Süddeutsche Zeitung

1. FC Nürnberg:Engel mit leichtem Gepäck

An diesem Montag bricht der Zweitliga-Drittletzte nach Marbella ins Trainingslager auf - überraschenderweise beschwingt von einem hohen Sieg gegen den FC Bayern.

Von Benedikt Warmbrunn

Robin Hack breitete die Arme aus, die Handflächen drehte er nach oben, und so lief er den Fans entgegen, ein unschuldiger Engel, der doch unmöglich etwas verbrochen haben könnte, der unmöglich jemand etwas angetan haben könnte, erst recht nicht dem FC Bayern. In dieser Geste steckte also die ganze Nürnberger Gefühlslage an diesem Samstagnachmittag, die Rauschhaftigkeit, in der sie die zweite Hälfte erlebten, konnten sie ja selbst kaum glauben.

Als Hack engelsgleich dem eigenen Anhang entgegen schwebte, lief die 76. Minute in diesem Testspiel, und spätestens jetzt war nicht mehr zu übersehen, dass da gerade jemandem etwas angetan wurde. Allerdings nicht wie erwartet dem 1. FC Nürnberg, dem Drittletzten der zweiten Liga.

Sondern dem FC Bayern, dem Tabellendritten der Bundesliga. Mit seinen ausgebreiteten Armen bejubelte Hack seinen Treffer zum zwischenzeitlichen 5:1, es war inzwischen nicht nur klar, dass es für den Club vor 27 409 Zuschauern zu einem Sieg reichen würde, sondern sogar zu einem hohen; daran änderte auch das späte Gegentor zum 5:2-Endstand nichts mehr. (Ein bisschen was hatte Hack übrigens doch verbrochen, er stand wohl vor seinem Tor im Abseits, aber bislang wurde der Videobeweis ja bei Testspielen nicht eingeführt.)

An diesem Montag fliegt der 1. FC Nürnberg ins Trainingslager nach Marbella, und eigentlich waren die meisten davon ausgegangen, dass sie eine deutliche Niederlage gegen die Bayern als schweres Zusatzgepäck mitnehmen würden. Hansi Flick, der Münchner Trainer, gestand zum Beispiel, er habe "schon damit gerechnet, dass wir das eine oder andere Tor vorlegen", in der ersten Hälfte, in der er ausschließlich Nationalspieler eingesetzt hatte. Doch nach dieser stand es 1:1, wenige Sekunden nach der Pause schon 2:1 für den Club, und dass der Gastgeber dann drei weitere Tore nachlegte, das lag nicht allein daran, dass bei den Bayern nur noch Nachwuchskräfte spielten. Es lag schon auch daran, dass eine Mannschaft nun zögerlich agierte und die andere entschlossen sowie im Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Und diese Mannschaft, das war die der Nürnberger.

Als die Spieler und Trainer Jens Keller später diesen überraschend hohen Sieg erklären sollten, verwiesen sie erst einmal darauf, dass die Bayern ein anstrengendes Trainingslager hinter sich hätten und dass im zweiten Durchgang eben nur Talente gespielt hätten, "wir wissen", sagte zum Beispiel Johannes Geis, "dass es in der zweiten Liga wieder anders laufen wird". Doch allein dass das schwere Zusatzgepäck einer hohen Niederlage fehlte, reichte, um rund um die Mannschaft eine gewisse Leichtigkeit entstehen zu lassen.

"In unserer Phase müssen wir so etwas für unser Selbstbewusstsein nutzen", sagte Trainer Keller, der darauf verwies, dass die Bayern im ersten Durchgang "mit der kompletten Kapelle" angetreten seien - und dennoch habe es seine Mannschaft gut gemacht. "Daraus müssen wir Stärke ziehen", sagte er. Michael Frey, der Torschütze zum zwischenzeitlichen 1:0, sagte: "Wenn du fünf Tore gegen die Bayern schießt, dann ist es ein positiver Test."

Die Eigenschaften, die dem Club zum Sieg verhalfen, waren ja auch solche, die auch im Abstiegskampf der zweiten Liga wichtig werden könnten. Die Mannschaft verteidigte geschlossen und entschlossen, unterstützt wurde sie dabei erstmals von Außenverteidiger Philip Heise, der im Winter von Norwich City ausgeliehen worden war. "Wir haben defensiv enorm gut gegen den Ball gearbeitet", lobte Keller. Und auch in der ersten Hälfte ließ sich seine Mannschaft von den Bayern dabei weder locken noch einschnüren - vielmehr wartete sie geduldig auf Kontergelegenheiten. Und diese trugen sie dann mit einer Schnelligkeit und Zielstrebigkeit vor, die auch gegen den einen oder anderen Ligagegner helfen dürfte. Nach einem solchen Konter traf in der ersten Halbzeit Frey sowie nach der Pause Mikael Ishak, Adam Zrelak, Fabian Schleusener und eben der engelsgleiche Hack.

Dass diese rustikale und doch agile Spielweise in den verbliebenen 16 Ligaspielen beibehalten werden soll, das deutete Keller an, als er über die Pläne für das Trainingslager sprach. Er wolle "weiter physisch arbeiten", das Konterspiel will er sogar "deutlich verbessern". Und wer nach einem 5:2 gegen den FC Bayern über Verbesserungspotenzial spricht, der kann ja eigentlich nur beschwingt in die nächsten Wochen gehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4753967
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.01.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.