1. FC Nürnberg:Letzte Ausfahrt Herzblut

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Die Emotionen, die die Interimstrainer Michael Wiesinger und Marek Mintal entfachen sollen, sind der verbliebene Rettungsplan des Clubs.

Von Sebastian Fischer

Es ist rund fünf Jahre her, da sagte Michael Wiesinger, er habe einen Beschluss gefasst über seine Beziehung zum Beruf des Fußballtrainers. "Ich werde das nicht mehr so nah an mich ran lassen", sagte er damals, im Sommer 2015. Gerade hatte er rund zwei Jahre nach seiner Entlassung als Coach des 1. FC Nürnberg wieder als Trainer zu arbeiten begonnen, beim Viertligisten Elversberg. Doch jetzt, im Sommer 2020, ist alles anders.

Am Montagabend gab Wiesinger seine erste Pressekonferenz als neuer Nürnberger Trainer, es werden nicht viele folgen, mit dem Assistenten Marek Mintal ist er nur der Chef für zwei Relegationsspiele gegen den Abstieg in die dritte Liga. Aber sein Vorhaben von damals brach er schon nach ein paar Minuten. "Da läuft's mir jetzt schon kalt runter", sagte Wiesinger, als er über das große Vertrauen sprach, das ihm der Verein entgegenbringe, die riesige Bedeutung der kommenden Spiele und den Druck, den das für ihn bedeute. Es ist jetzt nun mal so: Die Emotionen, die Mintal und er entfachen sollen, sind der letzte Rettungsplan des 1. FC Nürnberg.

Schon die Pressemitteilung, die der Verein am Montagnachmittag verschickte, suggerierte Alternativlosigkeit. Tags zuvor war der FCN zum Ende einer blamablen Saison in der zweiten Bundesliga mit einem 1:1 bei Holstein Kiel auf den Relegationsplatz zurückgefallen. Danach entließ Sportchef Robert Palikuca in Jens Keller bereits den zweiten Trainer in dieser Spielzeit und beauftragte den Nachwuchsleiter Wiesinger, 47, und den U21-Trainer Mintal, 42, mit der Aufgabe, die Mannschaft in der Relegation zu betreuen. Die beiden, so ließ sich Palikuca in der Mitteilung zitieren, seien "die einzige sinnvolle Lösung".

Kurz darauf, als Palikuca in der Pressekonferenz neben Wiesinger saß, erklärte er, dass die Mannschaft unter Keller in die immer gleichen Muster verfallen sei. Muster, die nach der Corona-Pause nur einen Sieg brachten und immer wieder dazu führten, dass Führungen nicht für Siege reichten. Muster, die nun zum zweiten Drittligaabstieg in der 120 Jahre langen Vereinsgeschichte führen könnten. Wiesinger und Mintal, sagte er, würden die Mannschaft kennen und auch im Nachwuchsleistungszentrum die Profis analysieren. Er nannte außerdem "Herzblut" als weiteren Grund, beiden zu vertrauen. Und so selbstverständlich das erst mal klang, so wichtig ist es wohl trotzdem.

Wiesinger hat sechs Jahre für den Club gespielt, er erlebte den ersten Drittliga-Abstieg 1996 und den Wiederaufstieg bis in die erste Liga, Mintal war acht Jahre lang ein legendärer Torjäger. Sie waren auch schon mal gemeinsam Trainer, in Wiesingers Cheftrainersaison 2013/2014, neun Spiele lang. Später wurde Wiesinger entlassen, der Club stieg aus der ersten Liga ab. Mintal hat den Verein seitdem nicht verlassen, war Jugendtrainer und in dieser Saison bereits einmal interimsmäßig für die Profis zuständig, 1:5 ging ein Spiel gegen Arminia Bielefeld verloren. Er habe "überragende Fähigkeiten, in der Emotionalität, die Spieler anzustecken", sagt Wiesinger über seinen Kollegen, dem Chancen nachgesagt werden, dass er die Mannschaft zur neuen Saison übernehmen könnte.

Doch über die Zeit nach der Relegation will gerade in Nürnberg immer noch niemand gerne sprechen vor zwei Spielen gegen einen noch unbekannten Gegner, die den mit unangenehmen Konsequenzen verbunden Abstieg in die dritte Liga verhindern sollen. Und für diese Spiele ist nun erst mal Wiesinger der Chef.

Die oft unbarmherzige Branche sagte dem Trainer Wiesinger nach, fast schon zu nett zu sein

Nach der SV Elversberg trainierte er in der Regionalliga auch noch den KFC Uerdingen, bevor er 2019 als Nachwuchsleiter zum FCN zurückkehrte; diese Aufgabe löse er "überragend", wie Palikuca sagte. Es sei ihm "wichtig zu betonen", sagte Wiesinger, "dass ich danach in meine Position zurück will". Doch genauso sei es eine "Selbstverständlichkeit", jetzt zu helfen.

Wiesinger war ein Trainer, dem die oft unbarmherzige Branche nachsagte, fast schon zu nett zu sein. Es ist ein Image, das in Teilen auch die Nürnberger Mannschaft hat. Darauf angesprochen entgegnete er, dass er natürlich zu "klarem Coaching" in der Lage, bloß immer noch "kein Schauspieler" und "kein Lautsprecher" sei. Seine Stärke sei "die Sachlichkeit", sagte er - und hielt dann doch ein emotionales Plädoyer.

Es gelte herauszufinden, welche Spieler "zu allem bereit sind". "Vielleicht", sagte Wiesinger, "können wir in der Woche auch eine neue Identität kreieren." Zwölf Tage, inklusive Rückspiel, hat er dafür Zeit. Und dann könnte er einer der wichtigsten Trainer in der jüngeren Nürnberger Geschichte gewesen sein, obwohl er eigentlich gar kein Trainer mehr sein wollte.

© SZ vom 01.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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