Köln in der Bundesliga:In Köln tanzen die Sterne

Köln in der Bundesliga: Verstehen einander: Stürmer Anthony Modeste und Trainer Steffen Baumgart.

Verstehen einander: Stürmer Anthony Modeste und Trainer Steffen Baumgart.

(Foto: Michael Taeger/Jan Huebner/Imago)

Das besondere Verhältnis von Stürmer Modeste und Trainer Baumgart steht sinnbildlich für die überraschend erfolgreiche Hinrunde des 1. FC Köln. Am Geißbockheim hat sich in kurzer Zeit viel geändert.

Von Philipp Selldorf, Köln

Im Laufe der kaum fünf Monate währenden Bekanntschaft mit Steffen Baumgart hat Anthony Modeste die Humortoleranz seines Trainers immer wieder riskant herausgefordert. Unter anderem hat er ihm in Anwesenheit des Stadionpublikums Wasser aus der Trinkflasche ins Gesicht gespritzt, was an eine Szene aus dem Cartoon-Fernsehen erinnerte - sie ließ Baumgart wie den begossenen Kater Tom und Modeste wie die triumphierende Maus Jerry aussehen. Bei der nächsten Gelegenheit machte Modeste seinen Chef zum König, der vom Hofnarren vorgeführt wird, indem er Baumgart die Mütze alias Krone vom Kopf riss und sich selbst aufsetzte, um damit einen provokanten Tanz zu zelebrieren. Früher hätten Trainer wegen so etwas den Tatbestand "Untergrabung der Autorität des Vorgesetzten" konstatiert und Waldläufe mit Bleiwesten verhängt.

Stattdessen hat Steffen Baumgart am Sonntagabend um halb acht ausnahmsweise die bevorzugte grimmige gegen eine gütige Miene getauscht und Modeste ausführlich in die starken Arme genommen. Der Stürmer weinte viele Tränen, der Trainer sprach ihm sanft Trost zu, und dazu lief ein sentimentales Lied aus den Stadionboxen, das von den am Himmel tanzenden Sternen handelt und von der in Köln überall weltbekannten Volksmusikgruppe Klüngelköpp stammt. Es war also ein Moment, wie er so schön wohl nirgendwo sonst auf der Erde vorkommen könnte.

Mit seinem Tor in der 87. Minute hatte Modeste dem 1. FC Köln zum 1:0-Sieg gegen den VfB Stuttgart verholfen, aber er vergoss nach dem Schlusspfiff keine Tränen der Freude, sondern der Trauer, weil sich just am Sonntag der Todestag des Vaters zum dritten Mal jährte. Der Abend sei "emotional" für ihn gewesen, erklärte der Franzose, und ein bisschen okkult ging es seiner Erzählung nach auch noch zu, denn der Torschütze fühlte im entscheidenden Moment der Partie die Unterstützung eines guten Geistes: "Ich denke, in dieser Aktion war mein Papa für mich da."

Sollte das stimmen, hätte Guy Modeste, einst Innenverteidiger bei AS St. Etienne, mit 64 Jahren früh verstorben, posthum den großen Geißbock-Orden verdient, zumal da dieses Kopfballtor von Modeste Junior keine übliche Ecke-Kopfball-Konfektionsware war, sondern ein Unikat der Marke "unnachahmlich", wie der Kölner Sportchef Jörg Jakobs befand. Der Stürmer musste einen Schritt rückwärts machen, damit er sich ungestört Kingsley Schindlers Flanke widmen konnte, und dann war es eine Frage des Timings: springen, zielen, köpfen. Alles gelang in Perfektion, und aus einer brotlosen 0:0-Partie war plötzlich ein Spiel geworden, das für beide Seiten die erste Halbzeit der Saison sinnbildlich abrundete: Die Kölner fühlen sich in ihrem Fortkommen, die Stuttgarter in der Einschätzung bestätigt, dass sie trotz der wiederholten Rückschläge Vertrauen haben dürfen. Viel fehlt ihnen nicht. Die späte Niederlage und das Abrutschen auf den Relegationsplatz zeigten beim tief in sich ruhenden VfB-Trainer Pellegrino Matarazzo keine erkennbare Wirkung: "In der Rückrunde werden wir angreifen", versprach er.

Modeste schickt eine Art Liebeserklärung an Baumgart: "Der fast gleiche Kader, aber alles geändert mit ein geiles Trainer."

Im Gebot des Angreifens liegt bekanntlich auch der Kern von Steffen Baumgarts Lehre, und der Trainer darf feststellen, dass ihn seine Mannschaft verstanden hat. Beim 3:2 in Wolfsburg haben sich die Kölner am vorigen Dienstag nicht damit begnügt, dass sie den Ausgleich geschafft hatten, und auch am Sonntag haben sie nicht aufgehört, dem Siegtreffer nachzustellen, obwohl mancher Spieler sichtbar schwere Beine hatte. "In dem Tor steckte unheimlich viel von dem drin, was uns in der Hinrunde ausgezeichnet hat", meinte Sportchef Jakobs. Dieses Halbjahr sei "einfach verrückt" gewesen, stellte Modeste im Zuge einer Liebeserklärung fest, die im O-Ton folgendermaßen lautete: "Der fast gleiche Kader, aber alles geändert mit ein geiles Trainer."

Elf Treffer hat der 33 Jahre alte Franzose während der Hinrunde erzielt, ungefähr elf Treffer mehr, als die Sachverständigen des Klubs im Sommer erwartet hatten. Der dickköpfige Trainer sah es anders und entwickelte mit seiner dualen Therapie aus handfester Alltagsarbeit und angewandter Seelenkunde aus dem teuren Kostgänger einen kostbaren Torjäger. Das hohe Jahresgehalt stellt jetzt niemand mehr zur Debatte. "Tony hat einen Lauf wie kein Zweiter", kommentierte Verteidiger Timo Hübers, der im Sommer aus der zweiten Liga nach Köln gekommen war und sich innerlich auf Abstiegskampf eingestellt hatte: "25 Punkte hätte uns der Großteil der Kölner nicht zugetraut."

Der überraschende Ertrag ist nicht nur das Verdienst des plötzlich erweckten Mittelstürmers. Es gibt im Kölner Kader noch etliche andere Fußballer, die ihre im Sommer taxierten Werte inzwischen auf wundersame Art weit übertreffen: Das notorisch unvollständige Mittelfeldtalent Salih Öczan, vor zwei Jahren aus Verlegenheit in die zweite Liga nach Kiel verliehen und im Vorjahr zurückgekehrt, ist jetzt nicht nur ein zuverlässig zupackender Abräumer mit spielerischer Note, sondern auch der Stammspieler, der er schon seit drei, vier Jahren sein sollte; der Techniker Louis Schaub, den der FC in der Schweiz besser aufgehoben sah als am Geißbockheim, ist jetzt ebenso eine Verstärkung wie Schindler, den man gern beim Leihklub Hannover 96 gelassen hätte.

Noch spät am Sonntagabend wurde auf den Kölner Straßen der Hit "Modeste/Modeste/Anthony Modeste" angestimmt. Baumgart hat jedoch nicht mitgesungen: "Tony macht. Tony tut, Tony arbeitet. Aber er kann's nicht allein machen. Er krönt, was wir alle miteinander erarbeiten", sagt der Trainer.

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