1. FC Köln in der Bundesliga:Bedrohliche Kölner Torlosigkeit

1. FC Köln in der Bundesliga: Zum Verzweifeln: Davie Selke hadert, hier gegen Wolfsburg.

Zum Verzweifeln: Davie Selke hadert, hier gegen Wolfsburg.

(Foto: Ralf Treese/Imago)

In sechs von sieben Rückrundenspielen ohne Tor, seit 789 Minuten kein Stürmertreffer mehr: Für FC-Trainer Baumgart ist die plötzliche Offensivflaute seines Teams rätselhaft - und besorgniserregend.

Von Philipp Selldorf, Köln

Anthony Modeste, 34, hat bei Borussia Dortmund seine große Stunde erlebt, als er Anfang Oktober im Spiel gegen den FC Bayern zum Helden des Abends avancierte. Er kam in der 70. Minute in die Partie, legte Youssoufa Moukokos 1:2 vor und besorgte in der vorletzten Sekunde selbst den Ausgleich.

Fünf Monate liegt der Abend zurück - im Bewusstsein der Beteiligten aber wenigstens ein halbes Menschenalter. Der Mittelstürmer Modeste ist beim BVB kein beizeiten nützlicher Nebendarsteller mehr, seit Sebastien Hallers Comeback wird er bloß noch als Komparse geführt. Am Samstag beim Derby auf Schalke durfte er 13 Minuten am Spiel teilnehmen. Trostlose drei Ballkontakte ermittelte der Datendienst "opta" als Einsatzbilanz, inklusive eines Kopfballs, der das Ziel nicht erreichte.

Wie viele Tore hätte Modeste wohl am Wochenende erzielt, wenn er noch für den 1. FC Köln stürmen würde? Nicht mal Lothar Matthäus könnte dazu präzise Angaben machen, fest steht jedoch, dass es auf keinen Fall weniger Tore gewesen wären, als seinem Nachfolger Davie Selke gelungen sind.

Selke ist am Freitag beim Kölner 0:2 gegen den VfL Bochum manchen Kilometer mehr gelaufen, als Modeste üblicherweise zurückzulegen bereit war. Er ging außerdem keinem ungemütlichen Zweikampf aus dem Weg und verließ standesgemäß mit einer blutenden Wunde im Gesicht den Platz. Ein paar Kopfbälle hat er in seiner Funktion als Mittelstürmer ebenfalls probiert - jedes Mal allerdings mit der Explosivität eines für Minderjährige zugelassenen Tischfeuerwerks. Womit er beispielhaft dem aktuellen Gefahrenstatus des Kölner Angriffs Gestalt gab: Mittlerweile haben die Kölner in sechs von sieben Rückrundenspielen kein einziges Tor geschossen. Die hauptamtlichen Angriffsspieler des FC sind sogar seit Liga-Wiederbeginn Mitte Januar ohne Erfolgsmeldung - seitdem Stefan Tigges beim 7:1 gegen Bremen zum 3:0 traf, sind 789 stürmertorlose Minuten vergangen.

Der Mangel wirkt sich logischerweise auf die Tabelle aus. Die Kölner, unlängst noch der nächsten Europacup-Qualifikation verdächtigt, befinden sich sichtbar am Rande der Abstiegszone. "Alle sind sensibilisiert", meldet die Chefetage des Klubs. "Natürlich gucken wir nach unten, weil wir ja auch sehen, dass die Anderen punkten", verkündet Trainer Steffen Baumgart. Warum seine Mannschaft nicht mehr ins Ziel trifft, weiß der Coach hingegen nicht zu sagen. "Ratlos" sei er, gesteht Baumgart.

Das Erbe ist von Modeste ist noch sehr präsent - er selbst ist in Dortmund unglücklich.

Dass der im Januar nach Köln gewechselte Davie Selke nicht so torgefährlich ist wie sein berühmter Vorgänger, wird ihm (noch) nicht vorgeworfen. Ein Vergleich zwischen Selke und Modeste erübrigt sich zudem wie der einst so beliebte Vergleich zwischen dem originalen Diego Maradona und seinen fiktiven regionalen Nachfolgern: Alpen-Maradona, Karpaten-Maradona, Emsland-Maradona etc. Selke und Modeste haben formell den gleichen Beruf, sind aber verschiedene Spielertypen.

Was sie verbindet, ist ihr Marktwert, den sich die Kölner zunutze machten. Dass Modeste nun eine Randerscheinung beim BVB ist, statt Volksheld beim FC zu bleiben, hat ausschließlich finanzielle Gründe. Die Kölner ließen ihn kurzfristig zu Borussia Dortmund ziehen, weil er selbst darum gebeten hatte, und weil sie doppelt daran verdienten: durch eine gute Ablöse und die Einsparung des hohen Gehaltes.

Bei Selke wiederum erfüllte der FC seinem Trainer einen Wunsch, den sich der Klub im Rahmen seiner Konsolidierungspolitik leisten konnte: Hertha BSC, Selkes vormaliger Arbeitgeber, gab dem im Rang eines Großverdieners stehenden Profi noch eine Abfindung mit, die ihm die Unterschrift in Köln erleichterte. Dort verdient er nun circa 100 000 Euro im Monat, der Vertrag läuft bis 2024. Genug Zeit für Baumgart, ihn zu bearbeiten.

Nach wie vor traut man ihm zu, Selkes verschüttete Talente hervorzubringen. Bis dahin allerdings muss Baumgart die Folgen des Sparkurses tragen und mit einem Angriff zurechtkommen, der bei den Gegnern keine Sturmwarnung auslöst. Sargis Adamyan, 26, mit dessen Ankunft im Sommer so manche Erwartung verbunden war, trägt bisher auch nicht viel zum Kölner Gefahrenmoment bei.

Auch wenn sich Anthony Modeste schon länger nicht mehr am Geißbockheim hat blicken lassen, so ist sein Erbe doch stets präsent. Immer noch ist der FC das Team mit der höchsten Flanken-Quote der Liga, weiterhin befördern die Spieler programmgemäß einen Ball nach dem anderen in hohem Bogen in den Strafraum, als ob ihr französischer Kollege immer noch da wäre. Doch den 15 Kölner Kopfballtoren der Vorsaison - allein zehn entfielen auf Modeste -, stehen in der laufenden Spielzeit lediglich vier gegenüber.

Dass der neuerdings resolut an seiner finanziellen Gesundheit arbeitende FC wie im Fall Modeste Entscheidungen trifft, bei denen das Wirtschaftliche Priorität vor dem Sport hat, dafür zeigt Steffen Baumgart Verständnis. Mittelfristig tun sich hinter der aktuellen sportlichen Bedrohung allerdings weitere Risiken auf: Sollte im Sommer, wie erwartet, der herausragende Mittelfeldspieler Ellyes Skhiri ablösefrei den Verein verlassen, und sollte sich zudem, wie befürchtet, der mindestens ebenso herausragende Kapitän Jonas Hector zur Ruhe setzen wollen, dann wird es für den sparsamen 1. FC Köln erneut und gleich doppelt schwer, den markanten Qualitätsverlust mit preisgünstigen Verlegenheitstransfers zu kompensieren. Abstiegskampf bleibt vorerst wohl das vorherrschende Motiv in Köln.

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