Süddeutsche Zeitung

1. FC Köln:Der erste Wackelstuhl

Saarbrückens Trainer Lottner feiert den Pokal-Coup gegen seinen Herzensklub Köln - Kollege Beierlorzer findet keine funktionierende Mannschaft.

Von Martin Schneider

Das Hermann-Neuberger-Stadion ist ein Sportplatz, der im Grunde nur noch auf Schwarz-Weiß-Fotos existiert. Unüberdachte Stehplatztribünen voller Wellenbrecher, die sich in einer großen Kurve ums Spielfeld legen, grasbewachsene Hänge hinter den Toren, natürlich eine Laufbahn - und wo bei anderen Stadien die Gegengerade ist, stehen in Völklingen Bäume. Der 1. FC Saarbrücken, derzeit vierte Liga, musste dorthin umziehen, weil der eigene Ludwigspark umgebaut wird. Im Nachhinein weiß man nie, woran es lag, aber vermutlich kann man es einem Bundesligisten im Pokal noch schwerer machen, wenn man ihn abends auf einem Sportplatz aus einer anderen Zeit antreten lässt.

Es gibt viele Geschichten, die man rund um die 2:3-Niederlage des 1. FC Köln beim 1. FC Saarbrücken erzählen kann. Zum Beispiel, dass Saarbrückens Trainer ausgerechnet Dirk Lottner ist. Lottner hängt mit seinem Herzen dermaßen an seiner Heimatstadt Köln, dass er vor dem Pokalspiel, als noch nicht klar war, ob man es wirklich in Völklingen austragen kann (Flutlichtprobleme), ernsthaft vorschlug, es doch nach Köln zu verlegen.

Auch schön war, dass für Saarbrücken Christopher Schorch traf, der in der Jugend bei Real Madrid spielte und dann über Köln beim FCS landete. Oder dass für Köln Jonas Hector als Kapitän auflief und zum 1:2 traf, der Nationalspieler, der nicht in einem Nachwuchsleistungszentrum ausgebildet wurde, sondern auf Dorfsportplätzen des Saarlandes.

Aber Fußball ist vor allem Tagesgeschäft, deshalb war die Geschichte des frühen Kölner Pokal-Aus vor allem die von Trainer Achim Beierlorzer. Der Franke ist seit Sommer am Rhein, vorher trainierte er an der Donau Jahn Regensburg; Bundesliga-Erfahrung brachte er für die Arbeit am traditionell aufgeregten Standort nicht mit. Köln steht nun auf Rang 16, wobei der FC ein schweres Auftaktprogramm erwischt und bereits gegen die Bayern, Dortmund, Gladbach und Wolfsburg verloren hat.

Aber nun folgten kurz nacheinander Niederlagen in Mainz (1:3) und Saarbrücken. Vor allem die im Saarland war bedenklich: Die zwischenzeitliche 2:0-Führung des Außenseiters entsprach durchaus dem Spielverlauf.

Schon das Sonntags-Derby in Düsseldorf könnte eine Art Endspiel für den Trainer sein

Erst als Beierlorzer den geschonten Stürmer Simon Terodde einwechselte, glich der FC spät aus - ehe der K. o. in der 90. Minute folgte. Beierlorzer sprach von einem "Rückschritt", nach dem Abpfiff fauchte er das Team beim Gruppenkreis auf dem Rasen so laut an wie noch nie. Dass er Terodde nicht von Beginn an brachte, machen ihm nun viele zum Vorwurf. Generell wird moniert, er habe auch nach neun Spieltag keine gefestigte Mannschaft gefunden und rotiere zu viel. Sportchef Armin Veh schwieg am Dienstag in Völklingen. Sollte das Derby am Sonntag in Düsseldorf ähnlich verlaufen, wird er vermutlich nicht weiter schweigen.

Gerade hat es die Liga ja geschafft, zum ersten Mal seit 1999 an den ersten neun Spieltagen keinen einzigen Trainer zu wechseln. Damals erfolgte der erste Trainertausch erst am 17. Spieltag, Felix Magath für Jörg Berger bei Eintracht Frankfurt. In diesem Herbst der Übungsleiter-Treue reden in Köln nun die ersten vom wackelnden Beierlorzer-Stuhl. Aber was auch sonst? Auf dem Papier stand: verdientes Aus gegen einen Viertligisten!

Da wird es in Köln vermutlich wenig helfen, darauf hinzuweisen, dass Saarbrücken zumindest kein gewöhnlicher Viertligist ist. Der Verein ist für diese Klasse höchst solvent, wird seit Jahren von Unternehmer Hartmut Ostermann finanziert. Der FCS ist ein Opfer der umstrittenen Regionalliga-Reform, laut der Meister nicht mehr automatisch aufstiegen. Zweimal scheiterte der Klub seit 2015 in der Relegation zur dritten Liga, zuletzt im Frühjahr 2018 am ebenfalls nicht gewöhnlichen Viertligisten 1860 München. Im Sommer 2019, als der Meister doch mal direkt aufsteigen durfte, war Mannheim stärker.

Doch in dieser Saison führt der FCS die Liga nach 15 Spieltagen mit acht Punkten Vorsprung an. Vor allem mit dem neuen Ludwigspark-Stadion peilt der Klub höhere Ziele an. Dabei helfen die 1,2 Millionen Euro Prämie natürlich sehr, die es aufsummiert für das Erreichen des Pokal-Achtelfinales gibt. Traumlos in der nächsten Runde wäre übrigens nicht der FC Bayern, sondern der 1. FC Kaiserslautern. Gegen den Erzrivalen hat der FCS zuletzt 1997 ein Pflichtspiel bestritten.

Von der Euphorie an der Saar ist Köln weit entfernt. Als der eher nicht als Hitzkopf oder als übellaunig bekannte Jonas Hector nach dem Aus gefragt wurde, ob er für seine alten Freunde im Saarland noch ein nettes Wort übrig habe, da sagte er: "Nein" - und ging.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2019
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