1. FC Nürnberg:Mit offenen Augen und Ohren

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Finn Jeltsch (li., gegen Ulms Semir Telalovic) steht für den neuen Kurs der Nürnberger, auf Talente zu setzen. (Foto: Eduard Martin/Jan Huebner/Imago)

Am Sonntag steigt das 273. Frankenderby. Das Spiel lenkt den Blick auf den Jugendstil des 1. FC Nürnberg und die Frage: Ist der wuchtige, ruhmreiche Club inzwischen ein Nischenverein wie Fürth?

Von Sebastian Leisgang

Die Geschichte ist viel zu gut, um sie jetzt, exakt hundert Jahre später, einfach links liegenzulassen. Die SpVgg Fürth und der 1. FC Nürnberg prägten damals den deutschen Fußball in einer Weise, wie es heute nicht einmal Borussia Dortmund und der FC Bayern tun. Und als es die Nationalelf, wie vor ein paar Tagen, mit den Niederlanden zu tun hatte und 1:0 gewann, da spielten tatsächlich ausschließlich Fürther und Nürnberger für Deutschland.

Die Mannschaft war zwar gemeinsam mit dem Zug nach Amsterdam gereist, doch die Spieler saßen in verschiedenen Waggons. Und als Karl Auer, ein Fürther, das entscheidende Tor schoss, da jubelten nur die Kollegen aus dem Verein mit ihm – die Nürnberger drehten ab und liefen zurück zur Mittellinie.

Anfang dieser Woche traf die Nationalmannschaft wieder mal auf die Niederlande. Wieder gewann sie 1:0, und wieder traf ein Fürther, jedenfalls im weiteren Sinne. Jamie Leweling, der Torschütze, verbrachte fünf Jahre beim Kleeblatt und reifte dabei zum Bundesligaspieler, nachdem er in seiner Jugendzeit auch fünf Jahre lang beim Club in Nürnberg in die Lehre gegangen war. Mit seiner Aufstiegsgeschichte zum deutschen Nationalspieler gibt Leweling, 23, in gewisser Weise also dem Fürther Jugendstil ein Gesicht – und wenigstens ein klitzekleines bisschen auch dem 1. FC Nürnberg, diesem großen und ruhmreichen Verein, der inzwischen auch mit Methoden arbeitet, die man bislang in erster Linie mit Nischenklubs in Verbindung gebracht hat.

Transfererlöse erzielen, im großen Stil auf junge Spieler setzen, Scouts in entlegene Stadien und auf holprige Sportplätze in Tschechien, Kroatien und Griechenland schicken: Der Club beschreitet mittlerweile Pfade, auf denen auch Vereine wie Holstein Kiel oder der 1. FC Heidenheim unterwegs sind. Und weil es diese Klubs mit überschaubaren Mitteln, aber einiger Raffinesse zu Bundesliga-Standorten gebracht haben, bleibt großen Traditionsvereinen wie dem FC Schalke 04, Hertha BSC, dem Hamburger SV oder dem 1. FC Köln nur noch ein Platz im Unterhaus.

„Wir haben fünf Jungs aus dem Nachwuchs hochgezogen. Das ist der Weg, den wir ganz bewusst gehen wollen.“

Auch Nürnberg ist nun schon seit mehr als fünf Jahren zweitklassig und hat sich inzwischen, während die Konkurrenz von Saison zu Saison immer namhafter wird, einer Radikalkur unterzogen. Dass wieder mehr junge Spieler beim Club zum Zug kommen, geht zwar auf Dieter Hecking zurück – seit Joti Chatzialexiou im vergangenen Sommer aber seine Nachfolge angetreten und das Amt des Sportvorstands übernommen hat, geht Nürnberg den Weg noch konsequenter. Eine Nachfrage also bei Chatzialexiou, jetzt, da am Sonntag das Frankenderby in Fürth steigt: Ist der FCN, dieser wuchtige und stolze Verein, mittlerweile tatsächlich ein Nischenklub? Vielleicht sogar – man traut sich ja kaum, es auszusprechen – ein Nischenklub wie die SpVgg Greuther Fürth?

Nürnbergs Sportvorstand verweist erst einmal auf seine Vita und seine jahrelange Arbeit im Nachwuchsbereich des DFB, dann sagt er: „Wir haben fünf Jungs aus dem Nachwuchs hochgezogen. Das ist der Weg, den wir ganz bewusst gehen wollen. Und unser Trainer hat auch den Mut, die jungen Spieler einzusetzen. Das ist eine klare Ausrichtung, die wir da verfolgen.“

„Wir müssen als Club immer kreativ sein, weil wir nicht die finanziellen Ressourcen wie andere Vereine haben“: Joti Chatzialexiou, Vorstand Sport des 1. FC Nürnberg. (Foto: Daniel Marr/Sportfoto Zink / Imago)

Tatsächlich hat Nürnberg die zweitjüngste Mannschaft der zweiten Liga und mit Miroslav Klose einen Anweiser, der seine ersten Schritte als hauptverantwortlicher Trainer ebenfalls im Jugendbereich gegangen ist. Das kommt nun Spielern wie Finn Jeltsch, Caspar Jander oder Rafael Lubach zugute, die schon jetzt, in jungen Jahren, erstaunlich viel Verantwortung tragen.

„Wir müssen als Club immer kreativ sein, weil wir nicht die finanziellen Ressourcen wie andere Vereine haben“, sagt Chatzialexiou und meint: „Es gehört dazu, sich mit den unterschiedlichsten Ligen zu befassen – sei es in Tschechien, in Dänemark oder in Osteuropa. Unser Transfersommer hat gezeigt, dass wir das machen.“ Ondrej Karafiat kam von Mlada Boleslav, Oliver Villadsen vom FC Nordsjaelland und Stefanos Tzimas von PAOK Saloniki. Vereine, von denen die Leute montags im Büro eher nicht auf Anhieb wissen, wie sie am Wochenende gespielt haben – bei denen der FCN aber Augen und Ohren offen hält.

Wenn Nürnberg an diesem Sonntag nun zum Frankenderby nach Fürth fährt, treffen die beiden Klubs bereits zum 273. Mal aufeinander, eine Zahl, die nahelegt, dass es dieses Duell schon lange vor der Erfindung des Fußballs gegeben haben muss. Sie zeigt, welch lange Geschichte das Duell hat. Doch auch das Alte bringt immer etwas Neues mit sich. Und im Oktober des Jahres 2024, hundert Jahre nach dem Länderspiel mit all den Fürthern und Nürnbergern, ist das Neue: Der Club, dieser wuchtige und stolze FCN, geht inzwischen als Nischenverein durch.

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