1. FC Köln:Kratzen, Beißen, Pitschen

Nach dem 1:0 gegen Wolfsburg, dem ersten Sieg der Hinrunde, darf der Klub auf einmal doch noch vom Klassenverbleib träumen - Geschäftsführer Veh kritisiert den ehemaligen Trainer Stöger.

Von Milan Pavlovic, Köln

Eisregen dürfte sich selten so schön angefühlt haben. Jedenfalls für die Spieler und Fans des 1. FC Köln. Vier Monate des Leidens und Stümperns waren - wenigstens kurzzeitig - wie weggespült, als der erste Sieg der Hinrunde gesichert war. Das 1:0 (0:0) gegen den VfL Wolfsburg verhinderte, dass die Kölner als erster Bundesligist eine Hinrunde ohne einen Sieg beendeten (das war 1965 sogar dem Negativrekorde-Rekordhalter Tasmania Berlin erspart geblieben). Und auch wenn das keiner der Verantwortlichen zugeben wollte, eröffnete der Erfolg die Chance, noch einmal davon zu träumen, vielleicht doch die Klasse zu erhalten - schließlich gelang es keinem der sechs Klubs vor dem Schlusslicht, am 17. Spieltag zu gewinnen. Stefan Ruthenbeck, der seit dem Abschied von Peter Stöger als Trainer fungiert und eventuell nun auch über die Winterpause hinaus, ließ sich nur entlocken, dass es für den FC "noch 17 Endspiele" gebe - und wenn man so auftrete wie gegen Wolfsburg, "dann werden das 17 sehr interessante Spiele".

Zweieinhalb Stunden vorher, sanftes Licht illuminierte da noch den Himmel über Köln, hatten sich andere Fragen aufgedrängt. Wie würden die Zuschauer ihre tief gefallenen Spieler im ersten Heimspiel nach dem bereits legendären "K. o. am Schneesonntag" gegen Freiburg (3:4 nach 3:0-Führung) behandeln - würden sie sie auffangen oder noch tiefer fallen lassen? Zunächst herrschte eine seltsam abwartende Stimmung. Vielleicht suchten die Fans auf den zum Teil auffallend gelichteten Rängen aber auch gerade im Internet nach Informationen über die Spieler, die da zum Teil in den Trikots ihres Vereins herumliefen. Wer, bitte, ist Birk Risa?

1 FC Köln VFL Wolfsburg 16 12 2017 Tor 1 0 durch Christian Clemens FC gegen Torwart Koen Ca

Monatelang war Christian Clemens (Mitte) glücklos und umstritten – gegen Wolfsburg erzielt er das einzige Tor des Nachmittags.

(Foto: imago/Horstmüller)

Obwohl die Verletztenliste weiterhin eine komplette Elf ergab, mussten einige gestandene Profis auf der Bank Platz nehmen: Konstantin Rausch, Marco Höger, Pawel Olkowski und Christian Clemens. Stattdessen auf dem Feld: im Sturm der 19-jährige norwegische U21-Nationalspieler Risa, hinter ihm Chris Führich, ebenfalls 19, als Mittelstürmer erneut Lukas Klünter, 21, der die 100 Meter handgestoppt schon mal in 10,6 Sekunden zurückgelegt haben soll. Der Altersschnitt der Startelf lag bei gerade einmal 23 Jahren. "Als ich mich in den Bus gesetzt habe", schilderte der neue Geschäftsführer Armin Veh, "dachte ich, ich sei bei einer Jugendmannschaft gelandet."

Die Zuschauer reagierten zunächst verhalten, aber nach einer halben Stunde riss das zunehmend unbekümmerte Team sie mit, und aus dieser Wechselstrom-Wirkung bezog das Geschehen seine unerwartet hohen Volt-Zahlen. Die Spieler agierten "mit Leidenschaft und Herzblut. Für diesen Style stehe ich", sagte Ruthenbeck. Das gehe manchmal "in die Hose", aber wenn es klappe mit dem "Kratzen, Beißen und Pitschen", dann könne Gutes passieren.

