Süddeutsche Zeitung

1. FC Nürnberg:Ein Tiefpunkt und noch ein Schock

Zwei schwere Verletzungen überschatten die Pokalniederlage des 1. FC Nürnberg gegen den Hamburger SV. Der Club entschuldigt sich für seine Anhänger, die den früheren Nürnberger Leibold "demütigten".

Von Thomas Gröbner

Es kommt nicht so oft vor, dass sich ein Verein schriftlich von den eigenen Anhängern distanziert. Am Mittwoch, einen Tag nach dem Pokalduell zwischen dem 1. FC Nürnberg und dem Hamburger SV, war es aber so weit.

Was war geschehen? Nürnbergs Mittelfeldstratege Tom Krauß, selten als Raubein auffällig, hatte an der Seitenlinie den ehemaligen Club-Spieler Tim Leibold bei einer Grätsche mit dem nachgezogenen Bein getroffen (18. Minute). Wohl kein Foul, aber der ehemalige FCN-Profi Leibold verdrehte sich dabei böse das Knie. Die Schmerzensschreie des sich windenden Leibold gellten durch das Stadion. Übertönt wurden sie von den Pfiffen und dem Feixen der Club-Fans auf den Rängen, die den Verletzten "demütigten", wie es der Verein später schrieb.

Das Spiel zeigte, dass bei Einigen auf der Tribüne die banale Erkenntnis nicht angekommen ist: Dort unten windet sich ein Mensch in einem Trikot, kein Feind. Auch deshalb sah sich der Verein wohl genötigt, sich für Teile seiner Anhänger zu entschuldigen.

"Wir vertreten es in keinster Weise, einen Spieler zu demütigen, vor allem dann nicht, wenn er unter Schmerzen am Boden liegt", teilte der Club im absoluten Superlativ mit. "Wir bedauern es wirklich sehr, dass es dennoch zu solch einem Verhalten gekommen ist und entschuldigen uns beim Hamburger SV und insbesondere bei Tim Leibold, dem wir eine schnelle Genesung wünschen." Am Mittwochnachmittag kam dann die niederschmetternde Diagnose: Kreuzbandriss im rechten Knie, der Linksverteidiger fällt für die gesamte Restsaison aus.

Leibolds Treueschwüre scheinen viele Club-Fans nicht vergessen zu haben

Leibold, einst Publikumsliebling in Nürnberg, hat seit seinem Abschied 2019 einen schweren Stand bei den Nürnberger Fans. Trotz Treueschwüren ("Man haut nicht ab") verließ Leibold nach dem Bundesligaabstieg per Ausstiegsklausel den FCN und wechselte zum HSV, was immerhin knapp zwei Millionen in die leeren Nürnberger Kassen spülte. Verziehen haben es ihm viele beim Club augenscheinlich trotzdem nicht.

Die zweite prägende Szene des Abends folgte nur zwölf Sekunden nach der Pause: Krauß sackte am Kopf getroffen zusammen, nachdem er in einem Luftduell mit dem für Leibold eingewechselten Schweizer Miro Muheim zusammengerauscht war. Es waren bange Minuten, in denen Club-Trainer Robert Klauß über den Platz gestürmt kam. "Ich hab gemerkt, dass Hektik aufkommt, und wollte schauen, damit die Ärzte in Ruhe arbeiten können", erklärte Klauß auf der Pressekonferenz. Und natürlich, er wollte auch sehen, wie es Krauß gehe.

Stille hatte sich plötzlich wie schwerer Abendnebel über das Stadion gelegt, "ein Schockmoment" für die Spieler sei es gewesen, wie Klauß zugab. Als Krauß in die Kabine getragen wurde und auf seiner Trage den Daumen in den Himmel streckte, applaudierte das ganze Stadion, die Rivalität auf den Rängen schien verblasst, Nürnberger und Hamburger erhoben sich und spendeten gemeinsam Beifall.

Einen Verlierer habe dieses Spiel nicht verdient, fand Nürnbergs Trainer Klauß

Die Partie verkam angesichts dieser Bilder fast zur Nebensache, obwohl sich beide Trainer einig waren, ein "sensationelles Spiel" gesehen zu haben. Eines, das sich nach den Toren von Jonas David (45.) und dem Ausgleich der Nürnberger durch Taylan Duman (59.) über 120 Minuten hinzog und "keinen Verlierer verdient hatte", wie Klauß fand. Aber Pokalspiele fordern eine Entscheidung ein, und so musste ein Elfmeterschießen den Verlierer finden.

Es kam also auf Ersatztorhüter Carl Klaus an, dem Trainer Klauß den Vorzug vor Stammkeeper Christian Mathenia gegeben hatte - vielleicht auch, um den Ersatzmann nicht mit dem Trauma der 0:7-Testspiel-Pleite gegen Ingolstadt alleine zu lassen. Eine Blöße gab sich Klaus nicht in den 120 Minuten nicht, "es hat Spaß gemacht, mit Ausnahme des Endes", lautete sein Fazit. Denn zum Elfmeterhelden konnte er sich nicht aufschwingen; abgezockt verwandelten Kinsombi, Kittel, Schonlau und David für den HSV, während beim Club Lino Tempelmann und Asger Sörensen vergaben.

"Das wirft uns nicht um, wir sind sehr stark als Gruppe", glaubt Klauß, das Pokal-Aus ist erst die erste Pflichtspielniederlage der Nürnberger in dieser Saison. Duman, der zwischenzeitlich zum Ausgleich getroffen hatte, meinte sogar zu spüren: "Da baut sich in der Mannschaft richtig was auf."

Viel Zeit, um diese Niederlage zu verdauen, bleibt ohnehin nicht. "Kohlenhydrate zu sich nehmen, die Speicher auffüllen", das gab Klauß als Sofortmaßnahme aus. Futtern für Darmstadt also, denn schon am Freitagabend tritt der Club dort an: "Am Donnerstag werden wir uns tief in die Augen schauen und sehen, wer bereit ist."

Tom Krauß wird dafür wohl den Daumen senken. Am Mittwochmorgen postete er aber in einem sozialen Netzwerk: "Mir geht es gut." Und: "Gute Besserung an Tim Leibold."

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