1. FC Nürnberg:Ausgesprochen aufgeräumt

1. FC Nürnberg: Neuer Chefcoach, alter Sportvorstand: Cristian Fiel (vorne) rückt auf, Dieter Hecking konzentriert sich wieder auf einen Posten.

Neuer Chefcoach, alter Sportvorstand: Cristian Fiel (vorne) rückt auf, Dieter Hecking konzentriert sich wieder auf einen Posten.

(Foto: David Inderlied/dpa)

Zwei Trainer verschlissen und den Kader überschätzt: Der 1. FC Nürnberg ist von seinem Weg abgekommen. Nun bleibt Dieter Hecking als Sportvorstand, Cristian Fiel steigt als Coach ein.

Von Sebastian Leisgang

Der 1. FC Nürnberg berief keine Pressekonferenz ein, es gab nicht einmal eine amtliche Mitteilung, und auch Dieter Hecking erwähnte es mit keiner einzigen Silbe. Das Einzige, was der Club am Freitag bekannt gab, war, dass der Trainer in der neuen Saison Cristian Fiel heißen wird - doch die Personalie, die über allem steht, die Kernaussage, die zentrale Botschaft, die verkündete der Verein, ohne sie zu verkünden: Hecking, 58, legt zwar seinen Posten als Coach wieder nieder, seine Arbeit als Sportvorstand führt er aber weiter.

Es war ein ausgesprochen aufgeräumter Dieter Hecking, der da am Freitagvormittag einer Handvoll Reportern in einer Telefonkonferenz entgegentrat, um seine Saisonanalyse vorzutragen und zu erklären, was alles im vergangenen Jahr fehlgeschlagen ist. Allerdings war nicht nur Hecking selbst aufgeräumt - Nürnbergs Sportvorstand hatte auch aufgeräumt. Zum einen mit dem Aufsichtsrat, vor dem er am Mittwochabend Stellung beziehen musste, zum anderen mit einer Saison, die ihn am Freitag zu ziemlich selbstkritischen Tönen veranlasste.

Im Kern waren es fünf Themen, die Hecking in der rund 45-minütigen Medienrunde ausführte. Er gestand, den Kader überschätzt zu haben, sprach die außergewöhnliche Misere an Verletzungen an, nannte es einen Fehler, das erste Tabellendrittel als Saisonziel ausgegeben zu haben, räumte ein, dass der Club sich selbst untreu geworden ist - und er brachte seine Überzeugung zum Ausdruck, mit Cristian Fiel den richtigen Mann für den Wiederaufbau auserkoren zu haben.

Wie offen, aufrichtig und selbstkritisch Hecking war, macht es den Nürnbergern nun möglich, mit ihm als Sportvorstand in ein viertes Jahr zu gehen und ihn mit Fiel und Sportdirektor Olaf Rebbe das zurechtrücken zu lassen, was in den vergangenen Monaten schiefgegangen ist.

Er sei "zuversichtlich", dass der Club den Pfad, den er in den ersten beiden Jahren nach seiner Rückkehr verfolgt habe, "mit Cristian wiederfinden" kann, sagte Hecking und meinte damit zum einen die Verzahnung von Nachwuchs und Lizenzmannschaft, zum anderen aber auch die Art und Weise, wie im Max-Morlock-Stadion Fußball gespielt wird. "Es war ein Fehler", gestand Hecking am Freitag, "aufgrund der Drucksituation vorschnell den Weg zu verlassen - in der guten Absicht, dass Markus Weinzierl das mit seiner Erfahrung wieder aufleben lässt. Das hat nicht funktioniert."

"Vielleicht hat mir die letzte Saison Sand in die Augen gestreut", sagt Hecking

In den vergangenen Jahren stand der Club ja für Intensitätsfußball, gepaart mit Eigeninitiative und einem gepflegten Kurzpassstil. So soll es sein, so wollen sie in Nürnberg spielen lassen, doch all das verloren die Verantwortlichen aus den Augen, indem sie im Oktober Weinzierl engagierten, der in der angespannten Lage einen destruktiven und pragmatischen Ansatz verfolgte. Damit wurde der FCN sich selbst abtrünnig und hätte das am Ende beinahe teuer bezahlt - doch die Relegation blieb dem Club durch ein 1:0 am letzten Spieltag in Paderborn erspart.

Knapp eine Woche später räumte Hecking nun ein: "In der Nachbetrachtung scheint es doch so zu sein, dass wir diesen Kader nicht in allen Teilen, aber doch in einigen Teilen zu gut gesehen haben. Das muss ich mir ankreiden." Im Laufe der Saison hatte Hecking immer wieder hervorgehoben, wie gut die Mannschaft doch sei - weil diese den Worten ihres Sportvorstands aber nie länger als in einzelnen Phasen Taten folgen ließ, ging es nun auch ums große Ganze.

Was hat Hecking am Valznerweiher bewegt, seit er vor drei Jahren nach Nürnberg zurückkehrte? Genügt das, was er vorangebracht hat, um ihn weiterarbeiten zu lassen? Oder bedarf es nicht nur auf dem Trainerstuhl, sondern auch im Vorstandsbüro einer Veränderung?

In Zusammenarbeit mit Rebbe hat Hecking dem Verein Transfererlöse eingebracht, gerade mit Blick auf den Nachwuchs große Fortschritte erzielt - und er hat mit Weinzierls Vorgänger Robert Klauß etwas entstehen lassen, das in der Stadt durchaus wieder Hoffnungen und Sehnsüchte geweckt hat. "In den ersten beiden Jahren habe ich Entwicklungsschritte gesehen", sagt Hecking, "dass wir jetzt im dritten Jahr den nächsten Schritt nicht gemacht haben, mag damit zusammenhängen, dass ich dem Kader zu viel zugetraut habe. Vielleicht hat mir die letzte Saison Sand in die Augen gestreut."

Da war der Club als Achter über die Ziellinie gekommen, hatte dann aber mehr und mehr in den Hintergrund treten lassen, was ihn eigentlich auszeichnet. Schon in den letzten Wochen unter Klauß wurden die Konturen des Nürnberger Spielstils immer unschärfer - und unter Weinzierl war es dann ein vollkommen anderer Fußball. "Das ist das Learning aus diesem Jahr: dass wir auch in kritischen Phasen, in denen es nicht läuft, nicht unseren Weg verlieren dürfen", sagt Hecking, "wir wollen für etwas stehen. Da waren wir zwei Jahre lang auf einem ganz ordentlichen Weg, aber im letzten Jahr sind wir fast komplett von diesem Weg abgegangen."

Jetzt ist es an Fiel, den Faden aus der Saison 2021/22 wieder aufzunehmen und wieder sichtbar zu machen, wie sich der Club definieren will. "Es ist ein Neuanfang", sagt Hecking, "aber wir beginnen nicht bei null." Eine gewisse Vorarbeit ist ja längst getan. Nun ist auch der Vertrag mit Klauß aufgelöst und mit Ivan Marquez, 28, ein erster neuer Spieler da. Der Innenverteidiger kommt aus Nijmegen nach Nürnberg und trifft dort auf den Mann, der sich nun auf die Mission Kurskorrektur begibt: Dieter Hecking.

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