1. FC Köln:Im Fahrstuhl nach Europa

Fussball-Bundesliga 1.FC Köln - Werder Bremen

Nie war er so wertvoll wie heute: Matthias Lehmann ordnet beim 1. FC Köln mit all seiner Erfahrung die hinteren Reihen.

(Foto: Mika Volkmann/ddp images)

Geradlinig und verlässlich: Kapitän Matthias Lehmann, 33, verkörpert mit seinem Spiel und seinem Auftreten genau die Eigenschaften, die den 1. FC Köln wieder starkgemacht haben.

Von Philipp Selldorf, Köln

Matthias Lehmann, der Kapitän des Fußball-Bundesligisten 1. FC Köln, sagt nichts Falsches, wenn er zugibt, die neueste Ode an seinen Klub immer noch nicht komplett zu kennen, denn es gibt ja gar keine komplette Fassung dieses Festgesangs. Jeden Tag dichtet die Fan-Gemeinde neue Strophen hinzu. "Was man kennt, ist der Refrain", sagt Lehmann, und das ist wiederum keine Kunst, da der Refrain immer auch die Antwort auf alle Fragen ist, so verschieden sie auch lauten. Frage: Warum dich deine Frau verlässt? Antwort: Anthony Modeste. Wer scheißt auf Stiftung Warentest? Wer haut dem Sulu auf die Fress'? Wer wird nie braun beim Sommerfest? Wer raucht lieber Gauloises als West? Die Antwort in dieser endlosen Hymne ist immer Anthony Modeste, der nicht nur ein erfolgreicher Mittelstürmer ist, sondern auch die Symbolfigur einer Kölner Saison, die völlig zu Recht übermütige Fantasien beflügelt. Am Samstagnachmittag beim Derby in Leverkusen spielt ja nicht der Gastgeber Bayer um einen Platz im Europacup, sondern der FC vom anderen Rheinufer. Köln wird erstmals seit 21 Jahren vor dem erfolgsgewohnten Nachbarn landen, so viel steht bereits fest.

Vernünftig, geradlinig, verlässlich, aber auch zielbewusst und ehrgeizig - so erfüllt er seine Rolle

Modeste hat 25 Tore geschossen, es ist logisch, dass er zum Helden stilisiert wird, aber wenn es um die Urheber des Erfolgs geht, dann hat der Kapitän Lehmann kaum einen geringeren Anteil, obwohl er kein einziges Tor beigesteuert hat. Lehmann, 33, verkörpert mit seinem Spiel und seinem Auftreten viele der Eigenschaften, die den 1. FC Köln in die bessere Hälfte der Liga zurückgeführt haben nach all den entbehrungsreichen Jahren. Vernünftig, geradlinig und verlässlich, aber auch zielbewusst und ehrgeizig, so erfüllt er seine Rolle in der Mitte der Kölner Mannschaft. Dass er von Ende November bis Anfang März wegen einer Knieverletzung fehlte, destabilisierte das Kölner Gefüge viel mehr als in der kritischen Öffentlichkeit diskutiert wurde. Als Chef-Ordner in den hinteren Reihen versieht er wenig spektakuläre, aber elementare Dienste, das strategische Bewusstsein ist das Resultat der langen Laufbahn, "man hat so viele taktische Programme im Portfolio nach all den Jahren", erklärt er. Lässt sich also sagen: Nie war er so wertvoll wie heute? "Das weiß ich nicht", verweigert er, wie vorherzusehen war, das angebotene Kompliment, "aber es ist eine schöne Geschichte, nicht nur mit mir, sondern mit der ganzen Mannschaft."

Lehmanns Karriere hat einen außergewöhnlichen Verlauf, es ist die Karriere eines Fahrstuhl-Profis, wie es kaum einen zweiten gibt. Ein Wort, das ihn zunächst ziemlich schockiert, denn so hat ihn noch keiner genannt. "Das hört man nicht gern", sagt er, bis er nach ein wenig Nachdenken feststellt, dass der Begriff nicht nur statistisch zutrifft: "Das ist halt meine Lebensgeschichte im Fußball, da bin ich stolz drauf." Lehmann ist mit dem TSV 1860 München, wo seine Profi-Laufbahn begann, mit Alemannia Aachen und dem FC St. Pauli aus der ersten Liga abgestiegen, während er mit St. Pauli, Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Köln aufgestiegen ist. 163 Spielen in der ersten Liga stehen 252 in der zweiten Liga gegenüber, ein eher eigentümliches Einsatz-Verhältnis. "Ich war nie der Spieler, der gesagt hat: Dann bin ich jetzt weg", fällt ihm dazu ein. Die Abstiege seien ja "allesamt mehr als unnötig" gewesen, "da will man dann reparieren, was man verbockt hat". Kein schönes Thema im Übrigen, "das sind Erlebnisse, die heute noch wehtun", sagt er.

"Old School" heißt das Gütesiegel, das Kölns Sportchef Schmadtke seinem Kapitän ausstellt

Meint man es böse, ordnet man Lehmanns Fußballkünste der alten Schule zu. Meint man es gut, sagt man einfach das gleiche. "Old School" ist auch das Gütesiegel, das der Kölner Sportchef Jörg Schmadtke seinem Kapitän ausstellt, er meint das natürlich als Kompliment. Schmadtke war derjenige, der bereit war, für Lehmann eine Rekordablöse zu bezahlen - allerdings vor elf Jahren, als er die Sportgeschäfte des Aufsteigers Alemannia Aachen führte. 900 000 Euro kostete der Zugang damals. Dass Lehmann 2012 von Frankfurt nach Köln wechselte, war hingegen das Werk von Holger Stanislawski, der aus den Trümmern des Kölner Bundesligaabstiegs eine neue Mannschaft baute, die in Teilen noch heute besteht. Lehmann, in Ulm geboren, hatte es am Anfang nicht leicht im Rheinland, was nicht an den nach seiner Meinung himmelweiten Mentalitätsunterschieden zwischen Schwaben und Kölnern liegt, sondern an den sportlichen Startschwierigkeiten. Erst mit der Übernahme von Peter Stöger, der ihn einfühlsam in seine zentrale Mittelfeld-Rolle einwies, wurde er richtig heimisch in Köln, weshalb er jetzt auch diesen Satz perfekt übersetzen kann: Wer putzt sing Zäng mit Dr. Best - wer putzt seine Zähne mit Dr. Best? Die Antwort ist bekannt.

Im hohen Alter zu neuer Anerkennung zu kommen, womöglich erstmals im Europacup zu spielen, das ist die eine Seite des späten Glücks von Matthias Lehmann. Die andere ist, dass er immer noch überzeugt ist, "den besten Job der Welt" zu haben: "Man freut sich zwar immer auf den Sommer-Urlaub, aber spätestens nach zehn Tagen freut man sich dann auch auf die Quälerei der Vorbereitung." In diesem Sommer vielleicht sogar noch etwas mehr als in den 14 Jahren zuvor.

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