Süddeutsche Zeitung

1. FC Nürnberg:Einmal oben und zurück

Wie der 1. FC Nürnberg von einem mittelmäßigen Zweitligisten zu einem Bundesligisten wurde - und wieder zu einem mittelmäßigen Zweitligisten.

Von Sebastian Fischer und Markus Schäflein

Am Montag tritt der 1. FC Nürnberg in Stuttgart an - es ist das Treffen der Bundesliga-Absteiger. Derzeit haben aber nur die Schwaben Aussichten auf eine Rückkehr, der Club ist wieder zu einem gewöhnlichen Zweitligisten geworden. Eine Chronologie der vergangenen Jahre.

Das erste Missverständnis

Anfang März 2017 endete die kurze Ära des Trainers Alois Schwartz, die im Nachhinein nicht als Ära empfunden wurde, sondern als Missverständnis. Nach einem uninspirierten Auftritt im Derby in Fürth, das 0:1 ausging und die dritte Niederlage in Serie darstellte, überlegten die Aufsichtsräte und Sportvorstand Andreas Bornemann nicht mehr lange. Dass der im vorherigen Sommer für eine Ablöse von rund 400 000 Euro aus Sandhausen gekommene Schwartz wieder gehen musste, verursachte keine großen Verhandlungen; die Modalitäten eines vorzeitigen Abschieds waren in seinem Vertrag festgelegt. Schwartz galt schon länger als zu uninspiriert für einen großen Traditionsklub wie den Club, als Defensiv-Fetischist war er auch eher ein Trainer für Sandhausen-Ambitionen. Zudem ging er allen auf die Nerven, indem er gebetsmühlenartig den Verlust von Torjäger Guido Burgstaller im Winter als Begründung für die Offensivflaute hernahm. Dann schon lieber: Michael Köllner, der bisherige U21-Trainer, der sich und seine offensiven Ideen überaus offensiv zu verkaufen vermochte.

Der Alchimist und der Frischkäse

Köllner hatte schon Bücher über Fußballtraining geschrieben, er war mitverantwortlich für "Lehrmedien und Lehrmaterialien" des Deutschen Fußball-Bundes, und er hat ein "bayernweites Schulfußballkonzept" für das Kultusministerium entwickelt. Es war also zu erahnen, dass Köllner auch als Cheftrainer des 1. FC Nürnberg nichts dem Zufall überlassen würde. "Club-Profis trinken flüssigen Frischkäse!", titelte entsetzt die Bild-Zeitung, als sie erfahren hatte, dass die Spieler nach den Trainingseinheiten einen Eiweiß-Shake mit Frischkäse und Haferflocken zu sich nehmen mussten - eine Präventionsmaßnahme gegen muskuläre Probleme und Schäden an den Bändern. Köllner ließ die Spieler ein Kloster besichtigen und das Buch "Der Alchimist" von Paulo Coelho lesen. Am Ende der Saison 2017/18 stand der Bundesliga-Aufstieg, ein Missverständnis war sie definitiv nicht. Und doch streiten bis heute die Menschen in Nürnberg darüber, ob Köllner mit der Mannschaft aufstieg oder die Mannschaft mit Köllner.

Ziemlich nette Freunde

Diese Mannschaft war jedenfalls eine ganz besondere. Sportlicher Erfolg beginnt selten mit einem Urlaub, aber dieser Aufstieg ist besser zu verstehen mit der Geschichte einer Reise nach Bali. Kapitän Hanno Behrens, Verteidiger Tim Leibold und Angreifer Sebastian Kerk waren mit sieben anderen Kumpels auf der Surfer-Insel unterwegs. Behrens reiste außerdem mit Leibold durch Costa Rica: Im Spox-Interview erzählte er, wie sie an Silvester mit Quads am Meer entlangfuhren, ein Reifen platzte und sie dann neben einer Werkstatt mit Einheimischen in einer Bar saßen und etwas tranken. Der Kern des Teams war jahrelang derselbe, auch Spieler wie Enrico Valentini, Georg Margreitter oder Mikael Ishak gehörten dazu. Die "Werte in der Mannschaft" lobte Behrens ausdrücklich. Untereinander waren sie befreundet, manche womöglich sogar dem Spiel etwas mehr verbunden als dem Geschäft. Wie über perfekte Schwiegersöhne hat Sportvorstand Robert Palikuca über sie gesprochen, nachdem er sie im Frühjahr 2019 kennengelernt hatte. In der Bundesliga gerieten manche von ihnen allerdings an ihre fußballerischen Grenzen. Und im Sommer 2019 war Behrens ohne seinen Kumpel Leibold im Surfurlaub in Portugal und auf den Malediven.

Nicht vermeeskt

Finanzvorstand Michael Meeske kam überall gut an, weil er nach der Ära des spendablen Martin Bader die Scherben zielstrebig zusammenkehrte. Seine größte Idee für die Zukunft konnte er aber nicht durchsetzen. Bei der Mitgliederversammlung 2017 kündigte er an, bei der Versammlung 2018 "die Pläne in einem Guss vorstellen und zur Abstimmung stellen" zu wollen - für die Ausgliederung in eine Kapitalgesellschaft und den Einstieg von Investoren. Doch es machte sich großer Widerstand breit, vor allem aus den Reihen der Ultras, überall klebten am Valznerweiher die Aufkleber: "Nein zur Ausgliederung! Wir lassen uns den e.V. nicht vermeesken!", die Gruppierung "Mein Club, mein Verein" wurde gegründet. Meeske ahnte wohl, dass die nötige Dreiviertelmehrheit eine Utopie war. Auf der Versammlung 2018, kurz nach dem Bundesliga-Aufstieg, ließ er nicht abstimmen, stattdessen verabschiedete er sich unter freundlichem Applaus zum (praktischerweise bereits seit 2001 ausgegliederten) VfL Wolfsburg. Der Club war jetzt nicht vermeeskt, aber auch weiterhin arm. Niels Rossow übernahm das Amt - und sparte weiter.

