Süddeutsche Zeitung

1. FC Köln:Ab in die Tonne

Der Kölner Trainer Markus Gisdol zieht eine emotionale Saisonbilanz. Er wirbt dafür, die ganze Saison zu betrachten - und nicht nur die Zeit der Geisterspiele, in der seine Mannschaft keine Partie gewinnen konnte.

Von Milan Pavlovic, Köln

Manchmal übersieht man vor lauter Elend das Positive. Der 1. FC Köln hatte in Zusammenarbeit mit Eintracht Frankfurt ein weitgehend schauderhaftes Spiel abgeliefert, in dem es nicht nur um nichts mehr ging, sondern in dem über weite Strecken auch nichts lief. Trotzdem herzten sich die Spieler und Verantwortlichen nach dem Schlusspfiff, als hätte der Verein gerade einen internationalen Wettbewerb erreicht. Und als die Kölner Mannschaft sich vor der leeren Tribüne einfand, um den abwesenden Fans eine Hommage zu erweisen, da war das nicht bloß ein Plagiat, sondern der Ausdruck ehrlicher Freude.

So ziemlich jeder Beobachter wusste, dass die Gefahr eines Abstiegs zuletzt höchstens noch hypothetischer Natur gewesen war, aber das 1:1 gegen Frankfurt bedeutete eben, dass die seit Wochen erfolglosen Kölner den Klassenerhalt aus eigener Kraft geschafft hatten. "Das war uns sehr wichtig", verriet Trainer Markus Gisdol.

Dass sich die Sieglosserie jetzt auf neun Spiele erstreckt, war egal. "Die Zielerreichung überlagert heute alles. Ich merke, dass unserer Mannschaft und uns allen ein großer Stein vom Herzen gefallen ist", sagte Gisdol, der das Team vor dem zwölften Spieltag übernommen hatte. "Unser Ziel war, nicht abzusteigen. Wir sind sehr froh, dass das gelungen ist", sagte Offensivspieler Mark Uth, der im Winter kam.

Die schrecklichen Kölner Ergebnisse in der Geisterspiel-Ära - von neun Partien ohne Fans hat der FC keines gewonnen, schlechter war nur Schalke 04 - hat die Bilanz überschattet. Gisdol, der gleich zu Beginn seiner Tätigkeit in der Kritik stand, als er drei der ersten vier Spiele happig verlor, geriet zuletzt wieder unter Druck. So erklärte sich wohl seine flammende, fragmentarische Rede nach dem Frankfurt-Spiel, als er sehr emotional darum warb, die ganze Saison im Auge zu behalten: "Wenn man überlegt, in welcher Situation wir hier angefangen haben" (schmählicher Letzter mit acht Punkten aus 14 Spielen) "und welche Energie aufgewendet werden musste - mental und auch körperlich ..."

Der 50-Jährige holte Luft - und dann noch weiter aus: "Mitte Dezember war hier eigentlich alles erledigt." Man habe damals mühsam Teamgeist hergestellt, "und das ist uns wirklich gelungen." Aus den folgenden zehn Partien holte Köln mit wuchtiger Spielweise 24 Punkte. "Wir haben es alle zusammen geschafft - und dann kommt so ein Corona ... Du kannst dir nicht mehr gegenübersitzen, du kannst niemanden mehr anfassen. Das hat uns mehr gekostet als jede andere Mannschaft in der Liga, weil wir sehr eng waren, auch in der Art und Weise, wie wir gemeinsam die Gegner bespielt haben. Dann weißt du nicht, was kommt, du gehst in die ersten Spiele, lässt Punkte unglücklich liegen, dann kommt eins zum anderen. Dann spürst du, was diese Phase mit dir gemacht hat. Während Corona wusstest du gar nicht mehr: Was macht dieser unsichtbare Gegner mit dir?"

Das Frankfurt-Match schien nicht unbedingt der richtige Anlass für diese Überlegungen zu sein. Die erste Halbzeit war ein Potpourri an Unfertigkeiten, Ungenauigkeiten, schlechten Ideen und zusammenhanglosen Aktionen, wie man es selbst im Zeitalter der mitunter runtergedimmten Geisterspiele nicht gesehen hatte. Vielleicht aber war Gisdols Ansprache gerade deshalb passend. "Man hat gemerkt, dass die Mannschaft auf der letzten Rille fährt", gestand er, "man hat gemerkt, was die letzten Monate mit dem Team gemacht haben, auch vom Kopf her." Die Energie, die dem Klub im Winter aus dem Tabellenkeller geholfen hatte, "haben wir im Mai oder Juni nicht mehr auf den Platz bringen können. Wenn man alles zusammen bewertet, sind wir superhappy, dass wir durchgekommen sind. Wir spielen nächste Saison wieder erste Bundesliga, das ist die beste Nachricht."

Sprach's und löste sein Versprechen vom November ein, im Falle des Klassenerhalts in eine Eistonne zu steigen.

Jetzt geht es in Köln erst einmal darum, den aufgeblähten Kader mit über 30 Spielern zu entschlacken. Birger Verstraete, der unter Gisdol keine Rolle mehr spielte, ist nach Belgien vermittelt worden. Der ausgeliehene Mark Uth hingegen soll endgültig von Schalke 04 zu seinem Herzensverein an den Rhein wechseln. Einige Beobachter finden, Uth habe durch seine durchwachsenen Leistungen seit der Liga-Fortsetzung erfolgreich seinen Preis gedrückt. Aber das ist natürlich ein klarer Fall von boshaftem Zynismus.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4942966
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.06.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.