Bundesliga-Rochade zwischen Köln und Stuttgart:Schnittstelle in Bietigheim-Bissingen

Bundesliga-Rochade zwischen Köln und Stuttgart: Neuer Auftrag für Alexander Wehrle: Weniger Turbulenzen bei gleichbleibender Leidenschaft in Stuttgart.

Neuer Auftrag für Alexander Wehrle: Weniger Turbulenzen bei gleichbleibender Leidenschaft in Stuttgart.

(Foto: Herbert Bucco/imago)

Der Kölner Geschäftsführer Alexander Wehrle wird neuer Vorstandschef in Stuttgart - eine Personalie, die beim VfB für Ruhe sorgen soll.

Von Christof Kneer

Es ist davon auszugehen, dass sich Alexander Wehrle am vergangenen Sonntag um 19.20 Uhr sehr gefreut hat. Er saß als Geschäftsführer des 1. FC Köln auf der Tribüne des Kölner Stadions und sah, wie der Kölner Modeste einen Ball ins Tor köpfte. Ein paar von Wehrles Entscheidungen dürften sich in diesem Moment noch richtiger angefühlt haben als ohnehin schon, die Rückholaktion des Stürmers Modeste, die Verpflichtung des Trainers Baumgart und sowieso der vor neun Jahren gefällte Grundsatzbeschluss, sich diesem intensiven Traditionsverein anzuschließen. Aber es wäre kein Zeichen von Untreue oder Verrat, würde man Wehrle noch einen Folgegedanken unterstellen, der sich mit dem anderen intensiven Traditionsverein da unten auf dem Rasen beschäftigte.

Vielleicht dachte Wehrle: So schön, dass wir (= der 1. FC Köln) durch dieses Tor in der 89. Minute gewonnen haben, aber dass wir (= der VfB Stuttgart) deshalb absteigen, das will ich auf keinen Fall.

Zumindest emotional ist Wehrle, 46, im Moment ein Diener zweier Herren. Noch unter Vertrag steht er beim 1. FC Köln, bald unter Vertrag steht er beim VfB Stuttgart. Was in der Branche seit geraumer Zeit schon als Gewissheit galt, wurde am Mittwoch von den offiziellen Stellen bestätigt. Man sei "froh, mit Alexander Wehrle genau den richtigen Mann gewonnen zu haben", ließ Claus Vogt, Präsident und Aufsichtsratschef des VfB Stuttgart mitteilen, "im Laufe des Aprils 2022" werde Wehrle die Position des Vorstandsvorsitzenden übernehmen; es ist der Posten, den der mit Vogt nicht sehr befreundete Thomas Hitzlsperger demnächst freimachen wird. Immerhin ist es dem VfB damit gelungen, den in der Branche sehr angesehenen Hitzlsperger durch den in Branche sehr angesehenen Wehrle zu ersetzen.

Wehrle war schon mal zehn Jahre beim VfB, als Referent des Vorstands

Die Personalie Wehrle lässt sich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, am einfachsten wohl aus diesem: Der Mann kommt nach Hause. Wehrle stammt aus Bietigheim-Bissingen im Landkreis Ludwigsburg, und wer von da kommt, hat gefälligst beim Daimler oder beim VfB zu schaffen. In diesem Sinne ist Wehrle ein anständiges Kind der Region, er war von 2003 bis 2013 schon mal beim VfB, als Referent des Vorstands. Eine derart vage Jobbezeichnung ist in Stuttgart offenbar eine exzellente Voraussetzung für eine große Funktionärskarriere, wie man an Hitzlsperger sehen kann, der einst als "Beauftragter des Vorstandes in der Schnittstelle zwischen der Vereinsführung und dem Lizenzspielerbereich" begann und sich von diesem Titel erstaunlich gut erholt hat.

Wehrle, und das ist der zweite Blickwinkel, ist nun selbst eine Art Schnittstelle, zwischen dem 1. FC Köln, dem VfB Stuttgart und dem SSV Jahn Regensburg. Alles hängt ja mit allem zusammen: So wird Wehrle vor allem deshalb "im Laufe des Aprils" nach Stuttgart wechseln, weil die Kölner den Nachfolger ebenfalls im Laufe des Aprils erwarten. Christian Keller, zuvor Geschäftsführer beim Zweitligisten Regensburg, soll beim FC künftig das Sportgeschäft verantworten.

Jenseits dieser brancheninternen Rochaden ist es vor allem der dritte Blickwinkel, der die Leute im Großraum Bietigheim-Bissingen interessiert. Was Wehrles Verpflichtung für den leidenschaftlich turbulenten VfB Stuttgart bedeuten soll, ist dies: weniger Turbulenzen bei gleichbleibender Leidenschaft. Thomas Hitzlsperger und Claus Vogt sind sich zu oft mit rauchenden Colts gegenüber gestanden, Hitzlsperger wird den Kampfplatz nun räumen und immerhin einen Verein übergeben, der nach jahrelanger Orientierungslosigkeit wieder weiß, was er will. Noch ist offen, wie der Übergang gestaltet wird, wann genau Wehrle übernehmen und ob Hitzlsperger dann noch ein paar Wochen im Verein bleiben wird. Mögliches Szenario: Wehrle kommt im April, Hitzlsperger verabschiedet sich nach Saisonschluss im Juni.

Die Entscheidung dürfte auch dem anspruchsvollen Sportchef Mislintat gefallen

Kurz vor Weihachten lässt sich die Verkündung dieser Personalie als umfassendes Friedensabkommen verstehen, das bis zum Ende dieser sportlich komplizierten Spielzeit halten soll. Hitzlsperger habe "den VfB als Vorstandsvorsitzender verändert und geprägt", lässt Vogt versöhnlich formulieren, in der beruhigenden Gewissheit, dass auch ein anderer anspruchsvoller Mann die neue Konstellation gutheißen dürfte. Sportdirektor Sven Mislintat wird gerne zur Kenntnis nehmen, dass Wehrle zwar Hitzlspergers Chefrolle, nicht aber dessen Zweitfunktion als Sportvorstand übernehmen wird. Diese Planstelle dürfte entweder leer bleiben oder von einem Mislintat-Vertrauten besetzt werden, vielleicht sogar von Mislintats engstem Vertrauten, nämlich Mislintat selbst.

Wehrle wird Mislintat jedenfalls genügend Raum zur Entfaltung lassen, der neue Chef gilt nicht als klassischer Kaderplanungsexperte. Obwohl er natürlich weiß, wie wertvoll ein Mittelstürmer wie Modeste sein kann.

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