1. FC Köln:Sag's mit Sartre

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Im Duell des stets ernsten Kölners Skhiri mit dem Berliner Max Kruse, der selbst im Pech vom Glück verfolgt ist, spiegelt sich ein komplettes Spiel.

Von Philipp Selldorf, Köln

Gut möglich, dass sich Max Kruse in den nächsten Tagen öfter mal umschaut, ob der lange, dünne Typ immer noch hinter ihm her ist, ob er womöglich in der Schlange beim Bäcker hinter ihm steht oder vielleicht nachts neben seinem Bett Wache hält. Ellyes Skhiri hat es nämlich am Sonntagabend sehr genau genommen mit der Erfüllung seiner Sonderaufgabe, Kruses Kreise einzuengen. Hätten alle seine Kollegen so akkurat und effizient gearbeitet wie der 25 Jahre alte Franzose, dann hätte das Wochenende für die Anhänger des 1. FC Köln wahrscheinlich ein schöneres Ende genommen. Aber dem war nicht nun mal so, und so waren es zum Schluss Max Kruse und die Kollegen von Union Berlin, die infolge ihres 2:1-Siegs in Köln den Abend genießen konnten.

Über die Pointe dieses Spiels - Kruses Siegtreffer in der 72. Minute - ließe sich nach Art der Existenzialisten philosophieren. Das Tor des Berliner Spielmachers illustrierte den Kontrast zweier Daseinsformen. Auf der einen Seite Kruses befreite Leichtlebigkeit, die ihm erlaubt, lächelnd und augenzwinkernd das Spielfeld zu betreten und zu verlassen; auf der anderen die ganze traurige Vergeblichkeit des Kölner Strebens nach Glück und Erfolg. Der hagere Skhiri mit seiner stets ernsten Mimik wäre zudem der richtige Mann, um in der Sprache Jean-Paul Sartres von diesen fundamentalen Gegensätzen zu erzählen.

Noch schmerzhafter für Köln: Max Kruse erzielt Berlins Siegtor per Elfmeter-Nachschuss. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Aber Skhiri sagte wie üblich kein Wort, sondern verließ nach dem Abpfiff wortlos den Schauplatz, während Kruse zurückblieb, mit seinen Kollegen scherzte und sich vom Trainer Urs Fischer in den Arm nehmen ließ. Diese Umarmung enthielt unausgesprochen ein Kompliment, so was wie "Du Teufelskerl", dabei hatte der Berliner Zehner eine recht bescheidene Vorstellung geboten. Die Buchhaltung notierte für ihn: 10,44 Kilometer Laufleistung, 13 angekommene Pässe, fünf Fehlpässe, bloß 28 Ballkontakte. Einer dieser Kontakte war der Schuss zum 2:1, ein anderer war der verschossene Elfmeter vor dem 2:1. Für diese Berührungen konnte man Kruses Sonderbewacher Skhiri nicht zur Verantwortung ziehen. "Beim Elfmeter kannst du ihn nicht decken, das ist nicht erlaubt", erläuterte der Kölner Trainer Markus Gisdol. Ein guter Scherz, der aber womöglich nicht von allen als solcher verstanden wurde, weil Gisdol weder gelächelt noch gezwinkert hat. Womöglich ist ihm die Lage des FC dafür zu ernst - nach nunmehr 18 Spielen hintereinander ohne Sieg in der Liga. Die Unterstützung von Manager Horst Heldt ist dem Coach aber immer noch gewiss.

Seit einiger Zeit wird Gisdol von enttäuschten Kölnern nachgesagt, er habe keinen konstruktiven Plan für den Fußball des FC. Am Sonntag hatte er zumindest eine gute Idee. Aus dem Archiv der Fußball-Lehre holte er eine Methode hervor, die an keiner Trainer-Akademie mehr auf der Tafel stünde. Zwar gibt es den Akademiebegriff "mannorientierte Gegnerdeckung", wenn es gilt, außergewöhnliche Spieler der Gegenseite auszuschalten, aber mit der Universal-Manndeckung aus vormodernen Zeiten will kein Laptop-Lehrer mehr etwas zu tun haben. Dies war aber genau das, was Gisdol seinem Skhiri auftrug: Er sollte Kruse überallhin folgen. Das tat der Kölner von der ersten bis zur letzten Minute, und er folgte ihm sogar dann, als Kruse während einer Spielunterbrechung am eigenen Strafraum vorbeischaute, um sich beim verletzten Kollegen Marvin Friedrich nach dessen Befinden zu erkundigen.

Der Plan ging auf, Gisdol war mit Recht "voll und ganz zufrieden" damit. Der laufstarke Skhiri nahm Kruse aus dem Spiel und fand trotzdem die Zeit, am Angriff teilzunehmen und das 1:1 zu erzielen. Aber es standen halt auch noch zehn weitere Berliner auf dem Platz, und deren Deckungsarbeit war nicht weniger gelungen als Skhiris Solo-Werk. Die defensive Disziplin der Union-Profis würde preußische Generäle begeistern. Die Rheinländer verzweifelten daran und kamen während der 90 Minuten nur dreimal gefährlich vors gegnerische Tor: Beim 1:1 (nach einem Freistoß), bei einem Kopfball von Czichos (nach einem Freistoß), beim Lattenschuss von Rexhbecaj (per Freistoß) in der Schluss-Sekunde. Während die Kölner mit der Fantasielosigkeit ihres Spiels hadern, sieht sich Urs Fischer genötigt, Komplimente für Tabellenplatz fünf zurückzuweisen. Fragen nach dem Europacup fand er nicht komisch. "Es ist doof und dumm, über Europa nachzudenken. Erzählen Sie nicht so was", beschied er einen Reporter.

Wie Fischer es wünscht, spielte sein Team in Köln versiert Verhinderungsfußball. Die Kölner taten zum Nicht-Spektakel der Partie das Ihre dazu. Kruse war dabei zwar vorwiegend Zuschauer, aber dass ihn Gisdol nicht umsonst gefürchtet hat, das zeigte sich an seinem kurzen, feinen Pass, der zur Elfmeter-Szene führte. Kruse hatte sich die Vorlage für seinen Rekordschuss also quasi selbst gegeben. Hätte er verwandelt, wäre er als bester Elfmeter-Schütze in die Ligageschichte eingegangen. Timo Horn hielt jedoch, Kruse traf erst im Nachfassen. Später sagte er lächelnd: "Wir haben 15 Punkte und seit sieben Spielen nicht mehr verloren. Das ist, worüber man schreiben soll - und deshalb habe ich ihn nicht reingemacht." Soviel zur Leichtigkeit von Kruses Leben.

© SZ vom 24.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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