1. FC Köln:Revolte des Zugewanderten

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Als Markus Gisdol den Trainerjob beim FC übernahm, blieb das Publikum sehr reserviert. Doch er baute das Team um und gewann. Es soll der Beginn einer Entwicklung sein.

Von Philipp Selldorf, Köln

Das Kostüm hat ihm der Verein beschafft. Bis es am Donnerstagabend auf der Sitzung der Bürgergarde Blau-Gold zur Enthüllung kam, hat der 1. FC Köln das Thema der Verkleidung ausdrücklich als Geheimsache gehandelt, aber eines war den Kennern bereits klar: Markus Gisdol würde weder als Fohlen noch als Berti Vogts oder Max Eberl in den Karneval ziehen - irgendwo hat die Kölner Toleranz ja mal ein Ende. Stattdessen hat der Verein seinen schwäbischen Trainer in ein Räuberkostüm aus dem Wilden Westen gesteckt, mit Patronengurt über der Brust. Würde er am Sonntag auch beim Derby in Mönchengladbach in dieser Halunken-Tracht erscheinen, dann sähe sich die Polizei vermutlich zur sogenannten Gefährderansprache genötigt.

Die Vorstellung, dass er beim Besuch der Bürgergarde-Versammlung unauffällig ein paar Kölsch trinken und die seltsamen Riten der Eingeborenen studieren könnte, erwies sich als Illusion. Gisdol, 50, musste an der Seite von Manager Horst Heldt, 50, auf die Bühne steigen und das FC-Lied singen, anschließend ernannten ihn die Karnevalisten zum Leutnant ehrenhalber und bestätigten ihm diese Auszeichnung mit einer Urkunde. So hat der zugewanderte Fußball-Lehrer nun sogar einen schriftlichen Beweis für seinen verblüffenden gesellschaftlichen Aufstieg im "Millionendorf am Rhein" (wie der Musiker Wolfgang Niedecken sein Heimatkaff nennt).

Es ist erst zwei Monate her, da erschien es nicht zwingend ausgeschlossen, dass der Verein den Mitte November engagierten Trainer ohne Schmuck und Orden gleich wieder in die Heimat nach Stuttgart schicken könnte. Die Lage war durchaus verzweiflungswürdig, als er das Amt antrat, und sie wurde während seiner ersten Wochen im Dienst des FC keineswegs besser. Ein schwer erkämpftes Unentschieden gegen Augsburg bildete den Höhepunkt des Ertrags. Bis Gisdol aus den ersten Partien die Lehre zog und nach Absprache mit seinem Leidensgenossen Heldt das Team demonstrativ umbaute: Er kombinierte mit dem 18 Jahre alten Noah Katterbach und dem 20 Jahre alten Ismail Jakobs einen linken Flügel, der Tempo und Draufgängertum ins Kölner Spiel brachte, und erweiterte die Jugendrevolte mit der Hereinnahme des erst 17 Jahre alten Rechtsaußen Jan Thielmann.

Doch noch angekommen im Millionendorf am Rhein: Markus Gisdol auf dem Weg zum Trainingsplatz des 1. FC Köln am Geißbockheim. (Foto: imago images/Herbert Bucco)

Dieses Trio im Derby gegen Leverkusen aufzubieten, das wirkte zunächst wie eine verrückte, nahezu todesmutige Tat, nachher aber wie eines dieser brillanten Manöver aus Kriegsspielfilmen, in denen der wagemutige Offizier eine irre Entscheidung trifft und dadurch das Land rettet. Seitdem wird Gisdol immer wieder gefragt, was er getan hätte, wenn der Plan gegen Bayer gescheitert wäre, und er erwidert dann jedes Mal, dass diese Aufstellung kein einmaliger Überraschungscoup sein sollte, sondern der Anfang einer Entwicklungsgeschichte. Weitere Transfers aus der Nachwuchsschule sollen in nächster Zeit folgen, Gisdol hat die betreffenden U19-Talente bereits auf die erweiterte Besetzungsliste genommen.

