Süddeutsche Zeitung

1. FC Köln:Pure Essenz

Emotionen trotz Geister-Atmosphäre: Das 2:2 zwischen Köln und Mainz könnte als Musterbeispiel für die kommenden Wochen dienen.

Von Philipp Selldorf, Köln

Letzten Endes war es ein Streit, wie ihn Heiko Herrlich in der vorigen Woche mit sich selbst führte, als er das Verlangen nach Zahnpasta und Hautcreme nicht mit den Quarantänebestimmungen in Einklang zu bringen vermochte: Eine Verwirrung um die neuen Paragrafen im Sonderspielbetrieb der Bundesliga, die zwar in aller Ausführlichkeit publiziert wurden, aber deswegen noch lange nicht von allen Akteuren verinnerlicht worden sind. Während also der Kölner Manager Horst Heldt meinte, der Mainzer Trainer Achim Beierlorzer habe die neuen Regeln nicht verstanden, meinte Beierlorzer, es sei genau umgekehrt: Für ihn waren es die Kölner, die nichts kapiert hatten. Anders als bei Herrlich, der den Kampf mit sich selbst verlor und eine Runde aussetzen musste, endete das Duell zwischen dem FC-Manager und dem FSV-Trainer wie das zugehörige Spiel zwischen Kölnern und Mainzern: Unentschieden. Friedlich wie die zwei Teams nach dem 2:2 gingen schließlich auch die beiden Herren auseinander.

Das Bild, das sich während der umstrittenen Prozedur in der 82. Spielminute ergab, war in der Tat ein ungewohntes. Beierlorzer hatte drei Reservisten zum Einsatz einberufen, sein Kölner Kollege Markus Gisdol zwei. Durch das Gedränge an der Seitenlinie sah es aus, als machten sich auf beiden Seiten Spezialkommandos zur Invasion des Rasens bereit. Nun monierte Heldt, drei Spieler auf einmal, das sei ja wohl einer zu viel. Beierlorzer hielt dagegen, die Kölner hätten ja schon dreimal gewechselt und dürften nicht mehr. Recht hatten beide nicht: Neuerdings gestattet die DFL, bis zu fünf Spieler zu tauschen; dafür stehen drei Vorgänge während der Partie und ein weiterer während der Pause zur Verfügung. Die Kölner hatten korrekt gehandelt, die Mainzer zumindest nicht illegal: Zwar "empfiehlt" die DFL, es bei zwei Wechseln pro Vorgang zu belassen, ein dritter Tausch ist aber nicht verboten. Heldt sah das "Agreement" verletzt, "deshalb wurde es emotional", sagte er. Beierlorzer gab zu verstehen, dass ihn das Kleingedruckte nicht interessierte: Es habe "irgendwann mal diese Idee der DFL gegeben", erklärte er.

Es ging nun mal äußerst leidenschaftlich zu im Müngersdorfer Stadion. Als sie ihren kleinen Disput austrugen, hatten nicht nur Beierlorzer und Heldt längst vergessen, dass sie sich unter Anstandsaufsicht und in der Betreuung eines "Hygienepersonals" befanden, die Fankurven stillgelegt waren und irgendwo womöglich Skeptiker wie Karl Lauterbach lauerten. Der Sport hatte längst seine eigene Dynamik entwickelt, es gab keinen pandemischen Ausnahmezustand mehr, es gab nur das spannende Spiel. Ersatzspieler und Betreuer beider Parteien sorgten durch ihre lebhafte Anteilnahme für authentische Dorfplatz-Stimmung, die Akteure auf dem Rasen arbeiteten verbissen am Siegtreffer und verfehlten ihn nur um ein paar Zentimeter. Zum Schluss habe es "ein kleines Offensiv-Spektakel" gegeben, wie der Kölner Angreifer Mark Uth später zutreffend schilderte: "Wenig Verteidigung, wenig Mittelfeld, es ging hin und her." Das Publikum wäre womöglich begeistert gewesen, aber das Publikum musste leider draußen bleiben.

Vor dem mühsam erkämpften Neustart hatte der DFL-Chef Christian Seifert demütig bekannt, diese Fußballspiele stellten "einen absoluten Notbetrieb" dar, und das letzte, wonach ihm der Sinn stehe, seien Showeffekte mit Jubel, Trubel und eingeblendeter Kurvenstimmung aus der Konserve. Aber die Kölner und Mainzer ermöglichten noch eine andere Sichtweise auf das reduzierte Ambiente, sie führten eine Form von Fußball auf, die als Muster für die kommenden Wochen dienen könnte, ein Angebot, wie es die moderne Gourmetkultur zu schätzen gelernt hat. Keine Saucen, keine Beilagen, keine Garnierung, sozusagen die pure Essenz. Der berühmte Restaurantkritiker Jürgen Dollase würde es vielleicht beschreiben wie die Wirkung einer französischen Terrine: "Erdig und authentisch in Aroma und Textur." Das Kölner Stadion, mit ein paar von FC-Fans gestifteten Glücksbringern diskret geschmückt, erwies sich als die passende Kulisse für das aufgezwungene alternative Fußball-Menü. Gäbe es das Tüv-Siegel "für Geisterspiele besonders geeignet" - hier wäre es angebracht.

Für die offenbar weiterhin aufstrebenden Kölner war es unter den überraschend erfreulichen Umständen auch kein Drama, eine 2:0-Führung weggegeben zu haben, für die von Abstiegsgefahr wesentlich mehr bedrohten Mainzer war das Unentschieden ein verdienter Lohn. Beide Trainer hatten Grund, taktische Mängel und andere Unzulänglichkeiten ihrer Spieler zu monieren, aber Markus Gisdol und Achim Beierlorzer fuhren gut gelaunt nach Hause. Wieder was dazugelernt, nicht nur in der neuen Wechsellehre.

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SZ vom 19.05.2020
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