1. FC Nürnberg:Auf der Suche nach dem Gleichgewicht

1. FC Nürnberg: An großen Aufgaben gewachsen: Christopher Schindler will beim 1. FC Nürnberg vorangehen.

An großen Aufgaben gewachsen: Christopher Schindler will beim 1. FC Nürnberg vorangehen.

(Foto: Wolfgang Zink/Imago)

In dieser Woche hat der Club die Vorbereitung auf die kommende Saison aufgenommen. Innenverteidiger Christopher Schindler, 32, kommt eine zentrale Rolle zu. Ein Treffen mit einem, der nie aufhört zu wachsen.

Von Sebastian Leisgang

Kurz vor dem Gespräch, es lässt auf sich warten, so dass der Blick ein wenig über das Trainingsgelände des 1. FC Nürnberg wandert, kurz vor dem Gespräch also macht man sich irgendwann auch Gedanken über diese Fahne, die in der Einfahrt an einem Mast hängt. Die Sonne meint es zwar besonders gut an diesem Nachmittag am Valznerweiher, doch der Wind hat so viel Kraft, dass die Fahne nicht einfach nur weht - sie zappelt vor sich hin.

Was, wenn das ein Vorbote ist? Was, wenn dem Club mehr Wind entgegenschlägt, als die Leute in der Stadt vermuten? Die vergangene Saison hat ja wieder Sehnsüchte geweckt. Die Mannschaft hat die Menschen abgeholt, weil sie lange Zeit einen Fußball spielte, den die Leute viel lieber im Stadion sehen wollten als zu Hause im Wohnzimmer. Und weil Schalke und Bremen in die Bundesliga aufgestiegen sind, ist jetzt doch der 1. FC Nürnberg an der Reihe, wenn die neue Zweitliga-Saison Mitte Juli beginnt. Oder etwa nicht?

Es ist ein sommerlicher Tag im Nürnberger Südosten, Christopher Schindler, schwarze Haare, weißes Shirt, kommt ins Restaurant und lässt sich entkräftet in einen Stuhl fallen. Er hat gerade eine Trainingseinheit hinter sich, die Sonne schlaucht. Schindler, 32, ist seit einem Jahr beim Club. Die erste Saison lief ganz gut, die Mannschaft spielte lange um den Aufstieg mit.

"Wir haben oft unentschieden gespielt, weil wir das Offensivspiel vernachlässigt haben", sagt Schindler

Schindler findet aber: "Wir haben oft unentschieden gespielt, weil wir das Offensivspiel vernachlässigt haben, und in den Phasen, in denen wir torgefährlich waren, haben wir hinten Probleme bekommen." Kurze Pause, dann richtet der Innenverteidiger den Blick auf die nächste Saison: "Die Kunst wird sein, die beiden Dinge zusammenzuführen: auf der einen Seite stabil zu sein - und auf der anderen Seite Torgefahr auszustrahlen." Das zu schaffen, ist eine Frage der Balance. Und Balance ist auch eine Frage der Reife. Wer nach vorne rennt und dabei das eigene Tor aus den Augen verliert, der wird auch Spiele verlieren. Und wer hinten stehen bleibt und dem Tor der anderen keine Aufmerksamkeit schenkt, der wird den anderen auch keinen einschenken.

Das ist jetzt also die Aufgabe, vor der die Nürnberger stehen: Sie müssen ihr Spiel ins Gleichgewicht bringen, verteidigen und angreifen, es verstehen, die Waage zu halten, darum geht es.

Um in der nächsten Saison häufiger die Balance zu finden, soll noch ein verlässlicher Stürmer kommen, doch die Suche ist äußerst kompliziert. "Du lernst am meisten, wenn es nicht so läuft, wie du es dir vorstellst", sagt Schindler und meint damit weniger die bisherige Zeit beim Club als vielmehr das, was er im Laufe seiner Karriere erlebt hat. Ohne einen verlässlichen Stürmer, der eine zweistellige Zahl an Toren schießt, muss der Club an sich selbst wachsen - und das ist es auch, was Schindler immer getan hat.

"Ich will nochmal in der Bundesliga spielen, aber ich habe nicht mehr so viel Zeit."

Die Geschichte von Christopher Wolfgang Georg August Schindler ist die Geschichte eines Mannes, der in seinem Leben oft an großen Aufgaben gewachsen ist. Aufgaben, die ihm auf den ersten Blick zu groß erschienen. Mit 24 Kapitän bei einem Verein wie dem TSV 1860 zu sein, ist eine große Bürde. Mit 26 nach England zu gehen, ohne vorher jemals aus München rausgekommen zu sein, ist eine harte Prüfung. Und dann, mit 27, in einem Entscheidungsspiel einen Elfmeter zu schießen, von dem mehr als 200 Millionen Euro abhängen, ist eine derart schwere Last, dass zwei Schultern eigentlich gar nicht reichen können, um sie zu tragen. Schindler hat all das gemeistert - und jetzt, da er beim 1. FC Nürnberg in seine zweite Saison geht, soll er die Mannschaft führen. Die Frage ist nur: Wohin?

In all den Jahren hat Schindler nicht nur in der zweiten Liga in Deutschland und in England gespielt, er hat sich auch in der Premier League gegen Stürmer wie Harry Kane und Romelu Lukaku behauptet, obwohl er vorher nur gegen Pierre-Michel Lasogga und Richard Sukuta-Pasu gespielt hatte. Schindler muss niemandem mehr etwas beweisen, trotzdem verfolgt er noch ein großes Ziel. "Ich will nochmal in der Bundesliga spielen", sagt er, "aber ich habe nicht mehr so viel Zeit." Schindler erlebt ja gerade seinen Karriereabend. Und wenn er eines im Laufe der Jahre gelernt hat, dann das: Es braucht Herausforderungen und manchmal sogar Überforderungen, um voranzukommen.

"Bei Sechzig habe ich damals versucht, alles zusammenzuhalten. Ich habe viel Verantwortung getragen, aber wenn ich ehrlich bin: Es hat mich überfordert", sagt Schindler. Er findet aber auch: "Es war eine super Schule, weil ich durchs Feuer gehen musste." Und dieses Feuer ist es auch, was Schindler stellvertretend für den Club stehen lässt. Auch der FCN hat ja so manch schwierige Aufgabe meistern müssen: im Sommer 2020 die Relegation gegen Ingolstadt, dann das erste Jahr unter Trainer Robert Klauß, als zwischenzeitlich kaum etwas zusammenlief - und schließlich die vergangene Saison, die Mut und Freude machte, aber auch zeigte, dass der 1. FC Nürnberg noch nicht bereit ist für die Bundesliga.

Die Antwort auf die Frage, ob der Club nun im dritten Jahr unter Klauß an der Reihe ist, wird auch davon abhängen, welcher Stürmer an den Valznerweiher kommt. Denn dann könnte sich auch das größte Problem lösen lassen: das fehlende Gleichgewicht.

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