Diese Kreativität und Courage hatten nicht viele Kölner dem Trainer zugetraut, als er den Job antrat. Das Willkommen im Klub war herzlich, das Publikum aber blieb reserviert, dem neuen Mann ist das nicht entgangen. Andererseits war es ihm gar nicht unrecht, so musste er keine hohen Erwartungen bedienen. Bruno Labbadia, der ursprüngliche Wunschkandidat des FC, hatte lieber die Finger von dem Job gelassen; Pal Dardai zog es vor, in Berlin zu bleiben. Daher wandten sich Geschäftsführer Alexander Wehrle und der Interimsmanager Frank Aehlig an Gisdol, der seit der Scheidung vom Hamburger SV im Februar 2018 fast zwei Jahre ohne Engagement war. Auf Angebote brauchte er in der Zeit zwar nicht lang zu warten, auf das richtige Angebot hingegen schon. Seine Tochter hatte sich bereits bei ihm erkundigt, ob er gar nicht mehr arbeiten wolle, und im Freundeskreis erklärte man ihn mehrmals für wahnsinnig, nachdem er wieder mal eine einladende Offerte ausgeschlagen hatte - so hat er es mal erzählt. Als er sich nun vom 1. FC Köln locken ließ, haben ihn dieselben Freunde erneut für wahnsinnig erklärt - sie glaubten, er verpflichte sich dem Verderben.

Dabei verkannten sie wohl, dass Gisdol bereits zweimal extreme Abenteuer gewagt und unverletzt überstanden hatte. Bei der TSG Hoffenheim war die sportliche Lage kaum besser, als er im April 2013 in den Abstiegskampf gerufen wurde. Beim seinerzeit notorisch irrationalen HSV sowieso nicht. An beiden Schauplätzen fiel der Trainer dadurch auf, dass er auch in dramatischen Situationen cool geblieben ist. Manchmal wirkte es, als sei ihm das Ergebnis beinahe einerlei, seine Sätze leisten dem Verdacht Vorschub. Er sei zufrieden, "wenn wir das spielen, was wir trainiert und uns vorgenommen haben", pflegt er zu sagen.

Gisdol, der im Profifußball quasi eine Arbeiter- und Tellerwäscher-Karriere gemacht hat, hat sich viel persönliche Autonomie bewahrt. Bei der Gestaltung seiner Strategien nimmt er sich Freiheiten, die andere Trainer für viel zu riskant hielten. Als seine Hoffenheimer zum Ende der Saison 2014 mit einem Torverhältnis von 75:70 dastanden, hatten sie fast so viele Tore erzielt wie der Meister FC Bayern München, aber mehr kassiert als die Absteiger Braunschweig und Nürnberg. Man hat an der Seriosität des Trainers gezweifelt, der solche inflationären Zustände zulässt, aber Gisdol hat die Saison genossen. In seinem schrägen Kader fanden sich ungefähr zwanzig Stürmer, darunter Spieler wie Firmino, Joselu, Volland, Szalai, Modeste und der junge Gregoritsch. Also ließ er angreifen, dem Hoffenheimer Image hat das nicht geschadet. Ohnehin lautet ein zentraler Lehrsatz des Trainers: Das Wichtigste sind die menschlichen Beziehungen zu Spielern und Mitarbeitern. Strategie und Taktik sind (lediglich) Handwerk und Mittel zum Zweck.

Der aktuelle Kölner Kader ist deutlich ausgewogener. Zwar gibt es darin keinen Roberto Firmino, aber immerhin einen Spieler, der unbedingt an Bastian Schweinsteiger erinnert. Jonas Hector sieht weder aus wie Schweinsteiger noch heißt er so, doch er besitzt als Kapitän inzwischen die mitreißende, aufbauende Art des in Pension gegangenen FC-Bayern-Helden. Es heißt, dass Gisdol an der Verwandlung des immer schon engagierten, aber meistens stillen Spielführers in den maßgebenden Vorkämpfer seinen Anteil hat. Den Posten als Linksverteidiger, den er in Jogi Löws Nationalteam hat, den hat Hector allerdings verloren. Gisdol findet, er sei zu gut und zu schlau, um an der Linie zu spielen, er hat ihn ins Mittelfeld versetzt. Damit steht Hector nicht direkt in Schweinsteigers Tradition, aber immerhin in der von Philipp Lahm.

© SZ vom 09.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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