Süddeutsche Zeitung

1. FC Nürnberg:Flott Freude entwickelt

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Interimstrainer Michael Wiesinger spricht vor der Zweitliga-Relegation von einem "neuen Spirit".

Von Sebastian Fischer, Nürnberg/München

Die Dimension des größten Misserfolgs in der Geschichte des 1. FC Nürnberg hat Michael Wiesinger zu spät erfasst, obwohl er eine Hauptrolle einnahm. Er war Stammspieler, damals, in der Saison 1995/1996, als talentierter Fußballer im Mittelfeld. Und als er im Herbst 1996 mit Nürnberg nicht mehr in der zweiten, sondern in der dritten Liga spielte, erklärte er das so: "Als wir merkten, was los ist, waren wir schon abgestiegen." Diese Unbedarftheit, so viel steht wohl fest, wird sich diesmal nicht wiederholen.

Bevor der FCN, im vergangenen Sommer noch mit Ambitionen auf baldige Rückkehr aus der Bundesliga abgestiegen, tatsächlich zum zweiten Mal in seiner Historie drittklassig sein könnte, bleiben zwei Relegationsspiele gegen den FC Ingolstadt, den Vierten der dritten Liga, an diesem Dienstag und am Samstag. Wiesinger, 47, eigentlich inzwischen Nachwuchsleiter, ist der Interimscheftrainer für zwei Spiele. In der Pressekonferenz am Montag versicherte er, dass sich jeder Spieler der Verantwortung bewusst sei; er sagte gar: "Ich kann feststellen, dass wir einen neuen Spirit entwickelt haben."

Der Geist der Zweitligasaison war kein positiver. Weder unter dem im Sommer verpflichteten Trainer Damir Canadi, noch unter dessen nach dem 34. Spieltag entlassenen Nachfolger Jens Keller hatte die Mannschaft als solche funktioniert. Wiesinger wird nach der Saison wieder in seinen Job im Nachwuchsleistungszentrum zurückkehren, seinem Assistenten Marek Mintal, 42, U21-Trainer und als früherer Torjäger in Nürnberg verehrt, werden gute Chancen nachgesagt, der nächste Cheftrainer zu werden. Doch für eine Zukunft, die nicht mit einem schmerzvollen Neuaufbau in der dritten Liga beginnen muss, braucht es zunächst zwei erfolgreiche Spiele. Wiesinger immerhin ist sich nach einem Kurztrainingslager in Bad Gögging sicher, dass die Mannschaft "Freude entwickelt" habe. Auch Sportchef Robert Palikuca, selbst in der Kritik, gibt sich Mühe, Selbstbewusstsein auszustrahlen. "Ingolstadt will unseren Platz in der zweiten Liga", sagte er. "Das werden wir zu verhindern wissen."

Es spricht durchaus etwas dafür, dass das gelingt. Dass Ingolstadt die Drittligasaison erst am Samstag beendete zum Beispiel, oder dass beim FCN der vom FC Arsenal geliehene, wichtige Innenverteidiger Dinos Mavropanos nach Verletzung wieder zur Verfügung steht. Außerdem plant Wiesinger offenbar, den Offensivspieler Nikola Dovedan zentral aufzustellen. Die schwachen Leistungen des Österreichers, der im Sommer aus Heidenheim als teuerster von vielen Zugängen gekommen war und meist auf dem Flügel spielte, hatten zuletzt als Beispiel für die eher enttäuschende Transferbilanz Palikucas gegolten.

Nun lasse sich zwar mit ein paar Trainingseinheiten nicht eine ganze Saison auf den Kopf stellen, sagt Wiesinger auch. Aber er scheint der Mannschaft zumindest einen klaren Plan mit auf den Weg geben zu wollen: Fokus auf konzentriertes Verteidigen, kein Riskieren eines offenen Schlagabtauschs, viel kommunizieren - und Willenskraft zeigen, "sich gegenseitig emotional anzünden", schon beim Warmmachen, so drückte es Wiesinger aus.

Er und Mintal stehen vor allem deshalb in der Verantwortung, weil sie das Engagement für den Club als langjährige Profis und Trainer in Nürnberg glaubwürdig vermitteln. Und noch etwas interpretieren sie beim FCN als Vorteil: Wiesinger hat als Trainer bereits eine Relegation erlebt. Vor zehn Jahren stieg er in die zweite Liga auf. Damals war er Trainer in Ingolstadt.

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SZ vom 07.07.2020
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