Süddeutsche Zeitung

1. FC Nürnberg:Jahre nach dem Kuss

Endlich der Wendepunkt einer schwierigen Saison? Für Johannes Geis geht es gegen seinen ehemaligen Klub Fürth um mehr als Derby-Romantik.

Von Sebastian Fischer

"Ich bin ein Fürther Junge", sagte Johannes Geis. Er hatte mit der SpVgg Greuther Fürth soeben in der Bundesliga-Rückrunde beim 1. FC Nürnberg mit 1:0 gewonnen, dabei das Tor mit einem Fernschuss erzielt. Geis küsste beim Jubel das Kleeblatt auf seinem Trikot. Und das war damals, im April 2013, natürlich eine schöne Geschichte: Der Junge aus der Fürther Jugend, 19 Jahre alt, der das Derby entscheidet. Sechseinhalb Jahre später ist Geis allerdings ein erfahrener Fußballer, dem schöne Geschichten nicht so viel bedeuten.

"Mergim Mavraj kenne ich noch, weil er aus der gleichen Beraterfirma kommt wie ich." Dieser Satz über den Fürther Abwehrspieler war der romantischste, den Geis in dieser Woche sagte, vor seinem ersten Derby gegen Fürth als Spieler des 1. FC Nürnberg. Sonst sagte er zum Beispiel, dass er immer versuche, Tore zu schießen, natürlich auch diesmal. Dass es ihn anstacheln würde, sollten die Fans in Fürth ihn auspfeifen. Und dass er jubeln würde, sollte er wieder treffen. "Weil's einfach wichtig ist."

Der Mittelfeldspieler Geis, 26, gehört zu jenen Spielern im Nürnberger Kader, die den Unterschied zwischen hohen Ansprüchen und momentaner Wirklichkeit im Tabellenkeller der zweiten Liga verkörpern. Gleich nach seiner ersten Bundesligasaison mit Fürth wechselte er zu Mainz 05, später für mehr als zehn Millionen Euro weiter zu Schalke 04. In diesem Sommer war er nach einer Rückrunde beim Aufsteiger Köln dann allerdings für ein paar Tage ohne Verein. Es ist wohl auch seine Vita, die begründet, warum es ihm am Sonntag um mehr geht als den Derbysieg. Es geht darum, diese Saison zu retten, indem nach zehn Spielen ohne Sieg in Serie mal wieder ein Erfolg gelingt, zum Einstand des neuen Trainers Jens Keller. Der habe viel Erfahrung, sei sehr energisch, unterbreche viel im Training, "das brauchen wir jetzt".

Geis hat Nürnbergs Potenzial im Kicker-Interview im September noch mit dem vom Hamburger SV und dem VfB Stuttgart verglichen, dem Tabellenzweiten und dem Tabellendritten. Er sagte, dass sich in Nürnberg entscheiden werde, wo es mit seiner eigenen Laufbahn hingeht.

Geis, das war schon in Fürth nicht immer nur das große Talent, sondern auch der Spieler, der von Trainer Mike Büskens wegen angeblicher Fitnessprobleme kurzzeitig in die Reserve geschickt worden war. Er war in Deutschland dann lange der Junioren-Nationalspieler mit dem feinen rechten Fuß und dem Gespür für gefährliche Ecken und Freistöße - bis er mit seinem rechten Fuß den damaligen Gladbacher André Hahn böse foulte, für fünf Spiele gesperrt und als "Knochenbrecher" beschimpft wurde. Er verlor irgendwann in Schalke seinen Stammplatz, wurde nach Sevilla verliehen, spielte gar in der Champions League - aber im April 2017 zum letzten Mal von Beginn an in der Bundesliga.

"Ich wollte unbedingt dorthin, wo man auch auf mich setzt. Das wurde mir in den Gesprächen mit dem Club auch eindeutig signalisiert", sagte er nach seinem Wechsel im Sommer. Gleich in seinem ersten Einsatz im DFB-Pokal in Ingolstadt spielte er 90 Minuten lang und verlieh der Mannschaft im zentralen defensiven Mittelfeld Struktur, nach zuvor gerade mal drei Trainingseinheiten. Er ist seitdem mit fünf Treffern bester Torschütze sowie mit vier Vorlagen bester Torvorbereiter im Team. 74 Prozent seiner im Schnitt mehr als 40 Pässe pro Spiel, davon nicht wenige weit und anspruchsvoll, sind erfolgreich.

Ja, natürlich sei er dankbar, einst in Fürth zum Profi geworden sein, sagte er noch, auf die entsprechende Nachfrage. Nach seinem Wechsel nach Nürnberg wurde er von Fürthern im Internet mit den üblichen Beleidigungen bedacht. "Klar wird man auf mich schauen". Aber Geis wird eher darauf schauen, dass seine Pässe ankommen und seine Ecken gefährlich vors Tor fliegen. Und er wird schießen, wenn er Platz dafür hat. Er habe bisher kein Frankenderby verloren, sagte er. Das soll sich nicht ändern, bloß weil er jetzt auf der anderen Seite spielt.

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Quelle:
SZ vom 24.11.2019
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