Süddeutsche Zeitung

1. FC Nürnberg:Klein anfangen

Der neue Club-Trainer Jens Keller will "nicht jammern". Sein Ziel: dem Zweitligisten erst mal eine stärkere Abwehr zu verschaffen.

Von Sebastian Fischer

Zur Begrüßung sagte Jens Keller einen Satz, der eigentlich nur für die Fotografen bestimmt war, die ihn als neuen Trainer des 1. FC Nürnberg beim Handschlag mit Sportvorstand Robert Palikuca in Szene setzen wollten. Aber er sagte ihn deutlich hörbar und nach Beginn der Live-Übertragung: "Ich sehe ja aus wie ein Schlumpf hier", sagte Keller, gut 14 Zentimeter kleiner als sein 1,96 Meter großer neuer Chef. Es war der Satz eines Trainers, der in den vergangenen Jahren tatsächlich ein bisschen kleiner geworden ist, jedenfalls seinem Ruf zufolge.

Keller, 48, ist am Mittwoch als Chefcoach beim Club vorgestellt worden. Er soll einer Mannschaft, die in den vergangenen zehn Pflichtspielen nur einmal gewann und zuletzt nach einem 1:5 gegen Arminia Bielefeld auf Platz 14 der Zweitliga-Tabelle zurückfiel, wieder jene defensive Stabilität und Sicherheit verleihen, die unter dem erst nach dem Abstieg im Sommer verpflichteten und in der Vorwoche freigestellten Trainer Damir Canadi verloren ging. Darum ging es in Kellers erster Pressekonferenz, es fielen branchenübliche Worte: Die Bedingungen seien top, die Qualität in der Mannschaft sei da. Sie brauche wieder mehr Selbstvertrauen, man müsse positiv denken, von Spiel zu Spiel.

Es ging aber auch darum, dass ein Trainer mit seinem neuen Verein irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft, wieder dort hin zurück will, wo beide schon mal waren: wenigstens in die Nähe der ersten Liga.

Er übernimmt die mit 27 Gegentoren defensivschwächste Mannschaft der Liga

Im März 2014 trug Keller noch einen Anzug an der Seitenlinie, er war mit Schalke 04 zu Gast im Stadion Santiago Bernabéu. Zwar verloren die Schalker Hin- und Rückspiel im Achtelfinale der Champions League gegen Real Madrid in Summe mit 2:9, aber immerhin hatte es der Klub mit Keller überhaupt dort hin geschafft. Als er rund drei Jahre später, nach fast zwei Jahren als Erstligacoach in Schalke, mit Union Berlin um den Aufstieg in die Bundesliga spielte, sagte er in einem Interview dem Magazin 11 Freunde über seinen ersten Gedanken nach dem Angebot aus Berlin: "Na gut, ein Verein aus der zweiten Liga. Aber ich hab' immer gesagt, dass mir die Liga erst mal egal ist, wenn ich sehe, dass man in Ruhe etwas aufbauen kann."

Nun allerdings darf er nicht in Ruhe etwas aufbauen. Er soll dafür sorgen, dass Nürnberg nicht in Abstiegsgefahr gerät und sich bereits im Derby gegen Greuther Fürth in eineinhalb Wochen wieder so präsentiert, dass es die ausgesprochen wütenden Fans zufrieden stellt. Keller ist außerdem inzwischen der Trainer, der in der vergangenen Saison von seiner Einstellung im Dezember bis zu seiner Freistellung im April letztendlich erfolglos versucht hatte, den Abstieg des FC Ingolstadt in die dritte Liga zu verhindern. In Berlin war er 2017 beurlaubt worden, obwohl Union erfolgreicher Tabellenvierter war. Union-Präsident Dirk Zingler erklärte den Entschluss der völlig überraschten Öffentlichkeit unter anderem mit den Worten, er dulde nicht, dass "nicht mit 100 Prozent, sondern nur mit 98 Prozent" gearbeitet werde.

Über das Ende seiner Zeit in Berlin wollte Keller am Mittwoch nicht mehr viel sagen. Über die Lehren aus seinem Engagement in Ingolstadt sagte er, dass man die Situation mit der in Nürnberg vergleichen könne, auch Ingolstadt sei "mit ganz anderen Zielen in die Saison gestartet". Er sei aber froh, dass es nun den Videobeweis in der zweiten Liga gebe: "Wäre das letztes Jahr schon der Fall gewesen, hätten wir einen ganz anderen Tabellenplatz gehabt."

Keller übernimmt in Nürnberg die mit 27 Gegentoren defensivschwächste Mannschaft der Liga, die in Benedikt Willert, 18, zuletzt Torhüter Nummer fünf aufstellen musste, weil alle anderen Keeper verletzt sind. Der Fokus auf Defensivarbeit ist also logisch. Seine Mannschaften habe immer aggressives Umschaltspiel und Kompaktheit ausgezeichnet, sagte Keller er über seinen als pragmatisch geltenden Stil. Er sagte auch, dass er sich anpassen werde ans Team und "unheimlich kommunikativ" sei. Vorgänger Canadi hatte fordernd einen neuen Spielstil eingeführt und war aus der Mannschaft teilweise für seine Kommunikationskultur kritisiert worden.

An Keller, der einen Vertrag bis 2021 unterschrieb, soll laut Bild auch der zweite Bundesliga-Absteiger, der Tabellenfünfzehnte Hannover 96 interessiert gewesen sein. In den Gesprächen mit Nürnbergs Sportvorstand Palikuca, der auch mit dem Ex-Kölner Markus Anfang verhandelt haben soll, habe es eine rasche Übereinkunft über die Ziele gegeben, hieß es am Mittwoch. "Ich fange nicht an zu jammern", sagte Keller. Er wollte schnell weiter, um zur Mannschaft zu sprechen und das erste Training zu leiten. Er werde sich viele Club-Spiele auf Video ansehen, sagte er. Zuletzt habe er meist die Konferenz angeschaut.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2019
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