Süddeutsche Zeitung

1. FC Nürnberg:Den Milchpreis im Kopf

Das Pokalspiel gegen RB Leipzig dürfte für Club-Trainer Robert Klauß zur ersten taktischen Reifeprüfung werden: Er trifft dabei auf seinen Lehrmeister.

Von Thomas Gröbner

Es könnte einem schon schwindelig werden bei diesem Gedankenschleudergang: Wenn der Gegner weiß, was ich weiß, aber auch weiß, dass ich weiß, dass er weiß, was ich weiß... So ähnlich könnten die Überlegungen von Club-Trainer Robert Klauß kreisen vor der Partie im DFB-Pokal gegen RB Leipzig am Samstag (15.30 Uhr). Dieses Spiel ist ja auch ein Duell mit seinem ehemaligen Chef Julian Nagelsmann. "Ich kenne alle Strategien", sagt Klauß, der ein Jahrzehnt lang als Junioren- und Co-Trainer bei RB gearbeitet hat, als Assistent von Ralf Rangnick und zuletzt unter Nagelsmann. Und weil der 35-Jährige genau weiß, was am Samstag auf ihn zukommt, und er gleichzeitig die Leipziger Antworten auf die Nürnberger Einfälle vorhersehen will, "muss ich aufpassen, nicht zu kompliziert zu denken", sagte Klauß in einem Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung.

Nagelsmann, 33, kann diese Gedankenakrobatik hingegen nicht mitmachen: "Julian weiß ja noch nicht genau, wie wir Fußball spielen, weil er mich noch nie als Gegner hatte", sagt Klauß. "Er weiß nur, wie ich mit ihm arbeite, nicht gegen ihn." Und was sagt Nagelsmann dazu? "Ich muss für das eine Spiel nicht den Fußball neu erfinden, nur weil Robert mich kennt." Einen kleinen Einblick gewährte Klauß dann aber doch schon auf seine Gedanken bei der Pressekonferenz des 1. FC Nürnberg am Freitag: Hoch attackieren, tief und kompakt den Strafraum versiegeln, das gehört ins Portfolio einer taktisch geschulten Mannschaft, wie sie Klauß vorschwebt. Man werde mit verschiedenen Modellen operieren, kündigte er an: "Wir werden über 90 Minuten nicht nur eine Idee von Fußball spielen." Welche genau, das ließ er sich dann doch nicht entlocken. Aber Klauß - und das ist eine ungewöhnliche Herangehensweise gegen einen Champions-League-Halbfinalisten - will, dass sich RB an das Nürnberger Spiel anpassen muss. Nicht umgekehrt. Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, das Klauß so formuliert: "Die Stärken des Gegners eliminieren, ohne die eigene Identität zu verlieren".

Von dieser fußballerischen Identität war in Nürnberg beim Beinahe-Kollaps in der vergangenen Saison kaum mehr etwas übrig. Der Absturz aus der Bundesliga endete an der Schwelle zur Drittklassigkeit, unterwegs ging die fußballerische Idee verloren und am Ende machte sich Ratlosigkeit breit, was diesen Verein eigentlich noch zusammenhält - außer die Angst vor dem Aufprall in Liga drei. "Ein neues Gesicht" will deshalb der neue Sportdirektor Dieter Hecking dem Club verpassen, und zumindest der Kopf der Mannschaft ist nun ein anderer. Basisdemokratisch hat die Mannschaft über die neue Leitfigur bestimmt, und sich für Außenverteidiger Enrico Valentini entschieden - und gegen den langjährigen Kapitän Hanno Behrens. "Das ist keine Abwahl von Hanno", er habe trotzdem viele Stimmen bekommen, sagt Klauß. Behrens bleibt im Mannschaftsrat und bildet diesen mit seinem Nachfolger sowie Torwart Christian Mathenia, Fabian Nürnberger und Zugang Manuel Schäffler.

Schäffler darf sich Hoffnung machen auf einen Platz in der ersten Elf, Nikola Dovedan konnte sich bereits empfehlen, im Test gegen Union Berlin spielte der Österreicher hinter den Spitzen wie aufgezogen und traf nach seiner Einwechslung sogar zum 1:2. Fehlen wird neben Ersatztorhüter Patrick Klandt weiter Virgil Misidjan. Der niederländische Flügelspieler hatte zuletzt im Mai 2019 für den 1. FC Nürnberg gespielt, damals noch in der Bundesliga. Seit einem Kreuzbandriss sucht er nun wieder den Anschluss und soll bei der U21 Spielminuten sammeln, genau so wie Noel Knothe, Ekin Celebi und Lukas Schleimer. Diese Spieler dürfte Nagelsmann ohnehin nicht auf dem Zettel gehabt haben, der bei den Nürnbergern zuletzt "interessante Übergänge von sehr tiefem Verteidigen und hohem Mann-gegen-Mann-Pressing" entdeckt hatte. Für Klauß scheint das erste Pflichtspiel jedenfalls zur Taktik-Reifeprüfung zu werden. Zumindest psychologisch sieht er sein Team immerhin im Vorteil: "Wir können etwas gewinnen, während sie schon in der ersten Runde den ersten Titel liegen lassen könnten". Große Befürchtungen hat Nagelsmann da aber nicht, "ich habe die bessere Mannschaft", sagt er. Seinem alten Chef wollte Klauß da nicht widersprechen. "Julian ist ein schlauer Mensch, ich stimme ihm zu", sagt der Club-Trainer: "Es ist eine Floskel, aber sie stimmt: Von zehn Spielen würde Leipzig neun gewinnen, aber hoffentlich ist morgen das eine Spiel."

Ein Sieg des Zweitligisten gegen den Bundesligisten, das wäre doch eine Sensation? "Wenn der Milchpreis um zwei Cent steigt, ist das heutzutage ja auch schon eine Sensation", sagt Robert Klauß. Ein Nürnberger Erfolg wäre für ihn eher eine "faustdicke Überraschung". Das entspräche auch einer schönen Floskel.

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SZ vom 12.09.2020
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