1. FC Köln in der Krise:Die schönste Stadt Deutschlands

Nicht einmal im Fußballstadion finden die krisengebeutelten Bürger Kölns Trost. Wer das allein Lukas Podolski ankreidet, tut dem Stürmer Unrecht.

Philipp Selldorf

Kenner haben sich am Samstag gefragt, was es wohl zu bedeuten hatte, dass der Kölner Stadionsprecher die Gäste aus Stuttgart "in der schönen Stadt Köln" begrüßte. Bisher hatte er die auswärtigen Klubtouristen immer "in der schönsten Stadt Deutschlands" willkommen geheißen. Den Gegensatz zwischen diesem dreisten Anspruch und der gebauten Wirklichkeit der Stadt lässt zwar selbst Besucher aus Gelsenkirchen oder Wolfsburg lächeln, aber das ist völlig egal, weil die Botschaft sich gar nicht an die Fremden, sondern an die Einheimischen richtet. Es ist die Versicherung von Heimat und kölscher Geborgenheit, und der 1. FC Köln mitsamt dem quasikatholischen Dauerkarneval in seinem herrlichen Stadion sind Teil dieser erfüllten Identität und Selbstwahrnehmung.

Podolski, dpa

Bemüht, aber glücklos: Lukas Podolski.

(Foto: Foto: dpa)

Dass diese Identität bedroht ist, liegt eher weniger am ersten Fußballklub der Stadt, seinem krausen Ensemble und dessen unberechenbaren Auftritten. Kriminelle Elemente und die öffentlichen Institutionen der Kommune (was zum Teil identisch ist) haben in jahrelanger Klüngelwirtschaft und Untergrundtätigkeit ein nie gekanntes Leiden an der eigenen Mentalität hervorgerufen, und nun ist es so weit, dass auch der FC keinen Trost und Ausweg mehr bietet.

Gerade dann, wenn die Kölner in sein Stadion kommen, wirkt der FC oft so marode und ausgehöhlt wie die ganze bankrotte Stadt. Seine Heimbilanz ist fürchterlich, und am Samstag nach dem 1:5 gegen Stuttgart hat der Klub seine Anhänger wieder in einem Zustand entlassen, den Lukas Podolski mit poetischer Klarheit erfasst hat: "Man ist leer, rennt nach Hause, will einfach nur die Tür abschließen und traurig sein." Es ist so weit gekommen, dass viele sich nicht mehr wohlfühlen in der schönsten Stadt Deutschlands.

Viel zu schlicht ist es, den unter großem Hurra heimgeholten, nun aber chronisch torlosen Podolski für die zwar nicht bodenlose, aber doch substanzielle Misere des FC verantwortlich zu machen. Für den Preis, den er gekostet hat, kann er nichts, und Podolski ist in Köln, was er immer war: ein sehr guter Fußballer, der Orientierung und Anleitung braucht. Die fehlt ihm in einer Elf ohne Zielbewusstsein und geeignetes Führungspersonal. Eklatante Besetzungslücken, vor allem auf den defensiven Außenposten und zentralen Schaltstellen, offerieren jedem Gegner ein aussichtsreiches Spielrezept. Der FC wird deswegen nicht absteigen, aber seine Perspektive in der Bundesliga ist die gleiche wie die seiner Heimatstadt im gemeinen Alltag: Man ist gezwungen, am existentiellen Abgrund zu improvisieren.

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