Womöglich kein Zufall, dass ausgerechnet Clemens für Zählbares sorgte. Seit Monaten glücklos und umstritten, verlagerte er nach seiner Einwechslung in der 67. Minute noch in der eigenen Hälfte das Spiel weit nach rechts zu Jojic und startete, während der Serbe den Ball nach vorne trieb, in Höchsttempo Richtung Strafraum - so als hätte er schon vorher gewusst, wie die Szene enden würde. Jojic steckte den Ball an drei Spielern vorbei in die Spitze. Dort spritzte Clemens in den freien Raum und vollendete mit rechts zum 1:0. Weil der FC danach zwei Großchancen zum beruhigenden 2:0 vergab und die Kräfte der Spieler ebenso schlagartig nachließen wie der grantige Dauerregen einsetzte, begann die lange Viertelstunde des Zitterns.

Die schlechtesten Hinrunden-Teams der Historie

Tasmania 1900 ist immer noch das Team in der Geschichte der Bundesliga, das die geringste Punkteausbeute nach der Hinrunde aufwies. Die Berliner holten 1965/66 nur vier Punkte und stiegen am Ende mit 10 Punkten als Letzter ab. Bislang rettete sich noch nie ein Klub, der nach der Hälfte der Saison sieben oder weniger Punkte hatte. Rechts außen die Endplatzierung.

1965: Tasmania 1900 4 Punkte / 18. Platz

1963: Saarbrücken 5 Punkte / 18. Platz

2009: Hertha BSC 6 Punkte / 18. Platz

2017: 1. FC Köln 6 Punkte

1974: Tennis Borussia 7 Punkte / 17. Platz

Denn jetzt begannen die bis dahin seelenlos auftretenden Wolfsburger, aktiv am Spiel teilzunehmen. Horn rettete zum Teil unorthodox gegen Schüsse von Tisserand (75.), Gomez (77.), Bruma (78.) und Gomez (90.+1). Köln hatte in dieser wilden Phase das Glück, das in den vergangenen Monaten so oft gefehlt hatte. Wolfsburgs Trainer Martin Schmidt sprach von einer verdienten Niederlage und schien überraschenderweise fast zufrieden damit zu sein, dass nicht noch das elfte Remis der Saison herausgesprungen war, weil er so in der Analyse "besser ansetzen" könne. Manchmal sei es besser, "einen Schritt zurück zu müssen, um dann zwei nach vorne zu machen".

Der 1. FC Köln hat zwischen August und Dezember vermutlich zu viele Schritte nach hinten gemacht. Es gibt viele Gründe dafür, einige wurden am Samstag offen angesprochen. Armin Veh lehnte wie ein Western-Held an einer Wand, als er an seine deutlichen Worte des Nachmittags erinnerte, als er in Pistolero-Manier ziemlich unverhohlen Richtung Peter Stöger geschossen hatte: "Wenn man 14 Spiele hat und drei Punkte und 13 Verletzte, dann hat mit Sicherheit etwas nicht gestimmt. (...) Mental und vor allem körperlich" sei man "schwer angeschlagen. Da haben wir große Defizite, und da muss ich auch sagen, da kann mein jetziger Trainer nichts dafür." Stöger reagierte später auf gewohnt untertourige Art: "Wenn es so bewertet wird, dann möchte ich mich entschuldigen dafür, dass ich das so übergeben habe", sagte er bei Sky. "Warum er (Veh, Anm.) das macht, weiß ich nicht. Das kann ich nicht sagen." In der Tat ist dies ein Nebenkriegsschauplatz. In erster Linie muss es dem FC darum gehen, den FC Augsburg zu toppen. Der hielt 2013 die Klasse, obwohl er bis Weihnachten 2012 nur neun Punkte gesammelt hatte. Der FC hat sechs.

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