsächlich geschrumpft. Wenn es nicht ein so abgedroschenes Bild wäre, könnte man auch sagen: Der Riese ist in einen Schlaf gefallen. Nun ist es also an Miroslav Klose, dem Riesen mit dem Zeigefinger in die Rippen zu piksen und ihn aufzuwecken. Das muss ihm allerdings in einem Umfeld gelingen, das nicht gerade zimperlich ist, wenn gute Ergebnisse ausbleiben.
„Eine Grauzone gibt es hier nicht – nur weiß oder schwarz“, sagt Klose am Donnerstag, er findet das aber „ganz normal“. Er weiß: „Es wird größtenteils an uns liegen.“ Geht der Plan auf, den er mit seiner Mannschaft verfolgt, fliegen ihm auch in den nächsten Wochen die Herzen zu. Geht er nicht auf, wird es unruhig am Valznerweiher.
Klose aber ist zuversichtlich, dass er am Anfang eines erfolgreichen Weges steht. „Das, was ich gesehen habe, stimmt mich absolut optimistisch“, sagt Nürnbergs Trainer und zielt damit auf die Vorbereitung ab, die recht vielversprechend war. Der Club hat schon einiges von jenem dominanten Ballbesitzfußball gezeigt, den Klose sehen möchte – und das, obwohl alles neu ist: der Trainer, der Sportvorstand Joti Chatzialexiou und die Mannschaft.
Chatzialexiou und Sportdirektor Olaf Rebbe haben den Kader merklich verkleinert. Dass Nathaniel Brown und vor allem Can Uzun zu Eintracht Frankfurt gewechselt sind, hat den Club zwar Qualität gekostet, er hat aber auch welche hinzugewonnen. Florian Pick ist aus Heidenheim gekommen, Daniel Soares aus Bochum und Robin Knoche mit der Erfahrung von mehr als 300 Bundesligaspielen von Union Berlin. Er hat auf Anhieb die Kapitänsbinde übernommen und soll die verjüngte Nürnberger Mannschaft führen.
Nachdem Knoche in der Vorbereitung im Trainingslager am Walchsee vor dem österreichischen Bergpanorama zum ersten Mal mit seinen neuen Mitspielern auf dem Platz gestanden hatte, wurde er von Kindern umringt. Auf einmal wurde auch ihm die Aufmerksamkeit zuteil, die sich zuvor ausschließlich auf Miroslav Klose konzentriert hatte. Dass er als Weltmeister in der zweiten Liga derart im Fokus steht? Nicht der Rede wert, sagt Klose: „Ich versuche, jeden Wunsch zu erfüllen, da nehme ich mir auch Zeit. So war das bei mir schon immer.“ Alles wie gehabt also. Tagesgeschäft.