Der große Kahlschlag

Sparen war auch das Schlagwort, um das Wirken von Andreas Bornemann zu beschreiben. Einen Sportvorstand wie ihn an der Seite kann sich ein Finanzvorstand nur wünschen. Auch nach dem Aufstieg in die erste Bundesliga hatte er keine allzu üppige Wunschliste. Das führte dazu, dass die enormen Mehreinnahmen im Oberhaus zu einem guten Teil zum Schuldenabbau benutzt werden konnten. Es führte allerdings auch dazu, dass Köllners Team mit seinem Offensivfußball in der Saison 2018/19 auf Dauer kein Land sah. Köllner wollte seinen Stil nicht ändern, Bornemann wollte ihn nicht entlassen, beide mussten Mitte Februar gehen. Aufsichtsratschef Thomas Grethlein resümierte: "Man kann durchaus sagen, dass wir in der sportlichen Kompetenz einen Kahlschlag haben."

Pfostenpech

Der Abstieg war einer, der sich lange andeutete, das logische Resultat von Unterlegenheit - und vielleicht doch eine Frage von Zentimetern. Ein Sonntag im April, der 31. Spieltag, es lief die erste Minute der Nachspielzeit. Tim Leibold lief zum Elfmeter an, beim Stand von 1:1 gegen den FC Bayern. Hätte er getroffen, Nürnberg hätte den deutschen Meister besiegt und nur noch drei Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz gehabt. Vielleicht würde Leibold weiter für den Club verteidigen und nicht für den Hamburger SV. Vielleicht wäre Boris Schommers, Köllners interimsmäßiger Nachfolger, nun nicht Trainer beim Drittligisten Kaiserslautern. Doch Leibold traf den Pfosten. Es flossen Tränen.

Canadi und 13 Neue

Im Mai 2019 wehrte sich Robert Palikuca gegen eine aus seiner Sicht fast schön bösartige Unterstellung. "Dass es eine Freundschaft gibt, ist absolut falsch", sagte er. Unbestritten war allerdings, dass der zuvor weitgehend unbekannte neue Sportvorstand einen zuvor weitgehend unbekannten Trainer verpflichtet hatte, den Österreicher Damir Canadi, der mit ihm die "Vision Bundesliga" teile, Ziel sei der Wiederaufstieg 2021, sagte er. Palikuca, zuvor in einem Management-Trio bei Fortuna Düsseldorf vornehmlich für Verhandlungen zuständig, verpflichtete nicht nur Canadi: Ski-Trainer Mathias Berthold kam als Mental-Coach, der frühere Club-Trainer Michael Wiesinger wurde neuer Chef des Nachwuchsleistungszentrums - um nur zwei Beispiele zu nennen. Und weil Spielerverkäufe neues Geld brachten, wurde auch erst mal nicht mehr so extrem gespart. Es kamen 13 neue Spieler. "Wir werden immer stabiler", rief Palikuca auf der Mitgliederversammlung.

Das zweite Missverständnis

"Talent bestimmt, was man tun kann. Motivation bestimmt, wie viel man bereit ist zu tun. Einstellung bestimmt, wie gut man es tut." Das ist kein Auszug aus dem Vortrag in einem Life-Coaching-Seminar, sondern Folie sechs von Canadis längst legendärer Power-Point-Präsentation seiner Spielideen. Dass er schon im November wieder gehen musste, lag aber nicht nur an seiner Art der Vermittlung ambitionierter sportlicher Inhalte und dem Scheitern einer auf Folie mutigen Taktik, sondern auch an Pech. So verletzten sich nach Stammtorwart Christian Mathenia auch noch zwei Ersatzkeeper sowie die Nummer eins der U21 in der Regionalliga. Palikuca musste sogar außerhalb der dafür vorgesehenen Periode weiter verpflichten, Zugang Nummer 14 war der zuvor vertragslose Torwart Felix Dornebusch.

Das große Schimpfen

Auf die Kurve - einst dafür bekannt, dass sie den Profis nach einem schlechten Spiel ihre Trikots abnahm - war immer Verlass: Die Anhänger feierten die Mannschaft nach dem Abstieg, schenkten ihr sogar T-Shirts. "Mein Team wird immer von dem Rückhalt der Fans getragen", schrieb auch Canadi nach den ersten Niederlagen bei Facebook. Bald forderten sie allerdings seinen Rauswurf. Und als Canadis Nachfolger Jens Keller vor einer Woche sein erstes Heimspiel gegen den bisherigen Tabellenletzten Wehen Wiesbaden verlor, wurden Trainer und Spieler hinterher rund zehn Minuten von den Ultras beschimpft. Sportvorstand Palikuca soll im Winter die nächsten drei Transfers planen. Von Rang 16 soll es schließlich wieder nach oben gehen.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2019
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